Gesichtertürme und himmlische Nymphen

Die Götterburgen im kambodschanischen Angkor erleben eine touristische Renaissance

Text und Fotos: Rainer Heubeck

Kambodscha Angkor steinerne Köpfe

Kambodscha Angkor TänzerinnenKambodscha: ein Land, um dessen touristisches Image es nicht zum Besten steht. Sei es, weil sich Besucher vor Landminen und vor Handfeuerwaffen fürchten, obwohl das Land längst sicherer geworden ist. Sei es, weil Kambodscha bis vor einigen Jahren nicht ganz zu unrecht als eine Art Pädophilen-Paradies galt. Ein Negativ-Image, das vieles überschattet hat: auch die Wirkung und die gewaltige kulturhistorische Bedeutung der größten Tempelansammlung der Welt, die Zeugnis abgibt von einer Khmer-Hochkultur, die mehr als 500 Jahre das Gebiet des heutigen Kambodschas dominiert hat.

Die Reisebüromitarbeiter in der Pham Ngu Lao in Saigon waren sich einig: 26 oder 27 Dollar sollte bereithalten, wer die Grenze nach Kambodscha auf dem Landweg überqueren will – und am Grenzübergang in Bavet noch ein Visum benötigt. „Eigentlich kostet das Visum ja nur 20 Dollar, aber die korrupten Beamten verlangen grundsätzlich 25, und wenn man nicht mehrere Stunden lang warten möchte, sondern schnell abgefertigt werden will, dann ist es besser, noch ein oder zwei Dollar extra in den Pass zu legen“, empfiehlt ein junger Vietnamese.

Auch im Bus von Saigon nach Phnom Penh - die Fahrt kostet sechs Dollar - weist der vietnamesische Reiseleiter noch einmal eindringlich auf die Gefahren des Nachbarlands hin. Die Ziffern auf den Geldscheinen sind in Kambodscha nur auf einer Seite in arabischen Ziffern aufgedruckt. „Passt bloß auf, sonst bescheißen sie euch“, mahnt der junge Vietnamese - bevor er den Touristen zu einem grottenschlechten Kurs ihre vietnamesischen Dong in kambodschanische Riel umtauscht.

Kambodscha angkor Kinder

Klassisches (oben) und modernes Kambodscha

Kambodscha Angkor Transportmittel RadDer eigentliche Grenzübertritt erfolgt zu Fuß. Über einer kleinen Kabine, in der ein Grenzbeamter sitzt, prangt ein Schild; „Tourist Visa 20 US $“. Und siehe da, der Beamte verlangt auch keinen Cent mehr. „Germany - Worldcup“, sagt er - und schiebt den Pass mit einem breiten Grinsen wieder zurück. Willkommen im Königreich Kambodscha, einem der ärmsten Länder Asiens, einem Land, das in den 70er und 80er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts einen grausamen Genozid erlebt hat.

Mit dem Motorrad zu den Tempeln

In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als der Tourismus in Thailand noch in den Kinderschuhen steckte, waren die Tempel von Angkor bereits ein wichtiger Bestandteil jeder Asien-Studienreise. Die Schreckensherrschaft der Roten Khmer hat diese Tradition gebrochen - doch heute gehören Drei-Tages-Touren nach Angkor wieder zu den am stärksten nachgefragten touristischen Angeboten in ganz Asien. Insgesamt acht Fünf-Sterne-Hotels gibt es mittlerweile in dem 90.000-Einwohner-Ort Siem Reap, der zweitgrößten Stadt des Landes, die sich voll und ganz auf den Tempel-Tourismus eingestellt hat.

Ob Guesthouse-Betreiber oder Guide, ob Bedienung im Restaurant oder Taxifahrer, in Siem Reap leben fast alle direkt oder indirekt von den ausländischern Besuchern. Diese bleiben fast alle mindestens drei Tage – denn die Tempelanlagen von Angkor liegen weit auseinander. Der Hintergrund: Die Hauptstadt des Khmer-Königsreichs Kambuja wurde mehrmals verlegt, weil viele der Gott-Könige bestrebt waren, sich durch den Bau neuer Tempel von ihren Vorgängern abzuheben.

Kambodscha Angkor Hoteleingang

Schon klassisch: Hoteleingang in Siem Reap

Wer keine organisierte Bustour bucht, braucht einen Fahrer, der ihn, entweder per Auto oder Motorrad, zu den weiter außerhalb gelegenen Sehenswürdigkeiten bringt. Denn selbst fahren ist Touristen in Siem Reap nur mit dem Fahrrad erlaub - und damit können längst nicht alle Tempel erreicht werden. Das Mieten eines Motorrollers ohne Fahrer hat die Stadtverwaltung kurzerhand verboten. Ein Programm zur Arbeitsbeschaffung für Hunderte von jungen Männern, die sich für fünf bis zehn Dollar Tagessatz als Motorradtaxi-Chauffeure anbieten.

Mord und Totschlag in der Götterwelt

Kambodscha Angkor Wat ZugangIn den Tempeln um Angkor wird klar, warum Malte Conrad Brun, ein dänisch-französischer Geograph, die nördlich von Siam gelegenen Länder im Jahr 1810 erstmals als Indochina betrachtet hat - also als ein Gebiet, das im Spannungsfeld der Einflüsse aus Indien und aus China liegt: Die indische Kultur - insbesondere in den Götterpalästen von Angkor ist sie allgegenwärtig. Die imposanten und zum Teil erstaunlich gut restaurierten Tempelbauten sind ganz von der hinduistischen und buddhistischen Glaubenswelt geprägt.

Die indische Mythologie vom Weltenberg Meru, auf dessen fünf Gipfeln die Götter residieren, prägt die Gestaltung der etwa fünfzig Tempelanlagen, die zwischen 800 und 1400 nach Christus entstanden sind. Der faszinierendste davon ist Angkor Wat. Er war als Begräbnisstätte für den Gott-König Suryavarman II. - der den Tempel zwischen 1112 und 1155 auch erbauen ließ - gedacht und ist dem hinduistischen Gott Vishnu gewidmet. Der von einem Wassergraben umgebene Götterpalast gilt als das beeindruckendste Bauwerk in ganz Südostasien.

Er lohnt nicht nur wegen seines Gesamteindrucks einen Besuch, sondern vor allem auch wegen der zum Teil mehr als 500 Meter langen Reliefgalerien an seinen Seitenwänden. Hier werden Militärparaden und weltlichen Schlachten dargestellt, die sich in vergangenen Zeiten in Indien zugetragen hatten. Etwa die Schlacht von Kurukshetra, bei der zwei Streitwagen sowie zwei gewaltige Soldatenheere aufeinander treffen. Die Reliefs befassen sich aber auch mit Mord und Todschlag in der Götterwelt: Eines der Bilder zeigt, wie der Eremit Shiva den Liebesgott Kama tötet, weil dieser Shiva mit einem Pfeilschuss bei der Meditation gestört hatte.

Kambodscha Angkor Wat Kulisse

Angkor Wat

1800 Tänzerinnen

Kambodscha Angkor tanzende SchönheitZu den kunsthistorischen Besonderheiten des Tempels gehören neben den Flachreliefs vor allem die mehr als 1800 reliefartige Skulpturen, in denen Apsaras dargestellt werden - himmlische Tänzerinnen, welche die Götter unterhalten und vergnügen sollten. Aus den Tänzen dieser Nymphen entwickelte sich in Kambodscha die Tradition des Khmer-Tanzes, der heute wieder von zahlreichen Tanzgruppen gepflegt wird (Fotos rechts und unten), obgleich sie unter Pol Pot unterdrückt worden waren. Den Besuch einer Apsara-Vorführung in Siem Reap oder in der Hauptstadt Phnom Penh sollte sich kein Kambodscha-Reisender entgehen lassen.

Angkor Wat, der Tempel mit dem mehr als 1800 Tänzerinnen, ist jedoch nur einer von etwa fünfzig bedeutsamen Tempelbauten, die aus der Zeit der Hochblüte der Khmer-Kultur hinterlassen sind und die von den Besuchern nicht nur aus der Ferne betrachtet, sondern über ein mehrstufig angelegtes System an schmalen, steilen Steintreppen auch bestiegen werden können.

Besonders lohnend ist ein Besuch von Angkor Thom, der bedeutendsten Hauptstadt des Khmer-Reiches. Die Stadt, die Ende des 12. Jahrhunderts erbaut wurde, erreicht man über einen von Wasser umgebenen Damm, an dessen Rand mythologische Steinfiguren Spalier stehen - die Devas und die Asuras. Im Anschluss daran durchquert der Besucher ein 23 Meter hohes Tor an dessen Spitze das Gesicht von Bodhisattva Lokeshvara, eines erleuchteten Wesens aus der buddhistischen Tradition, plastisch dargestellt wird.

Kambodscha Angkor Tänzerinnen

Kambodscha Angkor ThomKönig Jayavarman VII., der den Bau der Stadt begann, setzte sich selbst mit dem erleuchten Boshisattva gleich - und ließ deshalb an den ehedem rund fünfzig Türmen des Bayon-Tempels das Gesicht des Bodhisattvas an allen vier Seiten anbringen. Ein Großteil dieser Gesichtertürme ist noch erhalten –-auch wenn Kunst- und Souvenirräuber sämtlichen Heiligtümern von Angkor bereits kräftig zugesetzt haben.

Ein Atlantis - im Dschungel versunken

Für einen Besuch der Tempelanlagen um Siem Reap empfiehlt es sich, ein 3-Tages-Ticket zu erwerben. Das lässt genug Zeit, neben Angkor Wat und Angkor Phnom auch noch weitere Heiligtümer zu besuchen - beispielsweise Ta Prohm, einen Flachtempel, der zum Teil von 400 Jahre alten Kapok-Bäumen überwuchert wird, die ihre Wurzeln durch das Mauerwerk schieben. Hier lässt sich erahnen, in welchem Zustand die Heiligtümer waren, als sie von dem französischen Naturforscher Henri Mouhot im Jahr 1860 wiederentdeckt wurden, gewissermaßen wie ein im Dschungel versunkenes Atlantis.

Einer der ältesten und kunstvoll gestalteten Tempel ist der mit filigranen Ornamenten und Reliefs überzogene Banteay Srei, der etwa zwanzig Kilometer von Angkor entfernt Richtung Nordosten liegt. Als einsamer Entdecker freilich kann man sich hier ebenso wenig fühlen wie in den anderen Tempelanlagen. Denn der Angkor-Tourismus boomt. Nirgends wird das deutlicher als beim Besuch des Tempelbergs Phnom Bakheng.

Kambodscha Angkor

Flachtempel Ta Prohm: vom Dschungel gefangen

Der insgesamt siebengeschossige Tempel auf der Spitze des Berges, der zu Fuß oder per Elefantenritt erreicht werden kann, erlebt tagtäglich in den Abendstunden eine regelrechte Masseninvasion, weil sich von hier besonders spektakuläre Sonnenuntergänge bewundern lassen. Vom Phnom Bakheng aus hat man zudem nicht nur einen Blick auf Angkor Wat, sondern auch zum Tonle-Sap-See, der Lebensader des flach gelegenen Reislandes Kambodscha.

Schwimmende Dörfer

Kambodscha Angkor schwimmendes Haus

In der Regenzeit vervierfacht der See seine Fläche. Der Wasserstand des Sees, der über den Tonle-Sap-Fluss mit dem Mekong verbunden ist, steigt um etwa neun Meter an. Von Siem Reap aus ist der See in etwa zwanzig Minuten erreicht. Im Fischerdorf Chong Kneas warten Dutzende von Booten, die Touristen zu einem der schwimmenden Dörfer bringen, die für den See so typisch sind, doch hier eher wie eine befremdliche Showvorführung wirken.

Kambodscha Angkor Boote

Auf dem Weg zu den schwimmenden Dörfern

Mit Touristen lässt sich Geld verdienen – das wissen hier bereits die Kinder, die in überdimensionierten Suppentöpfen auf dem Tonle-Sap-See schwimmen und die schnell an die Ausflugsboote heranrudern und um Geld betteln. Dabei fragen sie die Besucher gleich nach einem Dollar - für Kambodscha ist das viel Geld, denn viele Arbeiter verdienen hier nicht mehr als zwei oder drei Dollar täglich.

 

Reiseinformationen

Kambodscha Angkor Kinder mit FahrradEinreise

Für die Einreise ist ein Visum erforderlich, das bei der Botschaft oder auch am Flughafen und an bestimmten Grenzübergängen bei der Einreise für 30 Tage ausgestellt werden kann. Genaueres zu den Bestimmungen: www.kambodscha-botschaft.de

Anreise

Von Europa aus kann man Kambodscha nicht mit einem Direktflug erreichen. Wird der Aufenthalt im Kambodscha mit einer Vietnamreise kombiniert, empfiehlt sich die Anreise mit Vietnam Airlines. Diese Fluggesellschaft bietet mehrmals wöchentlich nonstop Verbindungen nach Hanoi und nach Saigon an. Informationen und Buchung bei Vietnam Airlines, Rossmarkt 5, D-60311 Frankfurt, Tel. 069/2972560, E-Mail: info.de@vietnamairlines.com, www.vietnamairlines.com/de/de/home.

Klima

Es herrscht tropisches Klima mit einer Regenzeit von Mai bis Oktober.
Ideale Reisezeit sind die Monate von November bis April.

Rundreisen

Der Studien- und Erlebnisreisenspezialist Gebeco (Tel. 0431/54460, www.gebeco.de) hat Reisen nach Vietnam und Kambodscha im Programm.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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