Vestmannaeyjar – Leben mit dem Vulkan

Ein Besuch auf den Westmännerinseln

Test und Fotos: Uwe Lexow

Westmännerinseln - Blick auf Heimaey

Blick auf Heimaey

Es gibt Landstriche, die vom Schicksal nicht gerade verwöhnt worden sind. Das Inselarchipel der Westmännerinseln, ein paar Kilometer vor der Südküste Islands gelegen, gehört sicherlich dazu.

Die Verstmannaeyjar bestehen aus 14 Inseln, 30 Schären und 30 Felsen, die durch submarine Vulkanausbrüchen entstanden. Sie liegen geologisch auf dem mitteloceanischen Rücken an der Nahtstelle zwischen der nordamerikanischen und der eurasischen Platte in der aktiven Vulkanzone, die sich mit der Katla und der Hekla nach Norden fortsetzt.

Ein Blick in die Vergangenheit

Schon die historischen Anfänge der Inseln sind blutgetränkt: Um das Jahr 874 kamen die ersten norwegischen Dauersiedler auf Island an. Zu ihnen gehörten Ingólfur Arnarson und sein Blutsbruder Hjörleifur. Hjörleifur siedelte zunächst an der Südküste. Der Überlieferung nach war er seinen irischen Sklaven gegenüber sehr grausam und wurde schließlich von ihnen ermordet. Aus Furcht vor der Rache Ingolfurs flüchteten die Sklaven auf eine der Südküste vorgelagerte Inselgruppe. Als Ingolfur die Tat entdeckt, verfolgt er die Sklaven und tötet sie.

Seit dieser Zeit werden die Inseln Westmännerinseln genannt. Als „Westmänner“ wurden Sklaven bezeichnet, die die norwegischen Siedler von den britischen und irischen Inseln mitbrachten. Diese Inseln liegen westlich von Norwegen.

Im Jahr 1627 fiel in der Zeit vom 4. bis 19. Juli eine Armada von insgesamt 14 Piratenschiffen über Island her. Die Piraten stammten aus Nordafrika, das damals unter der Herrschaft des türkischen Sultans stand.Von den 14 Schiffen fuhren 10 nach Süd-Island, 1 Schiff segelte nach Reykjavik und 3 Schiffe überfielen am 16. Juli 1627 die Westmännerinseln.

Die Dänen hatten zwar Ende des 15. Jahrhunderts zum Schutz vor Überfällen eine Befestigungsanlage bauen lassen, die aber nichts nützte, weil die Piraten die Befestigungsanlage kannten und daher an der Küste entlang fuhren und schließlich im Süden anlandeten.

Eine Gruppe nahm sich den Pfarrhof Ofanleiti und die Bauernhöfe in der Umgebung vor, die zweite Gruppe ging Richtung Osten zum Helgafell und Kirkbaer Gebiet, während die 3. Gruppe direkt zu den Häusern am Hafen ging und alle Menschen gefangen nahm. Bis zum Abtransport wurden die Gefangenen innerhalb der Festung im Dönskunhusin, dem dänischen Haus, eingesperrt. Leute, die für die Piraten wertlos waren, wurden in ihren Häusern verbrannt. Da insgesamt in Heimaey nicht viel zu holen war, ermordeten die Piraten kurzerhand 36 Menschen und nahmen 242 der Einwohner als Sklaven mit ( dies entsprach der Hälfte der damaligen Bevölkerung ) , in der Hoffnung, eine satte Lösegeldsumme vom dänischen König zu kassieren.

Ein Teil der gefangenen Isländer starb bereits auf der Überfahrt nach Algerien an Unterernährung, Krankheiten oder der Hitze, die die Isländer nicht gewöhnt waren. Einige der Frauen wurden als Mätressen verkauft, andere wiederum liefen zu den Piraten über. Ein Teil der Gefangenen wurde auf dem Sklavenmarkt verkauft. Isländer brachten dort generell keinen guten Kurs.

Für einen alten Mann wie Olafur Einarsson wurde auf dem Markt so gut wie nichts bezahlt. Er wurde deshalb nach Island zurück geschickt, um Lösegeld aufzutreiben. Das Lösegeld wurde über Schottland, Frankreich und Italien geschickt. Bei den ersten zwei Sammelaktionen „versickerte“ das Lösegeld irgendwo auf dem Weg in den Süden. Olafur Einarsson wandte sich dann persönlich an Christian IV in Dänemark, der hatte aber gerade eine Niederlage im 30-jähringen Krieg erlitten und war selbst pleite. Einarsson schrieb dann ein Buch über die Entführung und verkaufte es. Aus dem Erlös konnten im 3. Anlauf dann 37 Isländer nach Jahren freigekauft werden. Nur 27 Gefangene erreichten im Jahr 1637 lebend ihre Heimat wieder.

In den folgenden Jahren folgte ein Desaster nach dem anderen. Nicht nur dass die Trinkwasservorräte zunehmend knapper wurden, im Jahr 1783 führte ein Vulkanausbruch zur Verseuchung des umliegenden Meerwassers, demzufolge sämtliche Fische in den Gewässern um die Westmänner-Inseln verendeten.

Weltbekannt wurden die Westmännerinseln in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Am 14. November 1963 entdeckten Fischer etwa 20 km südwestlich von Heimaey, der größten der 15 Inseln der Westmännergruppe, die aus dem Meer aufsteigende Rauchsäule eines Vulkanausbruchs. Im Laufe der nächsten dreieinhalb Jahre entstand die Insel Surtsey, benannt nach dem Feuerriesen Surtur. Sie erreichte eine Höhe von 188 m und eine Fläche von rund 2,5 Quadratkilometern. Die Insel, die von Weitem aussieht wie eine schlafende Ratte, darf nur von Forschern betreten werden.

Westmännerinseln - Blick auf Surtsey

Blick auf Surtsey

Der Kampf zwischen Feuer und Wasser war mit dem Ende des Surtseyausbruchs im Jahr 1967 noch nicht beendet - das Meer nagt seitdem ständig an der erkalteten Lava und hat inzwischen 15% der ursprünglichen Inselfläche abgetragen. Andere Inseln, die ebenfalls in den sechziger Jahren neu entstanden, wurden bereits nach kurzer Zeit wieder vollständig abgetragen. Syrtlingur trotzte dem Meer z.B. nur 6 Monate, die "Weihnachtsinsel" Jólaey hielt dem Meer immerhin vom Dezember 1965 bis September 1966 stand.

Über Heimaey, die einzige ständig bewohnte Insel der Westmänner, brach das Unglück in der Nacht vom 22. auf den 23. Januar 1973 herein. Ohne Vorankündigung öffnete sich nur einige hundert Meter vom Stadtzentrum entfernt eine fast 2 km lange Eruptionsspalte mit mehreren Kratern. Auf einer Länge von 1,6 Kilometer war im nordöstlichen Teil der Insel die Erde aufgebrochen. Glühendes Magma spuckte meterhoch aus der gespenstischen Spalte in den Nachthimmel und tauchte den Stadtrand des 5000-Seelen-Fischerstädtchens in ein gespenstisches Licht. Eine gigantische, zähflüssige Lavawalze begann wenig später auf die ersten Häuser zuzurollen, es regnete Asche und heiße Steinbrocken bis hinunter zum Hafen.

Westmännerinseln - Häuser nach dem Vulkanausbruch

Nur dem glücklichen Umstand, dass wegen schlechten Wetters in dieser Nacht praktisch die gesamte Fischereiflotte im Hafen lag, ist es wohl zu verdanken, daß die Insel innerhalb weniger Stunden evakuiert werden konnte und keine Menschenopfer zu beklagen waren. Während des Ausbruchs auf Heimaey, der insgesamt 5 Monate dauerte, flossen über 230 Millionen Kubikmeter Lava aus, 417 Häuser der Stadt wurden unter den teilweise 18 m hohen Lavamassen begraben.

Nach und nach baute sich der neue Vulkan Eldfell (Feuerberg) auf. Insbesondere befürchtete man, dass ein Lavastrom die lebenswichtige Hafeneinfahrt verschütten könnte. Heimaey besaß den einzigen Hafen Südislands, der auch in den heftigen Winterstürmen, einigermaßen für Schiffe und Fischerboote sicher war. Würde das Magma die Hafeneinfahrt versperren, dann wäre die Insel unbewohnbar, die Fischfabriken hätten schließen müssen, die Menschen wären plötzlich nicht nur ohne Zuhause, sondern auch ohne Zukunft dagestanden.

Westmännerinseln - Bild auf einer Wand im Hafen: Heimaey und Eldfell

Bild auf einer Wand im Hafen: Heimaey und Eldfell

Wissenschaftler aus ganz Europa und den USA boten ihre Hilfe an und entwickelten die ungewöhnlichsten Theorien zur Rettung der Stadt. Eine davon beinhaltete sogar, mit Hilfe des US-Schlachtschiffs "Arizona" ein Loch in die Ostflanke des Eldfell zu schießen, um so die Lava ins Meer abfließen zu lassen.

Aber ein anderer, ähnlich verrückt klingender Plan bekam schließlich den Zuschlag: Die Kühlung und Ablenkung des Lavastroms durch Meerwasser. Zu diesem Zweck ließ die US-Luftwaffe eigens vom Flughafen Chicago besonders leistungsfähige Wasserpumpen einfliegen. Tag und Nacht wurde die 1100 Grad heiße Lavafront nun mit 6 Millionen Liter kaltem Meerwasser abgekühlt, kämpften unzählige Feuerwehrleute mit Schläuchen und Schaufeln gegen die vernichtende Urgewalt des "Feuerbergs", um die glühendheiße Lawine nach Osten ins Meer abzulenken.

Westmännerinseln - unter Lava begrabenes Haus

Unter Lava begrabenes Haus

Das Unternehmen gelang tatsächlich und der Lavastrom konnte rechtzeitig gestoppt werden, bevor er die Hafeneinfahrt verschütten konnte.Heute bietet der neu entstandene Lavawall und der Eldfell dem Hafen und der Stadt zusätzlichen Schutz bei Stürmen.

Heimaey ist heute leicht zu erreichen. Mehrere Linienflüge der Icelandair verbinden Heimaey mit dem "Festland" und die Fähre Herjólfur verkehrt seit Sommer 2010 täglich zwischen Heimaey und Þorlákshöfn an der Südküste Islands.

Westmännerinseln - Fähre von Heimaey

Fähre von Heimaey

Die Anreise per Flugzeug hat allerdings ihre Tücken: Oft schlägt das Wetter auf Heimaey binnen weniger Stunden um, und schlechtes Wetter verhindert den Rückflug, so dass man auf Heimaey übernachten muss. Ein paar Tage sollte man sich ohnehin für Heimaey schon Zeit nehmen, will man den Zauber des Örtchens und seiner Umgebung erkunden. Zu bieten hat die Hauptinsel der Westmännerinseln eine ganze Menge.

Auf Heimaey unterwegs

Wer einigermaßen zu Fuß ist, kann problemlos auf eigene Faust auf die Schlackehänge des Eldfell hinauf wandern, wobei einem bei einem Blick von oben bewusst wird, wie knapp das Städtchen der Katastrophe entkommen ist.

Westmännerinseln - Wandergruppe auf dem Weg zum Eldfell

Wandergruppe auf dem Weg zum Eldfell

Auch der Nicht-Geologe wird von der farbigen Vielfalt vulkanischer Gesteinsformationen überrascht ( Achtung, an einigen Stellen ist die Lava auch heute noch heiß!), in den Felsvorsprüngen an der Küste präsentiert sich dem Ornithologen reges Vogelleben. Insbesondere lohnt es sich, die bunten Papageitaucher zu beobachten, die am Rande der Felsen lange Bruthöhlen in das Gras gegraben haben, und ihre Jungen mit Sandaalen versorgen. Die Eier der Papageitaucher werden, wie auch die Vögel selbst, teilweise noch heute als Delikatesse gegessen. Früher gehörten sie zum festen Bestandteil eines ansonsten recht kargen Speisezettels der Inselbewohner.

Westmännerinseln - Papageitaucher

Papageitaucher

Alle Wanderwege sind gut kenntlich gemacht – mit Wegweisern in Form von Papageitauchern.

So kann man denn auch auf den Spuren des Piratenüberfalls von 1627 wandeln, und zur „Piratenbucht“, der Anlandestelle der Invasoren, hinunterlaufen.

Wem nach Kirchengeschichte zumute ist, findet in Hafennähe eine moderne Kopie einer mittelalterlichen Stabkirche. Der im norwegischen Lom nach der Vorlage der Stabkirche Haltdalen konstruierte und nach Island verschiffte Bau wurde am 30. Juli 2000 als Geschenk von Norwegen an Island übergeben.

Westmännerinseln - Stabkirche

Stabkirche

Und wer einfach nur Stille oder die Stimmung ohne Hektik auf sich einwirken lassen will, geht einfach „nur zum Strand“ hinunter. Auf Heimaey, meint man, ist die Zeit stehen geblieben.

Westmännerinseln - Strand von Heimaey

Strand von Heimaey

Den Hauptweg zum Leuchtturm zu verlassen, um querfeldein zu den Trockengestellen für Trockenfisch zu gehen, ist ein „Muss“ für Fotografen. Die Mitnahme eines Fischkopfes als Souvenir hat sich allerdings als nicht zweckmäßig erwiesen – geht von den Fischköpfen selbst Monate später noch immer ein penetranter Geruch aus.

Westmännerinseln - Fischgestell

Trockengestell für Trockenfisch

Natürlich kann man auch noch Häuser bestaunen, die von der Wucht der Lava zusammengepresst wurden. Die Ausgrabungsstätte nennt sich „Pompei des Nordens“. Auch wenn die Bezeichnung vielleicht etwas überzogen erscheint, spannend ist der Besuch allemal. Wer weniger gut zu Fuß ist, kann mit dem Boot um die Hauptinsel herum fahren und die Vogelfelsen vom Wasser aus betrachten, oder den Feuerberg Eldfell vom Wasser aus bestaunen.

4100 Menschen leben heute auf Heimaey, die ihr Zuhause für nichts auf der Welt aufgeben würden. In der Stadt sind wie selbstverständlich Großfotos von den verschütteten Häusern von damals aufgehängt. Sie gehören zum Stadtbild wie der Vulkan selbst. „Wir leben mit dem Vulkan“, sagte mir ein Einwohner. Vielleicht ist es ein Tanz auf dem Vulkan. Niemand weiß, wann auf Heimaey die Erde wieder aufreißt. Von hier bis zum Eyafjallajökull, der im April 2010 Lava und Asche gespuckt und für weltweite Flugausfälle gesorgt hat, ist es nur ein Katzensprung.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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