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Herford
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Lyonel Feininger Von der Stadt am Ende der Welt bis zur Ostsee
15. März bis 13. Juli 2025

Spätestens seit seiner Berufung 1919 als "Meister" an das neu gegründete Bauhaus in Weimar zählt der 1871 in New York als Sohn deutscher Auswanderer geborene Feininger zu den bedeutendsten und populärsten Künstlern in Deutschland. Weltweit werden seine Bilder in Museen und Ausstellungen präsentiert. Die rund 70 Werke umfassende Ausstellung gibt einen Überblick auf das gesamte künstlerische Schaffen des Malers und Grafikers. Nahezu unbekannt sind seine Karikaturen, mit denen er sich um 1900 in Deutschland einen Namen machte und die die Grundlage für seine vor dem 1. Weltkrieg entstehenden grotesken Figurenkompositionen bilden. Mit der Entdeckung der Thüringischen Dorfkirchen und spätestens ab 1922 mit dem Erlebnis der Ostsee verändert sich Feiningers Bildwelt, verdichtet sich zu räumlich zergliederten und atmosphärisch aufgeladenen, komplexen Kompositionen. Mit der Rückkehr in seine Heimatstadt muss er 1937 seine geliebten Motive in Deutschland zurücklassen. Von den2 Nationalsozialisten als "entarteter" Künstler gebrandmarkt, entsteht in New York bis zu seinem Tod 1956 ein Spätwerk, das aus der Erinnerung heraus immer wieder Motive aus der Zeit in Deutschland aufgreift

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Lyonel Feininger, Die Stadt am Ende der Welt, 1910, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Museum Lyonel Feininger, Stiftung Lyonel-Feininger-Sammlung Armin Rühl, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Lyonel Feininger – ein amerikanischer oder ein deutscher Maler? Feininger – ein Kubist, ein Mann der prismatischen Strukturen oder ein Expressionist und Teil der klassischen Moderne? Das sind Fragen, mit denen sich die aktuelle Ausstellung nur insoweit befasst, als sie in der vor Ort gezeigten ARTE-Filmdokumentation zu Feininger aufgegriffen werden. Auffällig ist angesichts des Ausstellungsaufbaus, dass ein wesentlicher Teil der Karriere des Bauhausmeister im Zeichnen von Karikaturen für die Lustigen Blätter bestand. Angefügt werden muss auch Feiningers Arbeit als Comic-Zeichner. Dieses Kapitel ist in Herford allerdings ausgespart worden.

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Keine Frage, Feininger war Amerikaner, wenn auch mit deutschen Wurzeln. Jedoch hat sich Feininger in der Zeit am Bauhaus und später stets als deutscher bildender Künstler begriffen. Selbst in Zeiten von Terror und Zensur durch die braunen Herren, hielt er an seinem Lebensort Deutschland fest. Die Rückkehr in die USA erfolgte spät 1937/38. Da hatten sich die „Herrenmenschen“ schon etabliert. Ob die Münchener Propaganda-Schau "Entartete Kunst" vom 19. Juli 1937 bis 30. November 1937 Anlass war, in sein Geburtsland zurückzukehren, lässt sich nur vermuten. Im wesentlichen geschah es auf Drängen von Feiningers damaliger Ehefrau.

Lyonel Feininger, Selbstporträt, zeichnend, 1908, Sammlung Fels,
© VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Zwischenzeitlich war er immer mal wieder in den USA, um einen Lehrauftrag wahrzunehmen. War dieser erledigt, so ging es postwendend nach Deutschland zurück. Hier fand Feininger wohl den Humus, den er als Künstler brauchte. Vor allem fanden sich hier, anders als in den USA, Käufer und Sammler seiner Bilder. Zudem erhielt Feininger lukrative Aufträge wie das Porträtieren von Halle. Dazu bezog er ein Turmzimmer auf der Moritzburg, skizzierte und malte den Dom in allen seinen Facetten. Diese Ansichten sind in der aktuellen Ausstellung nicht zu sehen. Das tut der Herforder Ausstellung keinen Abbruch, zumal sie eben auf Feiningers Zeit als Karikaturist intensiv eingeht.

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Lyonel Feininger, Karnaval, 1915, Privatsammlung, Courtesy Beck & Eggeling International Fine Art, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Um allerdings in vollem Umfang die spitze Feder Feiningers würdigen zu können, hätte es doch hier und da der Erläuterung eines gesellschaftlichen Kontextes bedurft. Wer weiß beispielsweise schon etwas zur Geschichte des russischen Zaren – welcher denn fragt sich der Besucher – und Stolypin. Man sieht den Zaren, dargestellt als überlängte Figur, beim Abzupfen von Blütenblättern und dazu sagend „Die Dame liebt mich – liebt mich nicht …“ Und des Rätsels Lösung so ist auf dem Blatt aus den Lustigen Blättern zu lesen, liegt in den Händen von Stolypin. Warum aber trägt das Blatt den Titel „Das Orakel des Zaren“?

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Lyonel Feininger, Melancholy, 12. Februar 1911, Privatsammlung,
© VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Hier nun kurz und knapp der eigentlich notwendige Exkurs zum Verständnis der Karikatur: Stolypin war Premierminister von 1906 bis 1911 und versuchte grundlegende Reformen im russischen Kaiserreich durchzusetzen. Der Zar in der Karikatur ist der letzte russische Zar namens Nikolaus II. Doch auf welche Dame Feininger anspielt, bleibt im Dunklen. Ähnlich rätselhaft ist die Karikatur namens „Die grüne Mode“ von einigen in grünes Tuch gehüllten englischen Gentlemen, die sich am Meer eingefunden haben. Sind auf dem Meer britische Kriegsschiffe zu sehen? Und wer sind die Herren, die Feininger gezeichnet hat? „Grün ist das Kleid – Gelb ist der Neid – das sind die Farben von England – all right“ lesen wir auf dem Blatt aus den Lustigen Blättern. Und nun?

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Lyonel Feininger, Wharf, 1934, Privatbesitz, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Worauf spielte Feininger eigentlich mit der Zeichnung des deutschen Michels an, dessen Lebenssaft zum Kochen und Überschäumen gebracht wird. Derweil haben sich einige Pfaffen eingefunden, die verschreckt aussehen. Hatten sie nicht erwartet, dass der deutsche Michel in „Das Wahlwunder“ für die Konservativen entscheidet? Auf welche Wahl spielt das an? Wie gesagt, da wären ein paar Textzeilen schon hilfreich, um die politische Brisanz der Karikatur einzuschätzen.

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Auch dem us-amerikanischen Präsidenten Roosevelt begegnen wir in einem Blatt. Es zeigt Teddy Roosevelt, der einen Hut mit Aufschrift Panama aus dem Wasser fischt. Derweil schreit der Präsident Kolumbiens „Mein Hut, mein Hut!“ Und Roosevelt entgegnet: „Schrei nicht so, alter Freund. Ich fisch ihn mir ja schon heraus.“ Es sind die Tage, in denen über den Bau des Panamakanals entschieden wurde, der 1914 eröffnet wurde. Umstritten war der Kanalbau. Zwischenzeitlich wollte der Präsident der USA den Kanal durch Nicaragua bauen lassen. In einer Ausgabe von Spiegel Geschichte liest man Nachstehendes um den Kanalbau und Roosevelt: „Der Kanal wird sein Spielplatz. Er verliebt sich in die gigantischen Ausmaße des Bauwerkes, in Technik, Logistik und den beinahe militärischen Drill, mit dem die Amerikaner hier unten alles regeln. Roosevelt ist früher mit seinem Vater viel gereist, er ist ein Outdoortyp, Haudegen und Cowboy, alles, was er in Washington nicht leben kann, wird hier wahr.“

Mit Schlafmützen liegen die Herren der Internationalen Friedensgesellschaft in ihren Betten. Nur einer der Herren sitzt auf dem Bett und liest in seinem „Traumbuch“. Frieden ein bloßer Traum? Beinahe an eine Zille-Milieustudie erinnert Feiningers „Strohwitwers Heimkehr“. Irgendwie hat der gute Mann seine Haltung und Orientierung verloren.

Verlassen wir die durchaus umfängliche Präsentation der Karikaturen von Feininger und wenden uns den weiteren Ausstellungsthemen zu, darunter auch zahlreiche maritime Sujets. Unser Blick fällt auf eine in „gebrochenes Licht getauchte“ Straßenansicht. Dabei entdecken wir auch den „Trompetenbläser“, dieser an eine Karikatur oder eine Comicfigur erinnernd. Spukgestalten, die aus einem entsprechenden Kinderbuch entsprungen sind, sehen wir in „Spuk II“. Tiefe schwarze Augen zeichnen die Spukwesen aus, die unter einem Sternenhimmel ihr Unwesen treiben. Ein weiteres Mal sehen wir einen Trompetenbläser, diesmal in einer Arbeit in Öl. Begleitet wird der Bläser von Figuren, die an Clowns denken lassen und gestreifte Kleidung tragen.

Zu Feiningers Stadtansichten gehört auch das Rostocker Tor in Ribnitz, eine Radierung, die den „prismatischen Feininger“ zeigt. Eingefangen hat der Künstler mit einfachen Strichen die Lichtbrechungen auf der Fassade des Tors. Menschen huschen als Schattenwesen über die Brücke vor dem Tor. Sie sind als Staffagen zu begreifen, oder?

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„Am Strand“, in farbiger Kreide, zeigt nicht nur die Rauchwolken des Dampfschiffes auf dem Meer, sondern auch Kinder, die mit einem Holzreifen spielen. Obendrein haben sich „Strandspaziergänger“ eingefunden. Ähnlich gestaltet ist eine Radierung mit gleichlautendem Titel. Einsam steht am Rand des Bildausschnittes ein Leuchtturm, das dominierende Sujet der Kreidezeichnung von 1911. Gewitterwolken sind aufgezogen; ein Zweimaster ist auf See unterwegs. Ein weiteres maritimes Motiv finden wir in „Gelbe Dampfer vor Heringsdorf“ (1911). Angesichts der bergigen Silhouette denkt der Betrachter weniger an die Ostsee, die Feininger liebte und wo er auch Inspirationen für seine diversen „Meeresansichten“ fand.

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Lyonel Feininger, Rotes Meer und blaue Barke, 1912, Privatbesitz,
© VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Dazu zählt auch eine Arbeit mit roten Wellenhügeln und -tälern. Auf einem der Kämme tanzt eine blaue Barke, die sich schwer tut, Fahrt aufzunehmen. In den Formen reduziert sind Feiningers „Fischerboote“. Auch in dieser maritimen Ansicht hat der Künstler durch wenige Schraffuren versucht, die Lichtverhältnisse auf Papier zu bannen. „Regatta“ und „Skerry Cruiser“ sind weitere Arbeiten, in denen sich Feininger dem Meer widmete. Beinahe skizzenhaft mutet „Regatta“ an. Dort sind die beteiligten Boote ins Wasser eingetaucht. Eigentlich sieht man nichts von den Rümpfen, sondern lediglich die Segel.

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Lyonel Feininger, Stiller Tag am Meer, 1926, Privatbesitz,
© VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Einige gebundene Ausgaben von „Licht und Schatten Wochenzeitschrift für Schwarzweisskunst und Dichtung“ sind Teil der sehenswerten Ausstellung. Darin abgedruckt ist auch „Mardi Gras“ von Feininger. Die Kirchenansichten Feiningers fehlen in der Schau ebenso wenig, so auch die „Kirche in Vollersroda“. Deren Architektur hat Feininger zum Tanzen gebracht, so hat es den Anschein.

Wäre die Erde eine Scheibe, so würden wir bei unserem Gang zwischen den Häuserreihen in „Die Straße am Ende der Welt“ herunterfallen, aus der Welt fallen. Mit einem Nadelhelm versehen ist der Kirchturm der „Gelmeroder Kirche“. Steht da vor dem Gotteshaus eine Nordfolk-Tanne oder eine Lärche? Jedenfalls verdeckt dieser Baum teilweise die Sicht auf die Kirche. Zwei weitere Werke in Holzschnitt und in Lithographie widmen sich in der Ausstellung demselben Sujet.

© Ferdinand Dupuis-Panther

Stiftung Ahlers Pro Arte
https://www.ahlers-proarte.com
https://m.youtube.com/watch?v=4YYeUGD28YA



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