Bildschönes Mittelalter

Einst von Künstlern entdeckt, präsentiert sich Rothenburg ob der Tauber bis heute pittoresk

Text und Fotos: Rainer Heubeck

Rothenburg ob der Tauber - Marktplatz

Die St. Jakobskirche im fränkischen Rothenburg ob der Tauber ist eines der meistbesuchtesten Gebäude der Stadt. Das liegt nicht in erster Linie an den etwa 1000 Jakobsweg-Pilgern, die jedes Jahr Halt machen und sich einen Pilgerstempel abholen, sondern vor allem an kulturinteressierten Urlaubern aus aller Welt, die den Heilig-Blut-Altar von Tilman Riemenschneider hier bewundern. Eine filigrane Schnitzarbeit aus weichem Lindenholz, bei der nicht Jesus, sondern Judas im Mittelpunktpunkt steht. Oberhalb der Szene findet sich ein Reliquienkreuz, in dessen Zentrum ein Bergkristall angebracht ist. Es war in früheren Zeiten für wundertätig gehalten worden und hatte einen regelrechten Wallfahrtsboom ausgelöst. Obwohl die im 14. und 15. Jahrhundert gebaute Kirche bereits im Jahr 1544 protestantisch wurde, hat man die Reliquien behalten.

Rothenburg ob der Tauber - Heilig-Blut-Altar von Tilman Riemenschneider in der St. Jakobskirche

Den Heilig-Blut-Altar im ersten Stock des gotischen Gotteshauses entdecken viele Besucher, die ohne Führer unterwegs sind, allerdings erst, nachdem sie das Kirchenschiff bereits durchschritten haben und den Hauptaltar der Kirche, den Zwölf-Boten-Altar aus dem Jahr 1466, betrachtet haben, der von dem in Rothenburg geborenen Maler Friedrich Herlin gestaltet wurde, und der thematisch vor allem den Jakobspilgern gewidmet war. Wie es in Santiago de Compostela aussah, das freilich konnte der Rothenburger Herlin nicht wissen – und so nahm er sich für sein Santiago-Bild auf der Rückseite des Seitenflügels ganz einfach den Rothenburger Marktplatz zum Vorbild. Während die Jakobus-Darstellungen auf der Vorderseite des Altars nach der Reformation übermalt und durch Passionsdarstellungen ersetzt wurden, blieben die Darstellungen auf der Rückseite zum Teil unangetastet.

Rothenburg ob der Tauber - Malerei von Friedrich Herlin

Auch für viele Maler, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die damals ziemlich ärmliche und noch immer von einer Stadtmauer umgebene fränkische Kleinstadt entdeckten, war die Jakobskirche ein zentrales Motiv. Eine der ältesten Darstellungen stammt von dem Münchener Anton Doll, der die Kirche nebst der neben ihr liegenden Lateinschule bereits um das Jahr 1850 auf einem Aquarell darstellte. “Eine bemerkenswertes Gemälde mit einer ausgesprochen perspektivischen Darstellung, dessen Original von Blautönen und eisigen Farben geprägt ist“, erläutert Stadtführerin und Kunstexpertin Regina Däschner, die seit Jahren Künstlerführungen durch Rothenburg ob der Tauber anbietet – und die 2019 eine neue Führung gestaltet hat, auf der sie die pittoresken Seiten der Stadt zeigt. Zum Teil auf den Spuren von Malern, zuweilen lädt sie aber auch ein zum Selber-Entdecken ungewöhnlicher Perspektiven. An Anton Dolls Bild der Jakobskirche, von dem sie einen Nachdruck mitgebracht hat, fasziniert die Stadtführerin und Hobby-Archäologin nicht nur die Froschperspektive, begeistert ist sie auch über die vielen Vögel, die auf dem Gemälde über der Stadt kreisen. „Aufgrund der vielen Türme in der Stadt, war Rothenburg bekannt für die Rothenburger Singvögel“, berichtet Däschner und weist auf die Gaubenfenster hin, die das Dach der Lateinschule auf dem Gemälde zieren. An dem realen Gebäude, das wir direkt vor Augen haben, fehlen diese – denn als die Schule nach dem zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut wurde, hatte man zwar die Originalpläne verwendet, doch auf die Dachgauben hatten die Bauherren verzichtet.

Rothenburg ob der Tauber - Bildnis der Jakobskirche

Nur wenige Meter weiter, an einer Treppe, die zur ehemaligen Sakristei der früheren Michaelskirche hochführt, präsentiert Regina Däschner eine weitere Kopie: Auf dem Bild von Arthur Wasse, einem Maler aus Manchester, der der Münchener Schule zugeordnet wird und der von 1895 bis 1930 in Rothenburg lebte, wird die Treppe zum Aufbau der Sakristei dargestellt – das Bild ist über 100 Jahr alt, doch viele Details, etwa der seitliche Metallhandlauf, sind unverändert. Auf dem Bild sind auch ein Pfau und eine Frau in spanischer Tracht zu erkennen. „Die Frau war Wasses Ehefrau Fanny, er hat sie oft in seine Bilder mit eingebaut. Und den Pfau hat es damals in Rothenburg sicherlich nicht gegeben, denn Rothenburg war um diese Zeit eine sehr arme Stadt“, erläutert Däschner. Das Bild, so die Kunstexpertin, war vermutlich ein Atelierbild, das nach Vorskizzen entstand, die hier vor Ort gemacht wurden: „Der Lichteinfall, der dargestellt wird, ist sehr ungewöhnlich.“ Wasse war ein Meister in Sachen Licht und Schatten, das wird auch bei einem Besuch des Rothenburg-Museums deutlich, in dem weitere Werke des Engländers ausgestellt sind – darunter ein Bild, auf dem seine Frau Fanny auf dem Turm der St. Jakobskirche sitzt und die Tauben füttert, während im Hintergrund die Rothenburger Stadtmauer und das Taubertal zu erkennen sind.

Rothenburg ob der Tauber - Bild des Malers Arthur Wasse im Rothenburg-Museum

Rothenburg ob der Tauber – das war ursprünglich eine Rote Burg ob der Tauber, die von 1142 bis etwa 1356 Bestand hatte. Aus dieser Zeit ist nur noch eine steinerne Kapelle, die sogenannte Blasiuskapelle, erhalten, die heute auch als Kriegerdenkmal dient. An der Stelle der altehrwürdigen Stauferburg findet sich heute ein Landschaftsgarten im englischem Stil, in dem diverse Sandsteinfiguren aufgestellt sind und der herrliche Ausblicke ins Taubertal bietet. Die Verbindung von mittelalterlicher Romantik und Höhenlage ist es, die Rothenburg von den anderen Städten an der „Romantischen Straße“ unterschiedet.

Rothenburg ob der Tauber - Bildnis vom Burgtor

Auch das Burgtor, einer von sechs Zugängen in die mittelalterliche Stadt, war ein beliebtes Motiv für Maler, unter anderem für die Wahl-Rothenburgererin Elise Mahler. „Eine sehr unangepasste Frau, die mindestens zehn Jahre in Rothenburg lebte. Sie wohnte mit ihrer Freundin zusammen und wurde von der Bevölkerung zum Teil angefeindet“, berichtet Regina Däschner. Elise Mahler war eine Künstlerin, die sehr rege war – so eröffnete und betrieb sie eine Mal- und Webschule, und sie lebte vom Verkauf ihrer Motive auf Postkarten und Wandteppichen.

Rothenburg ob der Tauber - Garten der Familie Striffler

Dass Rothenburg immer wieder Maler anzog, bekannte und weniger bekannte, das zeigt auch ein Besuch im Garten der Familie Striffler, der sich gleich unterhalb des Burggartens befindet. Dort finden sich nicht nur alte Apfelbäume, sowie Maiglöckchen, Lavendel, Narzissen und Pfingstrosen, sondern auch ein kleines Malerhäuschen, das von den 50er bis 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts an Künstler vermietet wurde. Einige damals angefertigte Werke finden sich noch heute im Häuschen, das seit 2020 zusammen im Rahmen eines Gartenbesuchs besichtigt werden kann. Denn Rothenburg ist künftig nicht nur auf künstlerischen und pittoresken Spuren zu erfahren, die Stadtbewohner öffnen auch ihre Gärten – und die liegen zum Teil direkt unterhalb der altehrwürdigen Stadtmauer und bieten Ausblicke, die zwar nicht alle auf den Bildern festgehalten sind, die Regina Däschner während ihrer Stadtführungen zeigt, die aber zweifellos ebenfalls bildschön sind.

Rothenburg ob der Tauber - Haus an der mittelalterlichen Stadtmauer

 

Informationen

Übernachten

Romantisch und traditionell: Burg-Hotel, Klostergasse 1-3, 91541 Rothenburg o. d. T., Tel. 09861 – 94890, burghotel.rothenburg@t-online.de, https://burghotel.eu

Schick und urban: Mittermeiers Alter Ego, Vorm Würzburger Tor 15, 91541 Rothenburg, Tel 09861/94540, E-Mail welcome@mittermeiersalterego.de, mittermeiersalterego.de

Essen & Trinken

Hotel Reichsküchenmeister, Kirchplatz 8, 91541 Rothenburg o. d. T., Tel. 09861/970-0, E-Mail: hotel@reichskuechenmeister.com, www.hotel-reichskuechenmeister-rothenburg.de

Restaurant Eisenhut, Herrngasse 3-5/7, 91541 Rothenburg o. d. T. Tel. 09861 / 705-0, E-Mail hotel@eisenhut.com, www.eisenhut.com

Café Lebenslust, Kirchgasse 5, 91541 Rothenburg o. d. T., Tel. 09861/9179478 od. 0152/34243 814, E-Mail: info@lebenslust-rothenburg.de, https://lebenslust-rothenburg.de

Angebote

Klassische Stadtführungen für Einzelreisende werden in Rothenburg in den Sommermonaten täglich um 11 und 14 Uhr angeboten. Rothenburger Privatgärten, darunter auch der Strifflergarten am kleinen Burgtor, können nach Anmeldung zu bestimmten Terminen kostenfrei besucht werden (garten@rothenburg.de). Die Stadtführung „Malerisches Rothenburg“ wird für Gruppen mit bis zu 15 Personen angeboten und kann beim Rothenburg Tourismus Service gebucht werden. Dort ist auch eine Broschüre zum „Rothenburger Turmweg“ erhältlich, auf dem sich die Stadtbefestigung erkunden lässt. Im Rahmen Themenjahre „Pittoresk: Rothenburg als Landschaftsgarten“ werden bis Ende 2021 zudem zahlreiche weitere Ausstellungen, Veranstaltungen und Sonderführungen angeboten.

Infos

Rothenburg Tourismus Service, Marktplatz 2, 91541 Rothenburg o. d. T., Tel. 09861/404-800, E-Mail info@rothenburg.de, www.rothenburg-tourismus.de

 

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