Auf Schienen durch Ecuador

 

Text: Dagmar Krappe / Axel Baumann
Fotos: Axel Baumann

450 Kilometer lang ist die transecuadorianische Schmalspurstrecke von Quito nach Duran. Zwischen dem Hochland der Anden und der Pazifik-Küste passiert der Touristenzug „Tren Crucero“ mehrere Klimazonen. Eine Zugkreuzfahrt durch Ecuador ist eine entspannende Möglichkeit, Land und Leute zu entdecken.

Ecuador - Tren Crucero - Museumslok am Bahnhof Chimbacalle imSüden Quitos kurz nach 7 Uhr

Museumslok am Bahnhof Chimbacalle imSüden Quitos kurz nach 7 Uhr

Chimbacalle (1) morgens um sieben. Ein fast menschenleerer Bahnhof auf 2.800 Metern Höhe. Eine Oase der Ruhe. Kaum vorstellbar in der stets lauten und quirligen ecuadorianischen Hauptstadt Quito. Die Luft ist angenehm kühl zum Durchatmen. Graue Wolken rollen an den umliegenden Bergen hinab. Einige Gipfel tragen frische Schneehauben. Nach und nach versammeln sich rund 40 europäische und nordamerikanische Touristen auf dem Bahnsteig. Alle verfolgen die gleiche Absicht: Mit dem „Tren Crucero“ vier Tage lang von Quito über die Anden gen Süden nach Duran (Guayaquil) an die Pazifik-Küste zu reisen. Unspektakulär fährt der Zug auf Gleis eins ein. Große Verwunderung in den Gesichtern von Klaus und Peter, zwei enthusiastischen Trainspottern aus Stuttgart: "Im Internet sah das Bähnle doch ganz anders aus? Da war eine Dampflok zu sehen."„Ja", antwortet Expeditionsleiterin Maria Parra von der staatlichen Eisenbahngesellschaft Tren Ecuador: „Die kommt am dritten Tag ab Riobamba und wird uns durch die Berge ziehen“.

Ecuador - Tren Crucero - Waggon von innen

Bar an Bord

Zunächst ist eine farblich angepasste Diesellok vor die vier blankpolierten rot-schwarzen Waggons gespannt. 2012 wurden sie in Europa gebaut. Der „Tren Crucero“ ist zwar ein Luxuszug, aber kein Orient-Express. Maximal 54 Passagiere nimmt er mit auf eine Zeitreise durch die ecuadorianische Geschichte und Gegenwart. Da der Mann am Klavier fehlt, klingt „El Condor Pasa“ aus dem Bordlautsprecher. Die Inneneinrichtung der Wagen spiegelt unterschiedliche spanische und ecuadorianische Epochen wider.

Nach 50-minütiger Fahrt durch Quitos Vororte mit halbfertigen, grauen Häusern sowie den üblichen Graffiti-Malereien breitet sich links und rechts der Gleise grüne Natur mit Wiesen, Bächen und Büschen aus. Gemächlich zuckelt der Zug auf der „Avenida de Vulcanos“ Richtung Süden. Forscher Alexander von Humboldt prägte für die Gebirgsformationen einst den Namen „Straße der Vulkane“, denn eine Allee von aktiven und erloschenen Feuerbergen säumt die Bahntrasse. Dominierend reckt sich in der Ferne der Cotopaxi mit 5.897 Metern gen Himmel. Seine schneebedeckte Spitze ist durch Wolken verhüllt. Langsam geht es steil bergan. Die beiden Bremser haben alle Hände voll zu tun. Wie in den Anfängen der Eisenbahn müssen sie das große Bremsrad auf der Außenplattform mal kräftig, mal weniger stark in die eine oder andere Richtung kurbeln.

Ecuador - Tren Crucero - Die Bremser in jedem Wagen haben alles im Blick

Die Bremser haben alles im Blick

Da der Zug nicht über Schlafabteile verfügt, wird in historischen Haziendas wie der „La Cienega“ (2) nahe Lasso genächtigt. Die zwei Meter dicken Wände stehen seit Ende des 16. Jahrhunderts und konnten jeglichem Erdbeben trotzen. Viele Entdecker und Forscher – auch Alexander von Humboldt - bezogen hier schon Quartier. Jahrelang gab es keine durchgehenden Züge mehr auf der 450 Kilometer langen schmalspurigen transecuadorianischen Route. Nur auf Teilstrecken fuhren Schienenbusse oder kurze Zugeinheiten. „An der 1908 von Eloy Alfaro, einem liberal gesinnten Mehrfach-Putschisten und -Präsidenten Ecuadors, eingeweihten Linie, hatte in den letzten Jahrzehnten der Zahn der Zeit genagt, sodass sie einem stetigen Verfall ausgeliefert war“, informiert Maria Parra: „Aber auch diverse Naturkatastrophen machten eine durchgehende Fahrt unmöglich.“

Ecuador - Tren Crucero - Eloy Alfaro ein Präsident der Modernisierungm hat in 1908 die Strecke Quito-Quayaquil eingeweiht

Eloy Alfaro ein Präsident der Modernisierungm hat in 1908 die Strecke Quito-Quayaquil eingeweiht

Für 280 Millionen US Dollar ließ Präsident Rafael Correa die Strecke als Prestigeobjekt für den Tourismus restaurieren. Vier Jahre lang wurden Gleise saniert, Gebäude renoviert, Diesel- und Dampfloks repariert, neue Waggoneinheiten in Spanien bestellt. „Einheimische können sich den Zug leider nicht leisten“, meint Maria: „Sie fahren die gleiche Tour lieber für ein paar Dollar in acht Stunden mit dem Bus.“ Trotzdem sind sie stolz auf den neuen „Tren“ und fotografieren, wenn sie ihn sehen oder winken den ausländischen Fahrgästen zu.

Ecuador - Tren Crucero - Baltazar Uscha der letzte Eisschneider des Chimborazo

Baltazar Uscha der letzte Eisschneider des Chimborazo

Der „Tren Crucero“ rattert weiter Richtung Süden zum höchsten Punkt der Strecke, dem Bahnhof Urbina (3), 3.600 Meter über dem Meeresspiegel. In einer kargen, einsamen Landschaft wartet in einer weiß getünchten Bahnhofshalle Baltazar Uscha, das wohl meist fotografierte Gesicht im Umkreis. In vielen Katalogen, Prospekten und auf Internet-Seiten präsent: der letzte Eisschneider des Chimborazo. Fotogen blickt Baltazar, ein gut gelaunter Endsechziger mit rosigen Wangen, dunklem Poncho und schwarzem Hut.

Täglich besteigt er den Berg, um Eis von den Gletschern abzuschlagen. Sein weißes Lama transportiert die Blöcke hinunter in die nächstgelegene Stadt im Tal, wo sie bröckchenweise in verschiedenen frischen Fruchtsäften verarbeitet werden. Einen kleinen Block hat er mitgebracht und bittet seine Gäste zu probieren. Dabei erzählt er mit Begeisterung von seiner einmaligen USA-Reise: „Die Städte dort waren so groß, dass man ihr Ende nicht mit den Augen sehen konnte.“ Nach der Eisprobe wickelt er den kalten Block wieder in Stroh ein. Versteckt ihn in einem Erdloch des Bahnhofgartens und trottet mit seinem Lama davon. Bis zum nächsten Zugstopp in einer Woche.

Ecuador - Tren Crucero - ölbefeuerte Lok in Riobamba

Ölbefeuerte Lok im Bahnhof von Riobamba

Großer Bahnhof in Riobamba (4). Dunkle Rauchschwaden steigen gen Himmel. Vor die Waggons ist eine alte, ölgefeuerte Baldwin-Lok vom Typ 2-8-0 (2'D) gespannt, die viel Aufmerksamkeit bei Touristen und Einheimischen erregt. Auch die Herzen der beiden Bahnenthusiasten Klaus und Peter schlagen höher. Ein Foto vor der qualmenden schwarzen Schönheit, einmal den Lokführer umarmen, so beginnt der dritte Tag der Reise. Eine Stunde lang zieht das Dampfross fauchend den Zug. Schlingert sich mit seiner schweren Last durch die kurvenreiche und hügelige Gebirgswelt.

Ecuador - Tren Crucero - Markttag in Guamote

Markt in Guamote

Donnerstags ist Markttag in Guamote (5). Viele Indios in roten Ponchos strömen durch das kleine Örtchen und über die Bahngleise, um den Wocheneinkauf zu tätigen. Hier wird ein Schwein nach den Wünschen der Kundin zerlegt. Dort hat eine Frau einen Korb mit lebenden Hühnern erstanden. In einer schmalen Seitenstraße schieben sich Einheimische und Souvenirjäger an Ständen mit Filzhüten und asiatischer Synthetikmassenware vorbei. Auch die zahlreichen Schuhputzer machen gute Geschäfte. Mit lautem Hupkonzert bahnt sich der „Tren Crucero“ bei der Abfahrt seinen Weg durch das Menschengewimmel auf den Schienen. Sobald der Eisenwurm abgefahren ist, schließt die Menge auf und beansprucht die Gleise wieder als ihre Fußgängerzone.

Ecuador - Hüte in allen Farben auf dem Markt von Guamote

Hüte in allen Farben auf dem Markt von Guamote

Schließlich erreicht die Bahn das Highlight vergangener Jahre. Als Ecuador noch ein Reiseland für Rucksacktouristen und Abenteurer war, durften diese die spektakuläre Teufelsnase (Nariz del Diablo) vom Wagendach aus bestaunen. Nach vielen tödlichen Unfällen verschärfte die Bahngesellschaft die Sicherheitsbestimmungen für die Tageszüge, die das Teilstück von Alausi (6) nach Sibambe und zurück befahren. Die Streckenführung der Teufelsnase ist ein technischer Zickzack-Trick aus dem Ingenieurzauberkoffer. „Um diesen einhundert Meter hohen Felsen zu überwinden, wurden die Gleise in der steilen Wand der Teufelsnase fast übereinander verlegt und durch zwei Spitzkehren miteinander verbunden“, sagt Maria Parra. Unten angekommen, hält der Zug, damit sich die Helden des Tages fotografieren lassen können. Vom Zugchef über den Lokführer bis zum Bremser werden alle beteiligten Personen vorgestellt. Die Passagiere bedanken sich mit Applaus für die sichere Abfahrt.

Ecuador - Tren Crucero - Die Helden des Tages nach der Abfahrt von der Teufelsnase

Die Helden des Tages nach der Abfahrt von der Teufelsnase

Am vierten Tag verlässt der „Tren“ die Anden und nimmt Kurs auf die Pazifikküste. Die Luft wird wärmer und feuchter, die Vegetation tropischer. Nahe San Rafael haben sich die Shuar Indianer niedergelassen, nachdem sie sich auf eine große Reise begeben hatten. Ursprünglich lebten sie im Amazonasgebiet. Dieser Volksstamm beherrschte einst die Schrumpfkopfkunst. Die Begrüßung der Gäste wirkt schroff und laut. Doch nachdem der Dorfälteste während eines rituellen Tanzes mit gezückter Lanze festgestellt hat, dass die Zugpassagiere in friedlicher Absicht gekommen sind, dürfen sie zum Essen bleiben und den Garten besichtigen. Hier wird biologischer Anbau betrieben. Die grimmig guckende und ständig auf den Boden spuckende Kräuterfrau erzählt, was es mit Engelstrompeten auf sich hat: „Aus ihnen werden Rauschmittel gewonnen, die sich für spirituelle Riten verwenden lassen.“ Also fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker vor der Einnahme. Auf zum nächsten „Suchtmittel“ Kakao. „100 Tonnen Kakaobohnen ernten wir jährlich auf unserer Plantage", berichtet Verwalter Victor Caldefón: "Ein Kakaobaum hat eine durchschnittliche Lebensdauer von 20 Jahren, dann ersetzen wir ihn durch einen neuen." Anhand einer Schote erklärt Victor den Entstehungsprozess von Kakao und kredenzt ein Stück Schokolade „made in Ecuador“.

Am Nachmittag kommen nicht nur Trainspotter Klaus und Peter noch einmal voll auf ihre Kosten. Auf dem letzten Abschnitt durch weites Land mit Bananen- und Reisplantagen zieht eine feuerrote amerikanische Mogul 2-6-0 aus dem Jahre 1920 den „Tren Crucero“ unter Volldampf bis zum Zielbahnhof Durán (7) bei Guayaquil am Pazifik.

Ecuador - Tren Crucero - Auf der letzten Etappe wird noch einmal eine Dampflok eingesetzt

Auf der letzten Etappe wird noch einmal eine Dampflok eingesetzt

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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