Thüringen

Gläserne Traditionen am Rennsteig

Text und Fotos: Dagmar Krappe

 

Thüringen Schiefergebirge - Blick auf Lauscha vom Glashüttenrundweg

Blick auf Lauscha vom Glashüttenrundweg

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird in der Region um Lauscha im Thüringer Schiefergebirge mundgeblasener gläserner Christbaumschmuck gefertigt und weltweit exportiert. 2021 erklärte die Deutsche UNESCO-Kommission die Herstellung zum immateriellen Kulturerbe.

Thüringen Schiefergebirge - Gläserner Lauschaer Christbaumschmuck

Gläserner Lauschaer Christbaumschmuck

Es war im Jahr 1597, als Hans Greiner und Christoph Müller ihre Glashütte errichteten. Die beiden Glasmacher waren nicht neu im Gewerbe. Sie hatten vorher schon in verschiedenen Hütten gearbeitet. Holzmangel und Streitigkeiten mit dem Landesherrn führten sie auf die andere Seite des Lauschabachs. So entwickelte sich vor zirka 425 Jahren die Siedlung Lauscha im Thüringer Schiefergebirge. Auch heute sind in der Region am Rennsteig noch zahlreiche Häuser mit schwarzen Schieferplatten verkleidet, die gegen raue Witterung schützen. Am „Hüttenplatz“, an dem die „Mutterglashütte“ stand, beginnt die Wanderung auf dem sechs Kilometer langen Glashütten-Rundweg. „Über die Jahrhunderte eröffneten weitere Betriebe rund um den Ort“, erzählt Gästeführer Werner Liebermann: „Zunächst erschufen die Glasmacher aus einem geschmolzenen Gemenge aus Quarzsand, Pottasche, Soda und Kalk Butzenscheiben, Medizin- und Trinkgläser.“ Die grüne Farbe entstand durch den Eisenoxidgehalt des Sandes und prägte den Namen Waldglas.

Thüringen Schiefergebirge - Lauscha - Schild Glashüttenrundweg - 6 Kilometer

Schild Glashüttenrundweg in Lauscha

„Elias Greiner-Vetters-Sohn und sein Sohn Septimus gründeten 1853 die „Seppenhütte“, um in großer Stückzahl bunte „Märbel“ (Murmeln) herzustellen. Sie erfanden dafür extra ein Werkzeug, die Märbelschere“, berichtet Werner Liebermann: „Aus der „Seppenhütte“ wurde zu DDR-Zeiten ein volkseigener Betrieb. Seit Mitte der 1990er Jahre ist es die „ELIAS Glashütte“.“ Von einer Tribüne aus können Besucher verfolgen, wie Glasröhren und -stäbe in unterschiedlichsten Farben per Hand gezogen werden. Sie sind die Ausgangsbasis für Glasbläser und -gestalter, die daraus Baumbehang, Dekofiguren, Tier- und Puppenaugen fabrizieren. Im Gebäude ist auch das „Museum für Glaskunst“ untergebracht. In zahlreichen Vitrinen wird die Entwicklung vom einfachen Waldglas über Prunkgefäße, Glasperlen, -augen bis zu gläsernen Christbaumkugeln präsentiert.

Thüringen Schiefergebirge - Lauscha - in der ELIAS Glashütte werden auf traditionelle Weise Glasröhren und -stäbe für Glasbläser gezogen

In der ELIAS Glashütte werden auf traditionelle Weise Glasröhren und -stäbe für Glasbläser gezogen

Die Fertigung von Hohlglasperlen für Rosenkränze, Halsketten oder Ohrstecker war ab Mitte des 18. Jahrhunderts der Übergang von der Hütten- zur Heimproduktion. Zunächst passierte dies vor einer primitiven Öllampe. Daher der Name Lampenglasbläserei. Ab 1820 kamen Blasebälge zum Einsatz, wodurch sich die Kraft der Flamme vergrößerte. Nun konnten die Glasbläser größere Kugeln herstellen. Der gläserne Christbaumschmuck war geboren. Nach und nach kamen aus der Natur bekannte Objekte wie Äpfel, Birnen, Nüsse, Tannen-, Eiszapfen, Glocken und Vögel hinzu. Wenige Jahrzehnte später schloss man alle Häuser ans zentrale Gaswerk an, was die Arbeit erheblich erleichterte.

Thüringen Schiefergebirge - Lauscha - ELIAS Glashütte, Glasbläserin und Glasgestalterin Petra Meusel formt Figuren frei vor der Lampe aus Glasstäben

Glasbläserin und Glasgestalterin Petra Meusel formt in der ELIAS Glashütte Figuren frei vor der Lampe aus Glasstäben

Helmut Bartholmes fertigt in seiner Werkstatt „Thüringer Weihnacht“ im nahen Neuhaus im Ortsteil Limbach mit ruhiger Hand und Geschick nach wie vor in altbekannter Weise. Sein Urgroßvater gründete um 1870 die Glasbläserei. Mit Hilfe eines Gasgebläserbrenners erhitzt er zunächst vorproduzierte Kristallglasröhren. „Durch das Erwärmen wird das Material zähflüssig“, erklärt der Glasbläsermeister: „Je nachdem wie kompliziert die Weihnachtsdeko ist, blase ich sie frei vor der Lampe oder blase sie in eine Keramikform ein.“

Thüringen Schiefergebirge - Neuhaus Limbach - Glasbläsermeister Helmut Bartholmes bläst Christbaumschmuck in einer Keramikform

Glasbläsermeister Helmut Bartholmes bläst Christbaumschmuck in einer Keramikform

Dann verspiegelt eine Mitarbeiterin die Kugeln und Figuren von innen mit einer Sterlingsilbersalzlösung. „Diese Prozedur war in früheren Jahrhunderten sehr gesundheitsschädlich, da es sich damals noch um eine Blei-Zinn-Legierung handelte“, sagt Helmut Bartholmes. Nach der Trocknung werden die Objekte in Lackfarbe getunkt oder erhalten unterschiedliche Farben mittels Airbrush-Pistole. Glas- und Porzellanmalerinnen sind für den finalen Pinselstrich verantwortlich oder tragen noch etwas Glimmer auf.

Thüringen Schiefergebirge - Neuhaus Limbach, Werkstatt H. Bartholmes - eine Glas- und Porzellanmalerin trägt Glimmer auf

Eine Glas- und Porzellanmalerin trägt Glimmer auf

Im 19. Jahrhundert wurde der Weihnachtsbaumschmuck zur Massenproduktion in Lauscha und Umgebung. „Damals konnten sich Familien nicht wie heute selbst um den Verkauf der Ware kümmern. In der 15 Kilometer entfernten ehemaligen Weltspielwarenstadt Sonneberg gab es Großhändler, sogenannte „Verleger“, die bereits Holzspielzeug sowie Tiere und Puppen aus Pappmaché in alle Welt vermarkteten“, informiert Wanderführer Lothar R. Richter auf dem „Glasbläserpfad“: „Sie übernahmen zusätzlich den Vertrieb der Weihnachtsartikel. Die Ehefrauen der Glasbläser oder angeheuerte „Lieferfrauen“ trugen in Körben und Holzgestellen, die sie sich auf den Rücken schnallten, bis zu 20 Kilo mit gläsernen Erzeugnissen zu Fuß nach Sonneberg.“

Thüringen Schiefergebirge - Steinach - Papiermache-Manufaktur Marolin, Herstellung von Kleinfiguren aus Drückermasse in einer Form

Papiermaché-Manufaktur Marolin, Herstellung von Kleinfiguren aus Drückermasse in einer Form

Bevor sich der Weg in den dichten Fichtenwald oberhalb Lauschas hinein schlängelt, führt er an der staatlichen Berufsfachschule Glas vorbei. Sie wurde vor fast 120 Jahren eröffnet und ist europaweit die einzige Einrichtung, in der man sich zum Glasbläser mit Spezialisierung Christbaumschmuckgestalter ausbilden lassen kann. Nach einigen Kilometern gemächlich talwärts ist Steinach erreicht. In einem wuchtigen Schiefergebäude am Ortsausgang befindet sich die Manufaktur „Marolin“. „Im Jahr 1900 mischte mein Urgroßvater, Richard Mahr, aus Ton, Kaolin, Kreide, Papierfasern und Pflanzenleim eine zähflüssige Masse zusammen, um daraus Krippenfiguren, Weihnachtsmänner, Engel oder Baumbehang herzustellen“, sagt Evelyn Forkel und demonstriert, wie die leichten, aber nicht leicht zerbrechlichen Werke angefertigt werden. Hohlfiguren über zwölf Zentimeter entstehen mittels einer fließenden Papiermachémasse in Gipsformen. Für kleinere Figuren und Ansatzteile wie Arme, Beine, Zubehör wird eine zähe Substanz wie Knetgummi in Formen gedrückt. „Jeden Artikel überziehen wir nach der Bemalung mit einer dunklen Patinierflüssigkeit, die ihm einen sowohl plastischen als auch nostalgischen Effekt gibt“, so Evelyn Forkel: „Dies gilt auch für Spielzeug, Märchenfiguren, Haus- und Wildtiere oder Osterhasen.“

Thüringen Schiefergebirge - Steinach - Papiermache-Manufaktur Marolin, Krippenfiguren aus Papiermache

Papiermaché-Manufaktur Marolin, Krippenfiguren aus Papiermache

Kurz hinter der Fabrik folgt der einzige steile und schweißtreibender Anstieg auf den höchsten Punkt von knapp 650 Metern. Danach verläuft der „Glasbläserpfad“ wieder stetig bergab Richtung Sonneberg. Vorbei an den Villen, die sich einst die „Verleger“ bauen ließen. Nur noch wenige Fabrikanten stellen in der Stadt oder im Umland Spielsachen her. Umso interaktiver ist das Deutsche Spielzeugmuseum. Die Rolle der „Verleger“ ist hier multimedial aufbereitet. An Hörstationen kann man den Weg vom Heimarbeiter bis zum Großhändler für Spielzeug und Glasschmuck nachvollziehen. Das „Große Sonneberger Handelsprivileg“ von 1789 sicherte den „Verlegern“ bis zum Ersten Weltkrieg das Monopol für den Handel mit Spielzeug und anderen Waren. Sie fuhren zu Märkten, Messen und Weltausstellungen. Dort präsentierten sie Produkte, Musterkarten oder -bücher, die Vorläufer der Kataloge.

Thüringen Schiefergebirge - Sonneberg - Deutsches Spielzeugmuseum, Verleger verwendeten Musterbücher von 1829 bis 1930

Deutsches Spielzeugmuseum Sonneberg: Von 1829 bis 1930 präsentierten Verleger Waren in Musterbüchern, den Vorläufern der Kataloge

Per Touchscreen kann man durch einige dieser Bücher mit gemalten und später fotografischen Abbildungen blättern. 1880 wurde Franklin Winfield Woolworth aus den USA auf die Lauschaer Glasartikel aufmerksam und ein großer Kunde. Weitere amerikanische Handelsketten folgten. Von der Weltausstellung von 1910 in Brüssel ist die „Thüringer Kirmes“ erhalten. 67 lebensecht wirkende Papiermaché-Figuren tummeln sich auf einem Volksfest. Die Szene zeigt den Marktplatz eines kleinen Fachwerkstädtchens - mit Wirtshaus, Schießbude und Karussell. Dieses ist mit gläsernem Lauschaer Christbaumschmuck dekoriert.

Thüringen Schiefergebirge - Sonneberg - Ausschnitt aus der Weltausstellungsgruppe Thüringer Kirmes für die Brüsseler Weltausstellung 1910

Ausschnitt aus der Weltausstellungsgruppe Thüringer Kirmes für die Brüsseler Weltausstellung 1910

 

Informationen

 

Ausflugstipps

Wandern:
6-Kilometer-Wanderung auf dem Lauschaer „Glashütten-Rundweg“ zu ehemaligen und noch produzierenden Betrieben
15-Kilometer-Wanderung auf dem „Glasbläserpfad“ von Lauscha nach Sonneberg: www.outdooractive.com

Museen:
Glasmuseum Lauscha: www.glasmuseum-lauscha.de
Deutsches Spielzeugmuseum Sonneberg: www.deutschesspielzeugmuseum.de

Glas- und Papiermaché-Produktion – ganzjährig geöffnet:
ELIAS Glashütte, Lauscha: www.farbglashuette.de
Thüringer Weihnacht, Neuhaus am Rennweg/OT Limbach: www.glas-bartholmes.de
Papiermaché Marolin, Steinach: www.marolin.de
Glaszentrum Lauscha: www.glaszentrum-lauscha.de

Am ersten und zweiten Adventwochenende findet jedes Jahr von 10 bis 17 Uhr der Lauschaer „Kugelmarkt“ statt.


Übernachten

Boutique-Hotel Schieferhof, Neuhaus am Rennweg
Tel. 03679 7740
E-Mail: info@schieferhof.de
www.schieferhof.de
Unterschiedliche Themenzimmer, Frühstücksbüfett mit regionalen Produkten, Restaurant mit thüringischer und internationaler Küche, Bar, Sauna, kostenlose Parkplätze.

Hotel + Gasthof Hüttensteinach, Sonneberg
Tel. 03675 40800
E-Mail: info@hotel-huettensteinach.de
www.hotel-huettensteinach.de
Zimmer überwiegend mit Balkon, das Restaurant bietet thüringische und internationaler Küche, Biergarten, Sauna, Solarium, Fitnessraum, kostenlose Parkplätze.

 

Allgemeine Informationen

Tourist-Information Stadt Lauscha
Straße des Friedens 46
98724 Lauscha
Tel.: 036702 22944
E-Mail: touristinfo@lauscha.de
www.lauscha.de

Thüringer Tourismus GmbH (Unterstützerin der Reise)
Willy-Brandt-Platz 1
99084 Erfurt
Tel.: 0361 3742-0
E-Mail: service@thueringen-entdecken.de
www.thueringen-entdecken.de

 

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