Auferstanden trotz Ruinen

Antigua Guatemala: die ehemalige Hauptstadt Zentralamerikas

Text und Fotos: Rainer Heubeck

Antigua boomt. Touristisch stiehlt die Kolonialstadt dem Wirtschafts- und Verwaltungszentrum Guatemala City ganz eindeutig die Schau. Es ist die zweite Blütezeit dieser einstigen Hauptstadt Mittelamerikas, die neben Mexiko City und Lima einmal eine der drei größten und bedeutendsten Städte im spanischsprachigen Lateinamerika war.

Antigua

Zum Cerro de la Cruz, mahnt Antonio Cuxil, solle man am besten nicht allein gehen. Der Aussichtpunkt, an dem ein großes Steinkreuz aufgestellt ist, liegt zwar nur wenige Hundert Meter außerhalb der Stadt auf einem Hügel. Doch bei dem zehnminütigen Fußmarsch dorthin, so versichert Antonio, ein Maya, der seit Jahren mit Touristen arbeitet, seien schon etliche Besucher überfallen worden.

Guatemala Antigua Mirador

Der Fußweg hat sich gelohnt

Wer kein Risiko eingehen will, besucht den Mirador, so das spanische Wort für Aussichtspunkt, deshalb besser mit Polizeischutz. „Die Touristenpolizei begleitet zwei Mal am Tag Spaziergänge dort hinauf“, erläutert Antonio Cuxil. Eine Warnung, die daran erinnert, dass wir uns in Guatemala befinden: einem der ärmsten Länder Zentralamerikas, einem Land, das Jahrzehnte der Militärdiktatur und des Bürgerkriegs hinter sich hat.

Aufstieg und Fall einer noblen Hauptstadt

In Antigua Guatemala, einer idyllischen Kolonialstadt, die über Jahrhunderte die Hauptstadt ganz Mittelamerikas war, könnte man das fast vergessen. Denn die Spuren der Zerstörung, denen der Besucher in Antigua begegnet, sind ganz anderer Art: Von vielen Gebäuden steht nur noch die Fassade, selbst der schmucken weißen Catedral Metropolitana, die an der Ostseite des Parque Central liegt, fehlt das Dach.

Guatemala Antigua Catedral Metrooplitana

Die Fassade der Catedral Metropolitana

Die Schäden sind keine Folge des blutigen Bürgerkrieges, der im Jahr 1960 begann und erst am 29. Dezember 1996 offiziell beendet wurde - und der rund 150.000 Guatemalteken das Leben gekostet hat. Sie sind auch kein direktes Werk der drei stattlichen, aber mittlerweile erloschenen Vulkane, die Antigua umgeben. Nein, nicht der 3766 Meter hohe Agua, der annähernd gleich hohe Fuego und der fast 4000 Meter hohe Acatenango haben die großartigen Bauwerke der Stadt zum Einsturz gebracht.

Die gewaltige, alles erschütternde Kraft kam nicht von oben, sondern von unten: Ein Erdbeben läutete im Jahr 1773 das vorläufige Ende der stolzen Hauptstadt ein, die damals den Namen „Muy Noble y Muy Leal Ciudad de Santiago de los Caballeros del Reino de Goathemal“ trug. Eine Stadt, die zweifellos die bedeutendste, aber nicht die erste Hauptstadt Mesoamerikas war - eines Gebiets, das die Spanier ab dem Jahr 1524 von Mexiko aus erobert hatten.

Guatemala Antigua Kreuz

Blick auf die Stadt vom Mirador

Die erste Stadtgründung im heutigen Guatemala - initiiert vom Konquistador Pedro de Alvorado - wurde nach einem Aufstand der Indios bald wieder aufgeben. Die zweite Stadt zerstörte 1541 der Vulkan Aqua - allerdings nicht durch glühende Lava, sondern durch eine erdrutschartige Schlammlawine. Rund zwei Jahre später, am 16. März 1543 gründeten die Spanier schließlich das heutige Antigua. Die eigentliche Blütezeit der Stadt begann mehr als fünfzig Jahre später. Antigua wuchs auf bis zu 70.000 Einwohner an und gehörte zeitweise - neben Mexiko-Stadt und Lima – zu den drei größten und bedeutendsten Städten Spanisch-Lateinamerikas. Von Antigua aus wurde nicht nur das Staatsgebiet des heutigen Guatemala beherrscht - die Stadt war für ein Territorium zuständig, das von Yucatán und Chiapas bis nach Costa Rica reichte - und damit auch Teile von Mexiko sowie die heutigen Staatsgebiete von El Salvador, Honduras und Nicaragua umfasste.

Kirchlicher Glanz

Aus dieser Zeit der spanischen Herrschaft und Prachtentfaltung stammen die Gebäude, deren Ruinen und Rekonstruktionen heute Flair und Charme Antiguas ausmachen: Bürgerhäuser und Paläste, Klöster und Kirche.

Guatemala Antigua Innenhof Kapuzinerinnen

Innenhof Kapuzinerinnenkloster

Wie überall in Mittel- und Südamerika, kamen auch in Guatemala die Missionare und Priester gemeinsam mit den Konquistadoren. In den Hochzeiten des katholischen Einflusses gab es in Antigua knapp vierzig Kirchen, dazu kamen mehr als ein Dutzend Klöster - Franziskaner und Dominikaner, Mercedianer und Jesuiten, Klarissinnen und Kapuziner.

Die Kirche La Merced, ein reich verziertes, barockes Bauwerk, war erst sechs Jahre vor dem Erdbeben geweiht worden. Sie gilt heute als schönste Kirche der Stadt.

Guatemala Antigua La Merced

Unaufdringlicher Charme: die Barockkirche La Merced

Das gelb getünchte Gotteshaus ist ein Ziel der Prozession in der Karwoche, die in Antigua besonders farbenprächtig zelebriert wird. Im Mittelpunkt der Feierlichkeiten, bei denen die Gläubigen die Straßen der Stadt mit Bodenbildern aus gefärbtem Sägemehl schmücken, steht eine schwarze Jesusfigur, die sich normalerweise rechts vom Altarraum der Merced-Kirche befindet.

Der größte Teil der Heiligenfiguren, Altäre und Bilder, die sich vor dem Erdbeben in der Merced-Kirche befunden hatten, wurde allerdings abtransportiert. Denn schon kurze Zeit nach dem verheerenden Erdbeben im Jahr 1773 gründeten die spanischen Eroberer eine neue Hauptstadt, das heutige Guatemala City. Auch die erste Universität Mittelamerikas - San Carlos de Borromento, 1675 in Antigua gegründet - wurde dorthin verlagert. Nicht weit von der La Merced-Kirche entfernt findet sich das beliebteste Postkartenmotiv der Stadt - der Arco de Santa Catalina.

Guatemala Antigua Arco de Santa Catalina

Arco de Santa Catalina

Der Bogen wurde gebaut, damit die Nonnen des Klosters Santa Catalina die Kirche auf der anderen Seite der Straße besuchen konnten, ohne sich unter das gemeine Volk zu mischen.

Ein Postkartenidyll zum Verlieben

Heute besteht Antigua aus einer bizarren Mischung aus Ruinen und liebevoll restaurierten Bürgerhäusern. Denn trotz Militärdiktatur war der Gemeindeverwaltung schon in den 60er Jahren die Bedeutung des Denkmalschutzes bewusst. Die ganze Stadt, die im Jahr 1979 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt worden ist, stellt eine Art Freilichtmuseum dar. Kaum ein Gebäude im Zentrum, in dem sich nicht ein Hotel mit historischem Ambiente, ein Touristenrestaurant, eine Sprachschule, ein Internetcafé oder ein Reisebüro niedergelassen hat.

Guatemala Antigua bunte Fassaden

Bunte Fassaden erhellen das Stadtbild

Guatemala Antigua Rathaus mit TorbögenZwischen den Ruinen der spanischen Prachtbauten ist ein Touristenzentrum mit Flair entstanden, ein Postkartenidyll mit bunten Fassaden und verträumten Innenhöfen, in das man sich regelrecht verlieben kann.

Antigua boomt. Touristisch stiehlt die alte Hauptstadt, die heute zwischen 40.000 und 50.000 Bewohner zählt, dem Wirtschafts- und Verwaltungszentrum Guatemala City ganz eindeutig die Schau. Mittelpunkt des städtischen Lebens in Antigua ist der Parque Zentral. Hier steht das Rathaus mit seinen Torbögen (Foto rechts) und Arkadengängen - früher fungierte es als Stadtgefängnis. Hier holpern Pferdekutschen mit Touristen über das Kopfsteinpflaster und die Fassade der Kathedrale täuscht ein prachtvolles Inneres vor, das nicht vorhanden ist. Die Mitte des Platzes, auf dem früher öffentliche Hinrichtungen durchgeführt und Stierkämpfe veranstaltet wurden, fließt Wasser aus zwei Metallbrüsten: Die Fuente de las Sirenas, ein mehr als 260 Jahre alter Brunnen, ist dem Neptunbrunnen in Bologna nachempfunden. An der Südseite des Platzes befindet sich die ehemalige Residenz der Vertreter der Spanischen Krone - der Palast der Generalkapitäne.

Der Vulkan spuckt Lavabröckchen

Auch wenn sich Antigua in zwei Tagen gut erkunden lässt, bleiben viele Reisende länger in der schachbrettartig angeordneten Bilderbuch-Kolonialstadt. Sie besuchen Spanischkurse oder unternehmen Ausflüge in die Umgebung. Etwa zu den Kaffeeplantagen in Umland, zu einer Macademia-Farm oder zum Pacaya-Vulkan. Auch beim Aufstieg zum Vulkan ist die Touristenpolizei präsent.

Guatemala Antigua Pacayovulkan

Auch aus der Ferne imposant: der Pacayovulkan

An manchen Stellen trifft man die freundlichen Damen und Herren gleich in Fünfergruppen an. Zu tun haben sie hier wenig, doch ihre demonstrative Präsenz beruhigt die Besucher. Doch ein einsamer Wanderweg ist der Anstieg zum Pacaya ohnehin nicht. Alle zehn bis fünfzehn Minuten trifft man ein paar Einheimische, die mit Pferden am Wegesrand stehen. „Taxi, Taxi“, rufen sie grinsend. Doch für die meisten Besucher ist der Anstieg zu Fuß Ehrensache.

Mehr als 600 Höhenmeter sind dabei zu überwinden, doch nur die letzten 400 Meter führt der Weg über die lose, fast schwarze Vulkanerde wirklich steil nach oben. Doch das Brodeln und Zischen des Vulkans und der Ausblick über das Hochland entschädigt für die Mühen des Anstiegs.

Guatemala Antigua Kraterrand

Am Kraterrand

Am Kraterrand angekommen, besteht kein Zweifel mehr: dieser Vulkan ist aktiv. Immer wieder ein dumpfes Prusten - und gleich darauf fliegen kleine Lavabröckchen gen Himmel. Etwa dreißig Minuten machen die Gruppen am Kraterrand Pause, dann beginnt der Abstieg.

Und was machen die Indios?

Guatemala Antigua MayamädchenAntigua ist keine ausgesprochene Indio-Stadt, im Gegenteil: Es ist eine Kolonialstadt, eine Stadt der Herrscher und der Eroberer. Die Mayas, die in Guatemala die Bevölkerungsmehrheit stellen, sind eher an den Rand gedrängt. Farbenprächtige Indio-Märkte, wie in Chichicastenango oder Sololá, sucht man in Antigua vergeblich. Sicher, es gibt ein sehenswertes Museum, in dem die Trachten der verschiedenen Indio-Gruppen vorgestellt werden. „Wir können anhand der Trachten, die die Leute tragen, feststellen, woher sie kommen, anhand der Farbe, der Muster und des Aussehens“, erläutert Antonio Cuxil. Zur Tracht (Foto rechts) gehören Blusen und Wickelröcke, aber auch Schals und Kopfbedeckungen. Die 15-jährige Schülerin Dinora und die 54-jährige Maya-Frau Dominga Perez Dok, die aus San Juan de Laguna am Atitlánsee stammt, demonstrieren, wie mühsam die Webarbeiten vonstatten gehen. „Ich mache das schon seit meinem sechsten Lebensjahr“, sagt Dominga Perez Tok.

Die Grenzen zwischen musealer Präsentation und dem Verkauf, sie verschmelzen. Mehrere Räume in Museo Casa del Tejido sind Verkaufsobjekten vorbehalten: Wandteppichen und Tischdecken, Taschen und Modeschmuck. Handarbeiten, die von dreihundert Mayas, die sich zu einer Art Genossenschaft - der Asociación Gremial Guatemalteca de Artesanias - zusammengeschlossen haben, produziert und hierher geliefert wurden. Maya-Frauen, die Straßenhandel betreiben, sind in Antigua weniger gern gesehen. Dennoch gibt es sie: Sobald irgendwo ein Touristenbus anfährt, dauert es nicht lange, bis einige bunt gekleidete Frauen vorbei kommen.

Guatemala Antigua Bus in Allee

 

Reiseinformationen

Infos

Botschaft der Republik Guatemala
Joachim-Karnatz-Allee 47
10557 Berlin
Tel.: 030 206 436 3
Fax: 030 206 436 59
E-Mail: sekretariat@botschaft-guatemala.de
für die Visa-Fragen: konsulat@botschaft-guatemala.de
www.botschaft-guatemala.de, https://visitguatemala.com/

Arbeitsgemeinschaft Lateinamerika e.V.
Bahnhofstr. 53
61118 Bad Vilbel
Tel.: +49 / (0)6101 - 99 54 030
Fax: +49 / (0)6101 - 99 53 951
E-Mail: info@lateinamerika.org
www.lateinamerika.org

Ein- und Ausreise

Die Einreise nach Guatemala ist visumfrei (bis zu einem Monat), der Reisepass muss noch mindestens 6 Monate gültig sein.

Sprache

Amtssprache ist Spanisch, außerdem werden insgesamt 23 Maya-Sprachen gesprochen. Englisch wird in Tourismusregionen und in größeren Hotels und Restaurants verstanden.

Klima

Das Land ist unterteilt in drei Klimazonen: die tropische Zone der Küstenregionen, die gemäßigte Zone im Land des „ewigen Frühlings" und die kühle Zone des Hochlands. Die Regenzeit dauert von Mai bis Oktober mit kurzen, heftigen Güssen am Nachmittag. Die Durchschnittstemperaturen liegen bei 20 Grad, in Küstenregionen können bis zu 37 Grad erreicht werden.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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