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Kunstmuseum

Aspekte der SAMMLUNG
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Aspekte der SAMMLUNG

Nach der experimentellen Umkehrung der Sammlungspräsentationm - bedingt durch die Majerus-Retrospektive - dreht sich die Ordnung des Hauses jetzt ein weiteres Mal, sozusagen wieder vom Kopf auf die Füße: Die Werke sind in den ursprünglichen Räumlichkeiten zu sehen, kuratiert von Ulrike Groos wird die Präsentation auf 4.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche einen völlig neuen Blick auf die Stuttgarter Sammlung werfen. Die nachstehende Beschreibungist alsÜberblick anzusehen und gibt nicht die aktuelle Hängung wieder!

Seit der Eröffnung des Kunstmuseum Stuttgart erlebten weit über eine Million Besucher das Zusammenspiel von Kunst und Architektur. Im Glaskubus fanden Sonderschauen statt, Erd- und Untergeschoss waren weitgehend der städtischen Kunstsammlung vorbehalten.

Vor 100 Jahren begann die Stadt Stuttgart mit Kunstankäufen. Ohne die Schenkung von Silvio della Valle di Casanova jedoch, wäre die Sammlung vielleicht nie zu dem geworden, was sie heute ist: ein Kaleidoskop der Kunstentwicklungen der letzten Jahrhunderte. Schwäbischer Impressionismus trifft im Haus auf Positionen der Gegenwart. Die Neue Sachlichkeit vertreten u. a.durch die Malerei von Otto Dix, begegnet dem Expressionismus von Hans Purrmann, der mit „Rotes Haus in Castagnola“ im Kunstmuseum vertreten ist.

Dichte Salonhängung

Gleich zu Beginn der Sammlungspräsentation steht der Besucher vor zwei dicht behängten Salonwänden. So gewinnt man einen Eindruck von der Malerei, die ganz entscheidend die frühen Sammlungsphasen des Hauses bestimmte. Otto Reiniger „Winterlandschaft“ hat hier ebenso ihren Platz wie Max Ackermanns „Kleine Landschaft“ und Adolf Hölzels „Frau mit Kind am Wassertümpel“. Paul Kleinschmidt zeigt uns seine Ulmansicht in „Ulm. Brücke mit Blick auf das Münster“, während uns Peter Jacob Büttgen mit seinem 1847 entstandenen Ölgemälde nach Straßburg entführt. Diese Landschaftsbilder werden ergänzt durch Porträts an der linken Salonwand. Unter diesen finden sich Heinrich Altherrs Porträt des Künstlers Reinhold Nägele eben wie Horst Antes in Mischtechnik entstandenes Werk „Kleine gelbe Figur mit vor dem Kopf verschränkten Händen“. Auch das avantgardistische Bauhaus ist dank Johannes Itten und dessen Ölgemälde „Der Raucher“ in diesem Teil der Sammlungsvorstellung präsent. Diese Präsentation bezieht sich auch auf kaum bekannte und in Vergessenheit geratene Künstler, so Wilhelm Blutbacher und Leonard Schmidt sowie die Hölzel-Schülerin Käthe Löwenthal, die nun wieder in den Fokus der Besucher gerückt wurden.

Die Luft ist rein

Wer sich für Skulpturen begeistern kann, der begebe sich ins Untergeschoss des Hauses. Nicht zu übersehen ist dort ein Vitrinenschrank mit Ablagen, auf denen unterschiedlich große Luftballons ihren Platz gefunden haben. Betrachtet man das Werk von Georg Herold, so kommt man eigentlich auf den Titel „Die Luft ist raus“, denn sieht man sich die aufgeblasenen Ballons der Reihe nach an, so haben diese wohl ihre Luft verloren. Doch Herold nannte seine Arbeit „Die Luft ist rein“, gleichsam als Kommentar für die notwendig reine Luft in Museen zu verstehen, deren Aufgabe im Sammeln und Erhalten von Gegenständen besteht. Zugleich ironisiert der Künstler mittels seiner „Installation“ das Archivieren von Museen. Denn wie lässt sich eigentlich Luft archivieren? Im Dialog mit Herold steht Max Bills nicht aufgesockelte Granit-Skulptur „Zwilling als Viertelskugel“. Der Kugelschnitt, so die Erläuterung auf den Abreißzetteln im Raum, entspricht exakt einem Viertel der Kugel. Das muss der Betrachter einfach ohne Nachprüfungsmöglichkeit hinnehmen. Gebrauchsflaschen in unterschiedlichen Farben hat Tony Cragg auf einen geschwungenen Stahlträger aufgesteckt. Bezug für diese Arbeit ist Duchamps berühmtes Readymade eines Flaschentrockners. Die in New York lebende, aus Worpswede stammende Künstlerin Josephine Meckseper sorgt mit ihrer Installation einer Ölpumpenanlage für Aufsehen. Bezug nimmt sie in diesem monumentalen Werk nicht nur auf die allgegenwärtige Abhängigkeit unserer Zeit von der Ölförderung, sondern auch auf die Gier nach Öl, die auch für den Irak-Krieg ausschlaggebend war. Voller Ironie ist der Titel „Don't steel my Mercedes Benz Bicycle“ betrachtet man das an einer Wand lehnende Rad, das unangeschlossen dazu verführt, es mitzunehmen. Doch keine Sorge, die Arbeit von Rainer Ganahl wird dank der Sicherheitsvorkehrungen im Museum dieses wohl kaum unbemerkt verlassen.

Sprachfragmente und ein Scheißlangohr

Nur Schritte von Ganahls Arbeit entfernt, stößt der Besucher auf die Konzeptkunst von Joseph Kosuth. „Neon Electrical Light English Glass Letters Pink Eight“ leuchtet an einer Wand des Untergeschosses, eine Neonlichtinstallation aus dem Jahr 1965. Drehen wir uns um, dann lesen wir in blauer Neonleuchtschrift: „Visual space has essentially no owner“, eine fast philosophisch anmutende Textzeile, mit der Kosuth uns zum Nachdenken bringt.

Unter den deutschen Künstlern war Dieter Roth ein Enfant terrible. Ihm verdankt die Nachwelt „Karnickelköttelkanickel“, ein „Scheiß-Langohr“ unter Plexiglas! Roth platzierte in einem anderen Werk eine Puppe in einem Zylinder voller Schokolade und schuf auch aus Glas und Plastikgefäßen sowie Muttern, Schrauben und Nägeln seinen „Großen Briefbeschwerer“. Großformatige Farbfelder im Stil der sogenannten Hard-Edge-Malerei beschert uns Georg Karl Pfahler. 1970 bis 1971 entstanden Werke wie „Orlando 10 I“, „Orlando 10 II“ und „Orlando 10 III“.

Wer eine feine Nase hat, der wird während seines Rundgangs den Geruch von Bienenwachs wahrnehmen. Wolfgang Laib schuf eine Art begehbarer Grabkammer aus Bienenwachsplatten. Betritt man den Raum, so verlässt man den White Cube des Kunstmuseums und ist gefangen von dem sich ausbreitenden Duft an einem Ort, an dem man nur mit sich alleine ist, fernab aller Bilderreize, die uns sonst im Alltag begleiten. Laib benutzte für seine Arbeit „Reihenhaus“ Siegellack, um seine Archiskulptur zu realisieren, die man aktuell auch zu Gesicht bekommt.

Ja, das Werk von Baumeister und Winter ist im Kunstmuseum ebenso zu finden wie Arbeiten von Thomas Locher, der Systeme und Ordnungsstrukturen in seiner Kunst aufgreift. Doch von besonderer Bedeutung für das Kunstmuseum ist das Konvolut an Arbeiten des neusachlichen Malers Otto Dix, dessen Schaffen nicht nur in regelmäßigen Sonderausstellungen beleuchtet wird, sondern auch in einem Teil der opulenten Sammlung. Dix zeigte sich in seinen Arbeiten vielfach als Familienmensch. Martha, seine Gattin, stand ihm oft Modell. Auch seine Kinder porträtierte Dix mehrfach, so auch in „Selbstbild mit Jan“ und in „Nelly mit Spielzeug“. Selbst das Gemälde „Spielende Kinder“ scheint ein Familienbild.

Eines der Hauptwerke von Dix, nämlich das Triptychon „Großstadt“ gehört auch zum Fundus des Hauses und ist zugleich ein Sittengemälde der Goldenen Zwanziger. Es zeigt uns diejenigen, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen und um das „Goldene Kalb“ tanzen, aber auch die, die die Schattenseiten des Lebens ertragen müssen, die Nutten, die Malocher, die Bettler, die Vagabunden, die Arbeitslosen und die Kriegskrüppel. Fazit: Dass sich eine Sammlung, die so breit angelegt ist, stets wieder aufs Neue dem Publikum präsentiert, ist sehr zu begrüßen. Man darf darauf hoffen, dass in Zukunft weitere Einblicke in die Sammlung möglich gemacht werden, denn sie ist von hoher kunsthistorischer Bedeutung. Sehr gelungen ist die Besucherinformation mittels der in den einzelnen Sälen vorhandenen Abreißzettel, auf denen man wichtige Informationen zu den Werken und Künstlern des jeweiligen Saales findet. © fdp

Kunstmuseum
https://www.kunstmuseum-stuttgart.de/

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