Regenwald mit allen Sinnen

Ein Besuch im Cuyabeno-Nationalpark in Ecuador

Text und Fotos: Rainer Heubeck

Das Zirpen der Zikaden schwillt an, meist wellenförmig. Im ersten Moment möchte man meinen, ein starker Regen hat eingesetzt. Zigtausende von knatternden Insekten scheinen direkt um die Lodge herum in den Bäumen und Sträuchern zu stecken. Zu hören ist die vieltausendstimmige Symphonie des Dschungels vor allem nachts – dann, wenn die Schreie der Aras und Tukane verstummt sind und kein knatterndes Motorboot auf dem  Rio Cuyabeno das Konzert der Natur stört. Im Wohnturm der Tapir Lodge, die im ecuadorianischen  Amazonas-Regenwald inmitten des Cuyabeno-Nationalparks liegt, ist der Besucher nur durch dünne Bretter von der nächtlichen Symphonie getrennt. Doch das vielstimmige Trommeln und Klopfen, hier wirkt es nicht beängstigend, sondern beruhigend.

Ecuador - Cuyabeno-Nationalpark

Am nächsten Tag bringt der 50-jährige Lodge-Betreiber Kurt Beate eine Besuchergruppe zu einem Waldstück in der Nähe des Ortes Puerto Bolivar. Gummistiefel sind Pflicht, schließlich wandert die Gruppe nicht nur über „terra firme“, sondern auch durch die Varzea, den teilüberflutenden Regenwald. Über 800 Jahre alte Kapokbäume stehen hier – mit gigantischen Wurzeln, die viele, viele Meter breit sind. „Diese Bäume haben ein sehr weiches Holz, deswegen werden sie nicht gefällt“, erläutert Kurt Beate, der schon zahlreiche Exkursionen zu den verstecktesten Winkeln des ecuadorianischen Regenwaldes unternommen hat. An Biodiversität, so versichert er, ist der Cuyabeno-Nationalpark aber kaum zu überbieten.

Ecuador - Cuyabeno-Nationalpark - Blüte

Bei über 80 Prozent Luftfeuchtigkeit haben sich hier einzigartige Lebensgemeinschaften entwickelt: Bromelien, die als Aufsitzer auf Bäumen wachsen und in deren Blüten kleine Frösche leben. Ameisen, die – im Vergleich zur Größe der Ameise - gewaltige Blattteile durch die Gegend schleppen und zu ihrem Bau bringen. Nicht etwa, um die Blätter zu fressen, sondern um damit einen Pilz zu züchten, von dem sie sich anschließend ernähren. Etwa 150 Meter weiter entdeckt Kurt Beate eine andere Ameisenstraße, die an einem schmalen Baumstamm nach unten führt. „Das sind Zitronenameisen, die müsst ihr unbedingt mal probieren“, erläutert Kurt Beate – und streckt seine Zunge heraus, um sich den zitronenähnlichen Geschmack der recht kleinen Ameisen schmecken zu lassen. Die acht Besucher gucken erschrocken – doch als die Gruppe dann weiterzieht, hat jeder der Dschungelurlauber an der Ameisenstraße geleckt.

Ameisen, die nach Zitronen schmecken, gehören im Cuyabeno-Nationalpark zu den harmloseren Attraktionen

Ameisen, die nach Zitronen schmecken, gehören im Cuyabeno-Nationalpark zu den harmloseren Attraktionen. Ein Stück weiter stöbert Kurt Beate aufgeregt in einem Haufen alter Blätter. Es dauert eine ganze Weile, bis er den rötlich-braunen Frosch entdeckt hat, den er den Besuchern zeigen will. Es ist ein so genannter Pfeilgiftfrosch, der sich von dem rot-braunen Laub kaum abhebt. Sein starkes Hautgift haben die Indios früher an den Spitzen ihrer Blasrohrpfeile verwendet. Ein hoch wirksamer natürlicher Giftstoff, für den sich mittlerweile auch die moderne Wissenschaft interessiert. US-amerikanische Forscher testen derzeit ein Schmerzmittel, das auf Substanzen des Pfeilgiftfrosches aufbaut.

Inmitten des Regenwaldes lenkt Kurt Beate die Aufmerksamkeit der Besucher immer wieder auf die kleinen Dinge. Der Riesentausendfüßler auf der nackten Haut, die Nase an der weißen Ingwerblüte oder am roten Kelch des Papageienschnabels. Kurt Beate doziert nicht  – er lässt seine Besucher den Regenwald nicht nur beobachten und sehen, sondern auch betasten und fühlen, riechen und schmecken.

Besuch beim Schamanen

Nähe zur Natur und Verbundenheit mit den Tieren und Pflanzen erleben wir auch bei Alberto, einem Indio vom Stamm der Cofanes. Die Jaguarzähne, die an einer Kette um seinen Hals hängen, hat er von seinem Großvater geerbt, berichtet der 65-jährige, dessen Nase und Kopf mit Ara- und Tukanfedern geschmückte sind. Alfredo ist einer von etwa sechzig aktiven Schamanen, die inmitten des ecuadorianischen Regenwaldes leben. Das Interesse an seiner Kultur ist größer geworden, berichtet er. Oft sind es Besucher aus dem Ausland, die an den Rauschdrogen interessiert sind, die der Schamane aus Naturstoffen herstellen kann - beispielsweise aus einer Liane, die zerstückelt, geschält und gekocht wird. Die Wirkung des "Yagé“ ist ähnlich wie bei LSD. Er selbst, so betont Alberto, nimmt die Droge nur, wenn ein Ritual ansteht. „Nur wer gelernt hat, die Droge zu beherrschen, kann Schamane werden“, betont der 65-jährige, der ab dem Alter von 12 Jahren von seinen Großvater in die Geheimnisse des Zauberns und Heilens eingeweiht wurde. Ein wichtiger Teil seiner Arbeit: Die Kenntnis der medizinischen Pflanzen aus dem Regenwald. Etwa 350 ihm bekannte Heilpflanzen, so berichtet Alfredo, finden sich in den umliegenden Wäldern. Um zu wissen, welche Pflanze bei welcher Krankheit angewandt werden muss, zieht er die „Yagé“, die aus der Liane gewonnene Droge zu Rate: „König Yagé ist mein Lehrer, er zeigt mir immer wieder neue medizinische Pflanzen.“

Das wichtigste Fortbewegungsmittel, mit dem die Indiodörfer, Exkursionswege sowie Lodges und Campingplätze im Cuyabeno-Naturpark erreicht werden, ist das Boot – und das ist fast immer mit einem Motor ausgestattet. Doch wenn Kurt Beate einen Wink gibt, stellt der Bootsführer den knatternden Zweitaktmotor ab. Zum Beispiel, weil Kurt Beate am Ufer eine Gruppe Totenkopfäffchen erspäht hat, die kurz darauf an in der Luft hängenden Zweigen den Fluss überqueren – eine wahrhaft akrobatische Leistung. Aber auch, wenn Tukane und Aras zu sehen sind – oder so genannte Stinkhühner.

Ecuador - Cuyabeno-Nationalpark - Indios mit Boot

Während andernorts auf Lodges vor allem angefütterte Tiere zu beobachten sind, bewundern die Besucher des Cuyabeno-Naturparks tatsächlich das Schauspiel der Natur. Nach dem Kreischen der Aras und dem Zirpen der Zikaden, dem Geruch der Ingwerblüten und des Papageienschnabels, dem Geschmack der Zitronenameisen und der frischen Passionsfrüchte, die Kurt von einem am Flussrand stehenden Baum pflückt, bietet die Bootsfahrt nun wieder etwas fürs Auge: Bizarre, überflutete Landschaften im dauerüberschwemmten Bereich des Amazonas-Waldes, zauberhafte Sonnenuntergänge auf der Laguna Grande. Und natürlich sind auch hier unterschiedlichste Tiere zu sehen. Allein vier verschieden Eisvogelarten sind hier zu Hause, dazu kommen Nonnenvögel und Gelbkopfgeier, Blauflügelsittiche und Oropendola, die ihre Nester hängend an Baumästen anbringt. Es sind nicht nur die großen Tiere – wie die am Flussrand deutlich zu erkennenden Roten Brüllaffen – von denen die Besucher fasziniert sind. Auch der blau schimmernde, im Sonnenlicht glänzende Morphofalter, der tänzelnd über die Wasseroberfläche fliegt, erntet verzückte Bewunderung. 

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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