Indien im Überblick

Ein Reiseziel im klassischen Sinn, das ist Indien auf jeden Fall. Seit der Antike locken Kultur und Kunst, Exotik und Schätze des Orients, faszinierende Natur und kulinarische Köstlichkeiten Eroberer, Forscher und Globetrotter an. Doch Indien ist mehr. Es ist eine Welt, ein Kosmos für sich, der sich nur in Ausschnitten porträtieren, nur in Ansätzen verstehen lässt.

Im Nordosten Indiens

Im Nordosten Indiens
Foto: Dagmar Krappe

Den Entscheidungsbereich der Seele nannte der französische Schriftsteller André Malraux das Land der Mystiker und Philosophen, der Magier und Meister der Weisheit. Hier ist der Ursprung Jahrtausende alter Zivilisationen, die Quelle religiöser Offenbarungen und Spannungen. Indien gleicht einem soziologischen Lehrbuch mit mehr als sieben Siegeln. Auf Schritt und Tritt fordert es heraus zu einer Gratwanderung zwischen Kontrasten und Extremen. Da konkurrieren nicht nur Gletscherberge mit Regenwäldern, Großstadtmoloch und Dorfidylle, strenge Keuschheit mit der Sinnlichkeit des Kamasutra, Askese mit kulinarischen Genüssen, althergebrachtes Handwerk mit revolutionärer Technologie, sondern auch blendender Reichtum mit erschütternder Armut archaisches Rechtsystem mit freiheitlichem Denken in der Welt größter Demokratie. Es ist ein Riesenland, das mit über 100 Flughäfen, mit einem immensen Straßen- und dem weltweit zweitlängsten Schienennetz aufwartet. Rustikale und luxuriös-nostalgische Verkehrsmittel wie ein nachgebauter Maharadscha-Eisenbahnzug, aber auch eine Rikschafahrt oder eine Camel Safari stehen bereit, um den einfühlsamen Reisenden durch die einzigartige Vielfalt an Landschaften, Nationalparks und Kulturdenkmälern, Völkern, Traditionen, Religionen, Festen und Sprachen zu bewegen.
Indien, das ist der tägliche Reiz des Unbekannten. Ein Abenteuer physischer und mentaler Art, das die hier beheimateten Lehren Ayurveda, Yoga und Meditation einschließt.

Schon angesichts der geografischen Fakten ist Bharat, so lautet der amtliche Name des nach China bevölkerungsreichsten Landes, überwältigend. Es erstreckt sich mehr als 3200 km von Nord nach Süd, vom Himalaya bis tief in den nach ihm benannten Ozean. Von West nach Ost, vom unruhigen Grenzgebiet mit Pakistan bis zum Nachbarland Burma (Myanmar) sind es rund 2900 km. Bis er diese prominente Lage in Südasien einnehmen konnte, musste der heutige indische Subkontinent eine weite Reise zurücklegen. Als einer der vom Urkontinent Gondwanaland abgelösten Erdteile driftete er vor Millionen von Jahren nach Nordosten. Die hoch aufragenden Faltengebirgsgürtel des Himalaya und das sich über weite Teile Nordindiens ausdehnende Dekhan-Hochland geben markantes Zeugnis von der Kollision Indiens mit der eurasischen Landmasse.

Vom Dach der Welt umgeben liegen die nördlichen Nachbarn China, Nepal und Bhutan. Hier türmen sich Gebirgswälle parallel zueinander auf und schirmen entlegene, wild-romantische Gebiete wie das Kul-Tal in Himachal Pradesh oder das durch die indisch-pakistanische Dauerkrise zusätzlich isolierte Hochtal von Kaschmir ab. Über den Bergregionen in Indiens Nordosten, den Teeplantagen von Assam und Darjeeling, den Gebetsfahnen vor buddhistischen Klöstern liegt dennoch das Flair von Frieden und „Shangri-La“, dem verlorenen Paradies. Im ehemaligen Königreich Sikkim erhebt sich des Landes höchster Berg. Mit 8528 m ist der Kanchenjunga nach dem Mount Everest in Nepal und dem K2 in Pakistan die Nummer Drei auf der Weltgipfelliste. Von großer religiöser Prominenz ist das heutige Grenzgebiet zu Nepal, seit Siddharta Gautama einst bei Bodhgaya zu „Buddha“, dem Erleuchteten wurde.

Rekorde brechen auch die drei Lebensadern des Subkontinents. Indus, Ganges und Brahamaputra zählen zu den längsten Flüssen Asiens und haben bedeutende Zivilisationsepochen genährt. Insbesondere die sich an die Gebirgszone anschließenden fruchtbaren Schwemmländer in der Ganges-Brahmaputra-Ebene, von den starken, regelmäßigen Monsunregen genährt, haben schon vor rund 3500 Jahren Einwanderer aus dem Inneren von Asien angelockt. Die Arier, frühe Siedlervölker dokumentierten ihre Lebensweise in den Veden, episch verfassten Geschichtsbüchern. In ihre Kultur fallen die Anfänge von Hinduismus und Kastenwesen. Unter der Herrschaft der ersten Großreiche entstanden wichtige religiöse Strömungen wie Jainismus und – unter der Regentschaft von Kaiser Ashok vor allem der Buddhismus. Bis ins 13. Jahrhundert n.Chr. dehnte sich der politische und kulturelle Einfluss bis nach Südostasien aus. Schließlich konnte sich der Islam für die nächsten 500 Jahre in Nordindien etablieren. Der Dynastie der Moguln, die für Gewalt, Zerstörung, blutige Intrigenpolitik, aber auch für pompösen Glanz einer imperialen Epoche steht, folgten Machthaber aus Persien und schließlich die Kolonialherrschaft der Briten, bevor Indien 1947 die Unabhängigkeit erlangte.

So befremdend die Hauptstadt Dehli aufgrund ihrer ausufernden Größe und Menschenmassen zunächst wirken mag, so eindrucksvoll vermittelt sie Indiens Vergangenheit und Realität. Kutub Minar, Rotes Fort, India Gate und Raj Ghat sind beispielsweise solche Marksteine der Geschichte. Persönlichkeiten wie Schah Dschahan, Mahatma Gandhi, Jawaharlal Nehru, Indira und Rajiv Gandhi haben sich hier verewigt. Die Regierungszentrale ist neben den anderen Megastädten Mumbai (Bombay), Kalkutta, Bangalore und Chennai (Madras) Drehscheibe für Handel und Verkehr, leider auch ein Ballungsraum des sozialen Elends, das auch die Millionen verarmter Zuwanderer vom Land nicht verschont.

Goa

Goa
Foto: Karsten Thilo Raab

Nur ein paar Fahrstunden von der Metropole entfernt ragt eine der berühmtesten Sehenswürdigkeiten der Welt empor: Taj Mahal in Agra, das Grabmal aus Marmor, das als eines von 16 nationalen Kulturstätten zum UNESCO-Welterbe gehört. Insbesondere , der zweitgrößte Bundesstaat und „Land der Könige“, verkörpert ganz das Bild vom Orient, wo exotische Klischees und Wirklichkeit verschmelzen. Zahlreiche Burgen und Schlösser der Rajputenherrscher, wie alle indischen Fürstenkollegen längst ihrer politischen Privilegien beraubt, dienen heute als märchenhaft anmutende Herbergen, hier nobel saniert, dort mit der Originalpatina. Mit oder ohne feudales Ambiente der Unterkünfte, die Reiseziele Nordindiens sind überaus eindrucksvoll und oft aufregende Fenster in die Vergangenheit. Gute Gelegenheit, einen solchen Zeitsprung zu wagen, bieten die Märkte und Basare. In vielen Orten haben sich aus regionalem Anlass farbensprühende Festivals mit internationalem Ruhm entwickelt. In Jaipur, wo ein Spaziergang durch die Kernstadt “Pink City“ den Besucher um einhundert Jahre zurückzuversetzen scheint, widmet man den Elefanten einen Feiertag, in Bikaner findet das Kamelfestival statt, in Rishikesh, am Fuß des Himalaya dreht sich eine Woche lang alles um Yoga. In Jaisalmer, der alten Karawanenstadt inmitten der von Nomaden bewohnten Wüste Thar, begeht man stilgemäß das Desert Festival, und die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht scheinen tatsächlich lebendig zu werden scheinen. Ausgelassene Feste kennt man in ganz Indien, denn vor allem die Hindu-Gläubigen feiern meistens mit Bezug zu ihren anscheinend unzähligen Gottheiten und immer in sprudelnder Lebensfreude. Um an allen teilnehmen zu können, würde eine wiederholte Wiedergeburt nicht ausreichen. Um Reinkarnation und rituelle Reinigung dreht sich alles in Indiens heiliger Stadt Varanasi am Ufer von „Mutter Ganga“. Jeder fromme Hindu sehnt sich nach dem geweihten Ganges-Wasser, das schließlich seine Asche nach der Verbrennung auf den Ufertreppen der Erlösung näher bringen soll. In kaum einem Ort auf Erden ist man Leben und Tod so nahe.

Sandsteinhöhlen Orissa

Sandsteinhöhlen (Orissa)
Foto: Dagmar Krappe

Im Westen stehen zwei geografische Begriffe ganz oben auf der Bekanntheitsskala: , der kleinste Bundesstaat mit portugiesisch-christlichem Kulturerbe und rund 100 Kilometer langen Stränden, die nicht nur Hippies und Aussteiger anziehen, sondern auch in den Broschüren des internationalen Tourismus für das Erholungsziel Indien werben. Dann ist da Mumbai, wie der alte, jetzt offizielle Name der Hafenstadt Bombay lautet. Pulsierend, rastlos, mit dem Flair eines Wirtschaftsmagneten, dem die hier angesiedelte größte Filmschmiede der Erde zum Spitznamen „Bollywood“ verholfen hat. Dem stehen andere Attraktionen im Westen kontrastreich gegenüber. Das klimatisch angenehme Poona, wo im Ashram des Baghwan Rajnesh sich Pilger aus aller Welt einfinden, die alten buddhistischen Höhlentempel bei Ajanta und Ellora, die Bergfestung von Gwalior in Madhya Pradesh, dem größten indischen Teilstaat. Vom Aussterben bedrohte Tiger, Panther und Büffel erspäht man mit Glück in Wildschutzgebieten wie Kanha, Banhvagarh oder in den Mahadeo Hills, wo sich Rudyard Kipling zu seinem „Dschungelbuch“ inspirieren ließ. Die allerletzten indischen Löwen gibt es im Gir Forest im Nachbarstaat Gujarat zu bestaunen. Im dortigen Küstenort Porbandar wurde 1869 Mahatma Gandhi, die „Große Seele“ Indiens geboren. Wer sich in Ahmedabad, der Hauptstadt von Gujarat aufhält, sollte das von Gandhi gegründete Meditationszentrum besuchen.

Will man prägnante Merkmale Südindiens nennen, so fällt die Aufgeschlossenheit der Menschen auf. Eine über lange Zeit isolierte Lage hat diesen Teil des Subkontinents vor einer derart wechselhaften Geschichte wie im Norden, mit Invasionen, Fremdherrschaften und Grenzkriegen bewahrt. Eine friedlich-entspannte Atmosphäre liegt über dem Land, fruchtbare, sanfte Landschaften, lang gezogene Strände und die beeindruckende Palette an Kunstschätzen und farbenfrohe Tempelbauten verstärken den Eindruck, dass sich die Hindu-Götter hier besonders wohl fühlen müssen.

Aber wie überall in Indien hat auch diese Idylle ihren Kontrapunkt: Kalkutta. Die größte Stadt des Landes hat bei Fremden und Einheimischen viele Beinamen, und die sind ganz und gar nicht schmeichelhaft. Moloch, Monster, Inbegriff von Kulturschock; „sterbende Stadt“ nannte beispielsweise Rajiv Gandhi die 12 Millionen-Metropole, die aus allen Fugen quillt. Mutter Theresa wurde dort durch ihren Einsatz für die Ärmsten der Elenden berühmt, die Briten mieden Kalkutta, das, von 1773 bis 1912 Hauptstadt der Kolonie, zum Zentrum der indischen Freiheitsbewegung wurde. Trotz oder gerade wegen des an allen Ecken sichtbaren Überlebenskampfes ist Kalkutta die Stadt der Intellektuellen und Künstler, wo selbst der kleine Mann zum Philosophen wird.

Die Umgebung gibt einen versöhnlicheren Startpunkt für eine Reise in Südindien ab. Wie das Kanal- und Inselsystem der Sundarbans im Gangesdelta. Oder die Strandregion im Nachbarstaat am Golf von Bengalen mit ihren ruhigen Fischerdörfern. Eine andere Ausgangsstation ist Hyderabad, das Zentrum Jahrhunderte alter muslimischer Kultur im Landesinnern. Ebenfalls eine Mehrmillionenstadt ist Chennai, besser bekannt als Madras, der alte Handelshafen an der Koromandelküste. An die geheimnisvollen Anfänge indischer Geschichte erinnern die drawidischen Tempelbauten bei Mahabalipuram, während die Pilgerstadt Madurai, der Legende nach von Lord Shiva höchstpersönlich gegründet, eine Hochburg tamilischer Kultur ist.

Tropisches Flair, vor allem ausgedehnte Kokos- und Pfefferplantagen prägen die Landschaft um Cochin, Hauptstadt im Staat Kerala und wichtiger Hafen an der Malabarküste, in dem die portugiesischen Konquistadoren ihre Spuren hinterlassen haben. In Kerala hat Ayurveda, die 5000 Jahre alte Heilkunst und „Weisheit vom langen Leben“ ihre Wiege. Passend dazu bietet das Hinterland außer den palmengesäumten „Backwaters“ üppig-grüne Hügelketten und Wildreservate, wo komfortable Hotels, Sommerfrischen früherer Kolonialherren, auf Gäste warten.

Mit anmutigen Gärten und Blütenpracht wirbt , Hauptstadt von Karnataka. Und hier drängen sich dann wieder Gegenwart und Fortschritt ins Bewusstsein: Die „Stadt der Düfte“ ist eine der modernsten Städte Indiens und Zentrum der Computertechnologie.

Text: Albrecht G. Schaefer


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