Ulm: Klein-Venedig, ein Münster und die moderne Mitte

Text und Fotos: Ferdinand Dupuis-Panther

Modernes und Historisches vereint Ulm wie keine andere Stadt. Dabei ist die Moderne hier keine  Allerweltsarchitektur. Ja, Spatzen gibt es auch in der Stadt, doch weniger die kleinen Hausperlinge, sondern skulptierte Spatzen, die das Stadtbild beleben. Der Spatz ist nämlich das inoffizielle Wappentier der Stadt, die durch das Münster und den Schneider von Ulm berühmt wurde.

Ulm - Blick vom Neu-Ulmer Donauufer auf Ulm

Blick vom Neu-Ulmer Donau-Ufer auf Ulm

Albert Einstein gehört ebenso zu den berühmten Ulmern wie der Schneider von Ulm. Am Zeughaus hat man dem Physiker einen Brunnen gewidmet, ein Zylinder mit aufgesetzter Schnecke und dem Konterfei des Nobelpreisträgers für Physik. Über seine Geburtsstadt schrieb Einstein 1929: „ … Auch der Geburtsstadt verdanken wir einen Teil unseres Wesens. So gedenke ich Ulms in Dankbarkeit, da es edle künstlerische Tradition mit schlichter und gesunder Wesensart verbindet.“  Und noch ein weiteres Denkmal ehrt diese Ulmer Berühmtheit: Max Bill gestaltete das Einstein-Denkmal in der Bahnhofstraße als Raumskulptur. Kaum einer kennt seinen wirklichen Namen, doch den Schneider von Ulm, der das Fliegen probierte und im Mai 1811 in die Donau stürzte, den kennt jeder. Albert Ludwig Berblinger heißt der „Pionier der Luftfahrt“, als der er jedoch nie Anerkennung fand. Vielmehr sehen viele Ulmer in ihm einen wagemutigen Spinner, den man nicht so ernst nehmen sollte. Berblinger starb verarmt mit 58 Jahren an Auszehrung. Wo sein Grab und sein legendärer Flugapparat sich befinden, das weiß heute niemand.

Ulm - Denkmal für Einstein

Max Bill entwarf das Denkmal für den Nobelpreisträger Albert Einstein

Um das Who is Who der berühmten Ulmer noch zu vervollständigen, sei angeführt, dass die Sängerin und Schauspielerin Hildegard Knef ebenso eine Ulmerin ist wie der Blödelbarde Mike Krüger. Der Astronom Johannes Kepler fand in der Stadt Unterschlupf; der Schweizer Designer Max Bill gründete die Hochschule für Gestaltung mit, die schon lange nicht mehr existiert. Am Ulmer Theater wirkte Peter Zadek als Regisseur und Alexander Kluge hob hier sein Institut für Filmgestaltung aus der Taufe.

Doch nicht wegen dieser berühmten Köpfe lohnt sich der Besuch in Ulm, sondern wegen des spannungsvollen Nebeneinanders von alter und neuer Architektur und der malerischen Winkel im Gerber- und im Fischerviertel, das als schwäbisches Venedig gilt.

Ulm - Turm des Münsters

Himmelwärtsstrebend: das Ulmer Münster

Gotisches Himmelsstreben und moderne Nüchternheit

Weithin sichtbar ist das Münster der Stadt, der größte Kirchenbau im süddeutschen Raum und wie der Kölner Dom erst nach der deutschen Reichsgründung im späten 19.Jahrhundert vollendet. 768 Stufen muss bewältigen, wer in die luftige Höhe des himmelwärts strebenden gotischen Turms gelangen will. Bis zur Spitze dringt man jedoch nicht vor, sondern muss sich mit einer Höhe von 143 Metern begnügen. Von hier aus genießt der Besucher, sicherlich noch ein wenig außer Atem, den Blick über die Stadt und bei sehr guter Sicht auch bis hin zu den Alpen.

Ulm - Fassadenschmuck am Münster

Gotischer Fassadenschmuck am Münster

Zu Füßen des gotischen Münsters feiert die in Beton gegossene Moderne ein Fest. Neben der Funktionalität der Moderne besticht die Architektur der Neuen Ulmer Mitte durch das Skulpturenhafte. Dass die Moderne der Stadt überhaupt ein neues Gesicht geben konnte, hängt mit den „städtebaulichen Wunden“ zusammen, die der Bombenhagel vom 17. Dezember 1944 hinterließ. Zwischen Münsterplatz und Marktplatz galt es Lücken zu schließen, die jahrelang unbeachtet geblieben waren. Namhafte Architekten konnten seit Mitte der 1980er Jahre dafür gewonnen werden. Richard Meier, Stephan Braunfels und Gottfried Böhm sind die Baumeister, deren Entwürfe für Furore sorgten, auch wenn die Ulmer anfänglich über all das Neumodische den Kopf schüttelten. Zunächst verkleinerte der aus New York kommende Richard Meier mit dem Stadthaus den riesigen Münsterplatz, der bereits am Ende des 19. Jahrhunderts durch Abbruch von „kleinlichem Gewinkel“ entstanden war. Gegen das Himmelwärtsstreben des Doms setzte Meier  „weiße Rotundenfragmente mit eingepflanztem Kubus“.

Ulm - Münsterplatz Architektur

Richard Meiers architektonischer Wurf für den Münsterplatz

Hinter dem historischen Rathaus, auf dessen Wandmalerei noch gesondert einzugehen ist, erhebt sich als gläserne Pyramide die Stadtbibliothek – eine Idee von Gottfried Böhm, der vornehmlich durch seine aus Beton skulptieren Kirchenneubauten in die Geschichte der Nachkriegsarchitektur eingegangen ist.  Während Meier noch eine Putzfassade wählte, setzte Böhm sein Bauwerk als Kontrapunkt zur historischen Bausubstanz: keine Sandsteinfassade, kein Travertin, sondern Glas, Glas und nochmals Glas.

Ulm - gläserne Pyramide

2004 wurde die gläserne Pyramide der Stadtbiliothek eröffnet

Was nach dem Krieg im Wahn der autogerechten Stadt aus der Neuen Straße gemacht wurde, ist heute zurückgebaut worden. Drei neue Gebäude wurden über der Tiefgarage errichtet, um das neue Gewand der Innenstadt zu vollenden: Für den Heizkesselfabrikanten Siegfried Weishaupt und seine Kunstsammlung entstand die Kunsthalle Weishaupt mit einer weitgehend geschlossenen Fassade und einem hervorstechenden, gebäudehohen Panoramafenster – ein Hingucker schlechthin. Stark durchfenstert hingegen ist der anschließende Sparkassenbau, dessen Bauteile auf einem gläsernen Sockel ruhen und sich auseinander spreizend auf den Rathausplatz zu „bewegen“. Auf dem Grundriss eines rechtwinklingen Dreiecks erhebt sich der von Stephan Braunfels entworfene Komplex des Kaufhauses Münstertor. Auch dieser durchfensterte Baukörper ruht auf einem gläsernen, zurückgesetzten Sockel und gleicht einem riesenhaften Tortenstück mit weißem Schokoladenguss.

Ulm - Kaufhaus Münstertor

„Moderne Leuchttürme“ prägen die Ulmer Mitte: das keilförmige Kaufhaus Münstertor

Was ist die „Ulmer Schachtel“?

Neben diesen modernen Leuchttürmen dürfen jedoch die historischen Winkel der Stadt nicht übersehen werden. Zunächst ist das Ulmer Rathaus vorzustellen, dessen Wandmalereien zum nachhaltigen Verweilen einladen. Kaum noch zu entziffern ist der Spruch zum Gleichnis von Gesetz und Spinnennetz, wenn auch die Spinne mit Netz unter gotischer Architekturkulisse gut zu sehen ist.

Ulm - Rathaus

Historistische Fassadenbemalung des Ulmer Rathauses

Der Bilderbogen des Alten Rathaus enthält zudem biblische Geschichten wie die vom verlorenen Sohn. An der Nordseite entdeckt man Themen wie Gerechtigkeit und Kühnheit. Außerdem wurde auf der Rathausfassade auch eine Ulmer Schachtel verewigt. Dabei handelt es sich um ein weiteres Markenzeichen der Stadt, neben dem Münster und dem „Spatzen“. Waren und Personen wurden früher auf flachen Holzbooten über die Donau transportiert, und diese fachmännisch als Zille bezeichneten Kähne nannte man umgangssprachlich „Ulmer Schachtel“. 

Ulm - Malerei am Rathaus

Die „Ulmer Schachtel“ ist in der Malerei am Ulmer Rathaus verewigt.

Vor dem Zunfthaus der Schiffsleute am Fischerplätzle in der Fischergasse kann man eine solche „Ulmer Schachtel“ aus der Nähe betrachten. An der Hauswand des „Schönen Hauses“, an der der Kahn liegt, sieht man den Einsatz der „Ulmer Schachteln“ während der Türkenkriege (1664-1718). Damals dienten die Ulmer Kähne als Truppentransporter auf der Donau.

Unterwegs im Fischer- und Gerberviertel

Ulm - Fischer- und Gerberviertel

Ulms Klein-Venedig: das Fischer- und Gerberviertel links und rechts der Blau

Dort, wo einst Fischer und Gerber an den Armen der Blau lebten, ist unterdessen ein nobles Wohnquartier am Wasser entstanden. Kleine Plätze und Gassen, Fachwerkhäuser und Blumen vor den Häusern schaffen einen romantischen Winkel fernab der modernen Mitte der Stadt. Schlendert man durch die Fischergasse, so gelangt man nicht nur zur Fischerplatz-Galerie, sondern auch zum Setra-Museum im Kässbohrerhaus (Fischergasse 23). In diesem Haus wohnten Generationen der Familie Kässbohrer, deren Namen mit der Entwicklung des Setra-Omnibusbaus verbunden ist. Heute hält das Museum die Erinnerung an die Geschichte des Kässbohrer-Fahrzeugbaus wach. Nur Schritte entfernt steht das älteste Gasthaus des Fischerviertels, „Zur Forelle“. Dieser Name ist bis in das 17.Jahrhundert nachweisbar. Typisch schwäbische Küche serviert man heute dem Gast, ob hausgemachte Maultaschen mit Zwiebelschmelz oder Schwäbischer Roschtbroata mit Spätzle.

Ulm - Kässbohrer-Haus und Setra-Museum

Das Kässbohrer-Haus und heutige Setra-Museum

Zentrum des Fischerviertels, durch das die Kleine und Große Blau fließen, ist der heutige Schweinemarkt, ehemals Saumarkt genannt. Über zwei Jahrhunderte wurden hier Schweine gehandelt, woran das heutige Denkmal „Der Metzger und der Bauern beim Sauhandel“ erinnert. Dass man im Fischerviertel gut für das leibliche Wohl der Ulmbesucher sorgt, unterstreichen weitere Restaurants, ob nun der Gasthof  zum Wilden Mann in der Schilmengasse oder die Bierwirtschaft Zur Lochmühle an einem Arm der Blau. Ursprünglich war diese als Fachwerkbau errichtete Mühle eine von sieben historischen Mühlen im Fischerviertel. Beim „Wilden Mann“ steht Flammenkuchen, Scampi und Spinat auf der Karte, in der Lochmühle kommen Ulmer Laugenbrezelsuppe, Schwäbische Flädlessuppe oder Maultaschen mit Ei überbacken auf den Tisch.

Neben den Fischern prägten auch die Gerber das Viertel. So wundert es nicht an der Großen Blau auf das mächtige Gerberhaus (Weinhofberg) zu stoßen. Doch Leder wird hier schon lange nicht mehr hergestellt. Statt dessen hat man sich den leiblichen Genüssen verschrieben. Wer also Lust auf schwäbische Küche hat, kann hier einkehren. Moderne Kunst zeigt unweit vom Gerberhaus die Galerie Thomas Schrade, die unter anderem den chinesischen Künstler Ren Rong unter ihre Fittiche genommen hat.

Ulm - Fachwerk an der Blau

Prächtiges Fachwerk an der Blau

An der Donau entlang

Verlassen wir nun das Viertel links und rechts der Blau und lenken unsere Schritte an die Ufer der Donau. Mächtige Mauern und Türme wie der Metzgerturm schützten einst die mittelalterliche Stadt. Die Bastion Lauseck auf der Wilhelmshöhe und das Fort Oberer Kuhberg hingegen stammen aus der nachnapoleonischen Zeit, als Ulm zur Bundesfestung gegen die Bedrohung aus dem Westen ausgebaut wurde. Mit diesem Eindruck von den Befestigungsanlagen der Stadt kehren wir zum Münster der Stadt zurück und beschließen unsere Ulm-Tour, derweil Ruderer in windschnittigen Booten die Wellen der Donau durchpflügen. Sicherlich lohnt es sich wieder nach Ulm zu kommen, wenn das nächste Mal das Fischerstechen auf der Donau stattfindet. Ein sehenswertes Spektakel während der so genannten Schwörwoche im Juli. Dann gilt es, in einem „Lanzenturnier“ zu Wasser den Gegner in die Fluten der Donau zu befördern.

Ulm - Modern Kunst am Donau-Ufer

Moderne Kunst am Donau-Ufer

 

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