Text und Fotos: Uwe Lexow
Grönland macht süchtig. Süchtig nach klarer Luft, blauem Himmel, bunten Häusern und Eisbergen . Denjenigen, der die Faszination von Eisbergen in der Mitternachtssonne erlebt hat, zieht es immer wieder hierher. Grönland im Sommer - das ist auch heute im Zeichen des Klimawandels der Traum von der Arktis.
Aber Grönland außerhalb der Sommersaison ? Ich will es wissen.....
Von Kopenhagen aus bringt mich der Flieger von Air Greenland in 4 1/2 Stunden zunächst nach Kangerlussuaq (1), dem ehemaligen Søndre Strømfjord am Polarkreis, rd. 25 km vom Inlandeis entfernt.
Der Ort geht auf einen US-amerikanischen Armeestützpunkt zurück, welcher von Oktober 1941 bis zum April 1951 genutzt wurde. Strategisch günstig gelegen und vom Klima begünstigt war Kangerlussuak einer von 17 Stützpunkten der US-Armee auf Grönland. Während der Berlin-Blockade 1948/49 fiel Kangerlussuaq eine wichtige Rolle zu, da die Versorgung mit Gütern, die für die Luftbrücke nach Berlin bestimmt waren, über diesen Stützpunkt abgewickelt wurde.
Wir haben bestes Flugwetter. Der Himmel ist blau, die Luft trocken, die Sicht klar, mit -2 Grad ist es nicht kalt. Heute ist Kangerlussuaq mit seinen 500 Einwohnern für mich Durchgangsstation. Ich will nach Ilulissat (2) am Kangia Eisfjord, 45 Flugminuten von Kangerlussuaq entfernt.
Der Landeanflug ist unproblematisch. Fast bin ich etwas enttäuscht: Kein Schnee weit und breit. Kein winterliches Szenario, kein Eis, nichts, und die Maschine zum Weiterflug steht schon auf dem Rollfeld.
Doch die Hoffnung auf einen planmäßigen Weiterflug erfüllt sich nicht. Auf der Anzeigetafel erscheint bei jedem Abflug die Bemerkung "cancelled". Der Grund erschließt sich nicht. Auch die Weiterflüge nach Nuuk, Grönlands Hauptstadt, und der Rückflug nach Kopenhagen sind gestrichen; gestrandete Passagiere werden im Flughafenhotel untergebracht. Nach fast 3 Stunden Warten die Erlösung für die Passagiere nach Ilulissat. GL 510 nach Ilulissat wird aufgerufen.
Kaum sind wir in der Luft, offenbart sich der Grund für die Verzögerung. Ein Schneesturm schüttelt die Maschine. Dass der Pilot den Vogel sicher auf die Landebahn bekommt, ist ein Wunder. Um uns herum ist alles weiss. Nach unserer Landung wird der Airport geschlossen.
Die Fahrt zum Hotel Arctic gleicht einer Rutschpartie. Der Schnee türmt sich zu beiden Seiten der Straße. Die Geschwindigkeitsbegrenzung erscheint im Hinblick auf die Schneemassen geradezu als ein Witz.
In der Nacht schneit es weiter. Beschweren kann ich mich nicht. Ich wollte den Winter - Hier ist er. Auch am nächsten Morgen schneit es.
Ich mache mich auf in Richtung Friedhof, den ich auf dem Weg vom Flughafen ins Hotel entdeckt habe. Unter der Last des Schnees muss er spannend aussehen. Der Weg ist beschwerlich. Der Schnee türmt sich, zu sehen ist kaum etwas. Auch die Gräber sind im Schnee kaum auszumachen. Ich muss an die grönländischen Polarforscher denken, die irgendwo in einem eisigen Grab in diesem unwirtlichen Land liegen.
Für meinen "Spaziergang" zum Friedhof hat im Hotel niemand Verständnis.....
Nach zwei Tagen hört der Schneefall endlich auf, dafür fängt es an zu regnen. Über Nacht steigt das Thermometer auf +5 Grad. Die geplante Bootsfahrt an der Mündung des Eisfjords findet trotzdem statt. Eine Symphonie in Grau, beeindruckend und beängstigend gleichzeitig und von bizarrer Schönheit. Dass hier die Eisprinzessin wohnt, bezweifelt niemand.
Die Wanderung zum 40 Kilometer langen Kangia Eisfjord - Unesco Weltnaturerbe seit 2004 - ist mehr eine Rutschpartie. Der Blick auf den Fjord ist atemberaubend und entschädigt für die Unbill des Weges.
Der Fjord ist 7 Kilometer breit. An seiner Landseite liegt der Jakobshavn Isbrae, der wohl schnellste Gletscher der Welt, der sich täglich bis zu 22 m nach Westen schiebt. Von seiner Kante brechen riesige Eisberge ab, die mit dem Tidenstrom in Richtung Meer getrieben werden. Von Land aus eine ganz andere Perspektive als vom Wasser aus.
Mit der Nacht kommt die Kälte zurück. Es klart auf, die Temperatur fällt um 10 Grad. Der Blick auf den Eisfjord und das davor liegende Krankenhaus wird frei.
In der aufgehenden Sonne sieht man die Berge der gegenüberliegenden Disko-Insel, und mit einem Male die Sucht ist wieder da.
Auch das Krankenhaus strahlt - eben noch in der Winternacht - eine halbe Stunde später im Morgenlicht, während Schlittenhunde und die meisten Hotelgäste noch schlafen.
Eine weitere halbe Stunde später ist die Zeit der Pastelltöne vorbei - ein kalter Wintertag steht ins Haus.
"Gib mir Schnee, gib mir Hunde und den Rest kannst Du behalten" sagte einst Ilulissats wohl prominentester Einwohner, der Polarforscher Knud Rasmussen ( 1879 - 1933 ). In seinem Geburtshaus ist heute ein sehenswertes Museum untergebracht, das Leben und Wirken Knud Rasmussens gewidmet ist.
Ich gehe in die Stadt. Die Sonne lässt die zwei letzten Schneetage schnell vergessen. Die 1872 fertig gestellte Zionskirche gehört zu den meistfotografierten Kirchen Grönlands. Sie ist eines der Wahrzeichen der Stadt.
Die Kirche wird gerade für den Gottesdienst geöffnet, und ich kann Fotos vom Inneren der Kirche machen.
Ob der Gottesdienst regelmäßig besucht wird, möchte ich wissen. "Zu Weihnachten ist die Kirche immer voll" sagt der Kirchendiener mit vielsagendem Lächeln. Irgendwie kommt mir das bekannt vor.
Nach dem Gottesdienst werden Kinder getauft. Die Eltern tragen die grönländische Festtagstracht mit reich verzierten Gewändern und bunten Stiefeln, die einem fast leidtun, wenn man mit ihnen durch den Schnee stapfen muss.
Nach dem Gottesdienst gehe ich hinunter zum Hafen. Trotz des Sonntages herrscht reger Betrieb. Fischfang gehört zu den wichtigsten Einnahmequellen der ca. 4.500 Einwohner des Ortes.
Die roten Fische sehen zwar so aus, als hätten sie neben einem Atomreaktor gewohnt, schmecken aber vorzüglich, wie ich später feststellen kann.
Am nächsten Vormittag fahre ich mit dem Boot nach Rodebay, grönländisch Oqaatsut, 18 Kilometer nördlich von Ilulissat gelegen. Hier gibt es weder Strassen noch Autos.
Der Name Rodebay (Rote Bucht) geht auf holländische Walfänger zurück: Durch das Blut der gefangenen Wale färbte sich das Wasser in der Bucht rot. Auch heute noch werden dort Wale angelandet. Rd. 50 Einwohner zählt das Örtchen. Damit ist Rodebay die kleinste Ansiedlung in der Disko-Bucht. Man lebt hier hauptsächlich von der Fischerei.
Die Spezialität des Ortes ist Trockenfisch, hergestellt aus Heilbutt oder Dorsch. Auch heute noch wird der Fisch auf Gestellen an der Luft getrocknet.
Die Kirche des Ortes ist gleichzeitig das Schulhaus, in dem 4 Kinder unterrichtet werden. Auf dem Stundenplan steht die Lerneinheit "Jobs in Oqaatsut" , das Poster an der Wand ist dreisprachig. Dass "Tourist" ein Job ist, hat sich mir bisher nicht erschlossen.
Draußen vor dem Gebäude heulen die Schlittenhunde, deren Abstammung vom Wolf unverkennbar ist.
Die Bewohner von Rodebay nutzen das schöne Wetter: Heute ist Waschtag. Nach den Schneefällen der letzten Tage ist es geradezu sommerlich. Und auch der Schlittenhund gönnt sich ein Schläfchen in der Mittagssonne.
Wir fahren zurück nach Illulissat. Der Stadtname bedeutet übersetzt "Eisberge" . Heute treiben wenig Eisberge auf dem Meer. Einige größere Brocken sind an den Isfeldsbanken, einer Untiefe an der Fjordmündung, stecken geblieben. Erst in der Nacht werden sie von nachdrängenden Eismassen ins Meer geschoben.
Auch die Schlittenhunde vor dem Hotel Arctic genießen die Sonne.
Oder haben Schlittenhunde Fernweh ?
Auf dem Weg zurück zum Flughafen komme ich wieder am Friedhof vorbei. Heute ist es der Friedhof mit der besten Aussicht der Welt.......
Reiseveranstalter Grönland bei schwarzaufweiss
Reiseveranstalter Dänemark bei schwarzaufweiss
„Verfall“ – Das Wort ist für uns gleichbedeutend mit Tod und Verderben und hat nichts Schönes an sich. Dass der Verfall auch eine fotografisch interessante, ja geradezu poetische Seite hat, zeigt ein Rundgang durch die verlassene Minenstadt Ivittuut in Grönland.
Mehr lesen ...
„Bei Sonne wirst Du Nuuk lieben“ – An diese Worte des dänischen Kapitäns meines Kreuzfahrtschiffes werde ich mich wohl ewig erinnern. Ich bin froh, dass ich wieder festen Boden unter den Füssen habe. Vor Kap Farvel an Grönlands Südspitze hatte das Schiff gegen Windstärke 12 zu kämpfen, in dieser Passage selbst im Frühsommer nichts Ungewöhnliches. Dafür entschädigten die Eisberge entlang der Küste, die mit dem Ostgrönlandstrom hier herunter driften.
Mehr lesen ...
Qeqertarsuatsiaat ist ein recht einfallsloser Name für ein Dorf. Dieses Wortungetüm heißt schließlich nichts weiter als „eine der Inseln“. Grönländer beschönigen nichts, nennen das Kind beim Namen und sich selbst Inuit – Menschen.
Mehr lesen ...