Nachrichten aus dem Untergrund

Der Bergharz: Untertage zwischen Clausthal-Zellerfeld und St. Andreasberg

Text und Fotos: Ferdinand Dupuis-Panther

Die große Zeit des Bergbaus im Harz ist vorbei. Doch die Spuren sind geblieben. Unser Autor ist ihnen gefolgt und hat sich in dunklen Schächten und seltsamen Museen umgesehen. Dabei ist er nicht nur auf ungewöhnliche Menschen gestoßen, sondern musste sich auch mit der eigentümlichen Sprache der Bergleute vertraut machen. Steigen wir mit ihm hinab in eine exotische Welt, die doch so dicht vor unserer Haustür liegt.

Deutschland / Harz / Zellerfeld / Fassadenschmuck

In Zellerfeld: Fahrtkunst als Fassadenschmuck

Beginnen wollen wir bei unserer Spurensuche in Zellerfeld. Hier wie auch anderswo im Harz sind die Häuser auf der Wetterseite mit Schiefer oder mit Schalbrettern verkleideten, die mal in Ocker, mal in Ochsenrot getaucht sind. Mitten im Ort steht die aus Sandstein und Grauwacke erbaute, wuchtig wirkende St.-Salvatoris-Kirche mit dem von Werner Tübke gefertigten Altarbild. Zu den sozialen Einrichtungen des Harzer Bergbaus zählte zur Blütezeit der Bergbaus die ortsansässige Bergapotheke. Wer sich deren Fassade mit ihren Vorsprüngen genau anschaut, wird allerlei Putten und Fratzen entdecken. Kein Wunder also, dass diese Apotheke auch „Fratzen-Apotheke“ genannt wurde.

Stumme Zeugen des Bergbaus

Deutschland / Harz / Bergwerkmuseum

Inszenierung der Fahrkunst im Oberharzer Bergwerkmuseum

Zu den architektonischen Schmuckstücken zählt außerdem das mit Schiefer verkleidete Haus Calvör. Hier war der Superintendent Caspar Calvör (1650-1725) einst zuhause, dem wir eine berühmte Barockbibliothek mit handschriftlichen Tischreden Martin Luthers verdanken. Zu nennen sind außerdem das mit einer ockerfarbenen Verschalung verkleidete so genannte Dietzel-Haus, einst Wohnhaus des Oberbergmeisters, und das Glockenspiel mit der so genannten Fahrkunst an einem schiefergedeckten Haus am Thomas-Merten Platz 1. Dort bewegt sich zum Klang der Glocken das Modell einer so genannten Fahrkunst, ein vertikales Gestänge mit Tritten und Griffen, über das Bergleute in den Schacht einfuhren, ehe die Seilfahrt mit Förderkorb eingeführt wurde. Zu beachten ist das ehemalige Rathaus, das im Laufe seines Bestehens auch als Gefängnis und Schuldturm sowie als Gaststätte und Gemischtwarenladen diente. Nebenan öffnen sich die Türen des Oberharzer Bergwerkmuseums, das als eines der ältesten Freilichtmuseen und technischen Museen Deutschlands den Bergbau bis 1930 zeigt.

Deutschland / Harz / Bergwerkmuseum

Im Freigelände des Oberharzer Bergwerkmuseums

Dank der ausgestellten Modelle im Museum erhält man eine erste Vorstellung von der im Bergbau eingesetzten Technik, versteht durch Anschauung, welche Funktion riesige, mit Wasser angetriebenen Räder hatten, erfährt von Kunst- und von Kehrrad – die einen dienten zum Antrieb der Pumpen, die anderen zum Transport der an Ketten hängenden hölzernen Fördertonnen. Einfache Werkzeuge wie Schlägel und Bohrer sind ebenso zu sehen wie Kratzer und Blech, die aus den Anfangstagen des Bergbaus datieren, ganz zu schweigen von einer umfangreichen Mineraliensammlung.

Im übrigen Museumskomplex steht man stummen Zeugen des Bergbaus gegenüber, so auch in der Erzaufbereitung mit den dort genutzten Klassiertrommeln. Auch an der Fahrkunst und der Hängebank, an der so genannte Stürzer die aus dem zweigeteilten Schacht geförderten Tonnen entleerte, will nicht so recht ein lebendiges Bild des historischen Bergbaus entstehen. Außerdem muss man sich, betritt man erstmals die Bergmannswelt, an deren eigenwillige Sprache gewöhnen. Und so schwirrt einem der Kopf, hört man Begriffe wie Gezähe (Werkzeug), Arschleder (Teil der Bergmannskleidung), Hunt (Förderwagen) Streb, Schacht, Ausbau und Auserzen.

Deutschland / Harz / Zellerfeld / Wasserregal

Bei Zellerfeld: Teil des Oberharzer Wasserregals, das dem Antrieb von Kunst- und Kehrrädern in den Gruben diente

Während eines Spaziergangs am südlichen Ortsrand von Zellerfeld kann man sich auf einem ausgeschilderten Weg ein Bild von der Wasserwirtschaft machen, die für den Bergbau notwenig war, gleichgültig ob nun Kupfer, Blei oder Silber gefördert wurde. Bereits in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts legte man Teiche in Kaskaden an, die von Dämmen umgeben sind, und zudem ausgemauerte Gräben zum Transport des Wasser, das dem Antrieb riesiger Räder diente. Mit deren Hilfe wurden die Gruben entwässert und die Fahrkunst betrieben.

An den Angstleinen festhalten, bitte!

Deutschland / Harz / Wettelrode / Förderturm

Unlängst restaurierter Förderturm in Wettelrode

Hautnah erlebt man den Bergbau im außerhalb des eigentlichen Harzes gelegenen Mansfelder Revier, wenn man den Röhrigschacht Wettelrode in Sangerhausen besucht. Die Tage, als hier das reinste Kupfer weltweit gefördert und als Devisenbringer der DDR exportiert wurde, sind zwar seit mehr als einem Jahrzehnt vorbei, doch Bergleute, die Besucher untertage führen, vermitteln mit Witz, einer Portion „Mansfelder Konglomerat“ – so heißt die rund um Wettelrode gepflegte Mundart – und viel Fachwissen ein Stück Bergmannsalltag.

Die Einfahrt erfolgt mit dem Förderkorb. Ketten links und rechts im Fahrkorb dienen zum Festhalten und werden von den Bergleuten Angstleinen genannt. Unten angekommen, muss man sich erst einmal ans Dämmerlicht gewöhnen, knipst die Grubenlampe an und bahnt sich den Weg zur Grubenbahn. Seine Füße sollte man während der Fahrt durch den engen Streb nicht herausstrecken, so mahnt Erich Hartung, der einst als Obersteiger im Röhrigschacht gearbeitet hat und uns nun begleitet. Mit spitzbübischem Grinsen fügt er hinzu: „Oder möchte jemand Schuhgröße 26 haben“. Ein Signal ertönt und dann geht’s mit Ruckeln und Schaukeln stetig in die Tiefe hinab. Schließlich sind wir auf der Sohle, die 1871 abgeteuft wurde.

Warum die Ratten quiekten ...

Manchmal sind die Strebe ausgemauert, manchmal sehen wir Holzausbau mit Stempeln und Kappen. In einem niedrigen Streb entdecken wir einen „Bergmann“, der sich bäuchlings durch taubes Gestein und Erz arbeitet. Es ist kaum vorstellbar, dass Menschen noch bis in die 1920er Jahre teilweise seitlich liegend Erz gefördert haben. Nicht minder körperlich anstrengend war – so zeigt eine weitere Inszenierung – die Arbeit der Jungen, zwischen 12 und 20 Jahre alt, die in den niedrigen Gängen für den Transport des Erzes sorgten und ihren hölzernen Hunt mal schoben, mal zogen.

Deutschland / Harz / Abraumgerät

Eingemottet übertage: technisches Abraumgerät

Durch den Einsatz von Dampfmaschinen und von Pressluft betriebenen Abbauhämmern änderte sich ab 1923 die Arbeitswelt untertage. Nun schuf man achtzig bis hundert Zentimeter hohe Gänge, in denen zwölf Mann unter ohrenbetäubendem Lärm arbeiteten. Nicht nur der Lärm der Hämmer, sondern auch das Quietschen des Förderbandes und das Heulen der „Wettermaschine“, die während unseres Besuches betrieben wurden, hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck. Nur auf die Staubentwicklung, die für die Bergleute zum Alltag gehörte, müssen heutige Besucher verzichten. Gott sei dank, so können wir uns auch keine Silikose zuziehen, eine typische Berufskrankheit, an der so mancher Kumpel kurz vor Erreichen der Altersgrenze verstarb.

Während an anderen Orten Kanarienvögel als „Wettermelder“ von den Bergleuten in den Schacht mitgenommen wurden, hielten die Mansfelder Kumpel Ratten, die durch Quieken anzeigten, wenn das Wetter umschlug, der Druck im Streb sich änderte, Methangas und Stickstoff sich ausbreiteten. Bisweilen mussten die Nager auch herhalten, wenn man eine Schicht verkürzen wollte. Dann machten die Bergleute mit ihren Grubenleuchten den Ratten heiße Füße. Da diese nun quiekten, konnte man ausfahren und dem Steiger Meldung machen. Doch der war nicht auf den Kopf gefallen, fuhr selbst ein und prüfte das Wetter. Für falschen Alarm gab es eine empfindliche Strafe: Der Wochenlohn wurde gekürzt und auch eine Tracht Prügel war gang und gäbe. Aus jener Zeit stammt auch die Redewendung„die Ratten quieken lassen“, was auch soviel wie „einen über den Durst trinken“ bedeutet. „Glück auf!“ – bis zum nächsten Mal.

Gut Brand!

Deutschland / Harz / Meiler

Langsam verkohlt Buchenholz zu Holzkohle: Ein frischer Meiler

„Glück auf!“ sagen die Bergleute, ehe sie einfahren. In der Köhlerei beginnt man das Werk mit einem dreimaligen „Gut Brand!“. Mit dieser Grußformel wurden wir vom Betreiber der Harzköhlerei Stemberghaus, Peter Feldmer, willkommen geheißen. Ohne Holzkohle hätte anfänglich gar keine Erzverhüttung stattfinden können, und auch heute benötigen wir Holzkohle als Aktivkohlefilter für Aquarien, in Dunstabzughauben, in Schornsteinen von Kraftwerken. Und auch bei Durchfall greifen wir auf Kohletabletten zurück. So begegnen wir Holzkohle also nicht nur beim Würstchengrillen in lauen Sommernächten.

Deutschland / Harz / Köhlerei

Museale Aufbereitung des Köhlerhandwerks

Die bei Hasselfelde gelegene Harzköhlerei ist ein arbeitender Betrieb mit Museum. Hier werden jährlich noch 150 Tonnen Holzkohle überwiegend in Stahlkesseln produziert. Wer Glück hat, der kann die Ernte eines traditionellen Erdmeilers erleben, während nebenan aus dem unlängst aufgeschichteten Meiler je nach Windrichtung mal mehr mal weniger weißer Rauch aufsteigt. Etwa zwei Wochen dauert es vom Aufschichten des Meilers bis zum Ernten der Holzkohle. Dabei, so erklärt uns Peter Feldmer, muss der Prozess des Verkohlens unter Sauerstoffabschluss passieren. Will der Brand gelingen, so muss der Köhler Tag und Nacht an seinem Meiler Wache schieben. Dazu dient die konische Köhlerhütte auf dem Brandplatz. In einem kleinen, sehr anschaulich gestalteten Museum sieht man in einen Meiler hinein und erfährt, was es mit der Hille Bille, einem Schlagbrett, auf sich hat.

Nächste Station unserer Harzbergbau-Tour ist das Schaubergwerk Büchenberg in Elbingerode, das behindertengerecht ausgebaut ist. Von der einst vorhandenen Seilbahn, mit der das geförderte Erz über mehr als acht Kilometer zur Eisenbahn geschafft wurde, ist nur noch ein Pylon mit Lore übrig geblieben. Während der didaktisch aufbereiteten Führung bleiben keine Fragen offen. Uns wird vom Wetterschacht und der Wettertür erzählt. Der so genannte Portalausbau und die verschiedenen Techniken des Abbaus sind weitere Themen. Außerdem ist nicht nur der Lärm der Pressluftbohrer zu hören, sondern auch zu erfahren, was unter „Alter Mann“ zu verstehen ist.

Wenn keiner einen Vogel hätt´ ...

Deutschland / Harz / Kanarienmuseum

Eines der "Fundstücke" aus dem Harzer-Roller-Kanarienmuseum-Museum

Zwischen bewaldeten Hängen liegt im Tal von St. Andreasberg die Grube Samson, ein historisches Silberbergwerk, dass zwischen 1521 und 1910 in Betrieb war und im Gangerzabbau 98% reines Silbererz förderte. Zu besichtigen sind das mächtige hölzerne Kehrrad und das Kunstrad mit einem Durchmesser von beinahe zwölf Metern, das ursprünglich die Fahrkunst antrieb. Bis heute wird diese als Drahtseilfahrkunst betrieben und genutzt, um die Wasserkraftwerke auf 130 und 190 Meter untertage zu warten. Ursprünglich diente die Fahrkunst zum Ein- und Ausfahren bis in eine Tiefe von achthundert Metern.

Deutschland / Harz / Fahrtkunst-Modell

So funktionierte die Fahrtkunst, mit der Bergleute in die Grube ein- und ausführen.

Im angeschlossenen Museum finden sich unter anderem zahlreiche Mineralienfunde, historische Trachten von Steigern und Bergbeamten, das Modell der Grube Samson von 1920 und außerdem Geleucht und Werkzeuge der Bergleute. Ganzer Stolz von Jochen Klähn, dem Museumsleiter, ist das Harzer-Roller-Kanarien-Museum, das wohl einmalig auf der Welt ist. Beim Rundgang zeigt er uns seine Schätze, nicht nur die kleinsten Kanarienvögel, sondern auch ein gerade erstandenes Grammophon mit einer Schellackplatte von 1908, auf der Kanarienvogelgesang erklingt. Wir sehen einen sorgsam gestalteten Heimarbeitsplatz, an dem Vogelkäfige gebaut werden, betrachten einige mit Intarsien gestaltete Gesangkästen, hinter deren geschlossenen Türchen die gefiederten Bergmannsfreunde bei Wettbewerben ihren Gesang anstimmen, stehen vor so genannten Reffs, unter deren Sackleinen gestapelte Transportkäfige zu finden sind, die dem Export von Kanarienvögel dienten.

Deutschland / Harz / Kanarienzüchter

In der Stube eines Kanarienvogelzüchters

Besonders auf Wilhelm Trute werden wir hingewiesen, dem wir heute den so genannten Harzer Roller verdanken. In der Kanarienvogelküche mit gusseisernem Ofen schilpen ein paar gefiederte Piepmätze, während in der eigenen „Kanarienschule“ sechs Stunden lang Kanarienvogelgesang mit acht verschiedenen Melodien „Kanarienschüler“ zum richtigen Gesang anhalten soll. „Zwischen November und Januar trällern die gelben Kanarienvögel am besten“, so verrät uns Jochen Klähn. „Aber nur die Männchen verstehen diese Kunst“, fügt er hinzu. Ungezählt sind die Nester und Käfige, ob Paar- oder Heckkäfige, die im Museum aufbewahrt werden. Und mit einem Schmunzeln liest man: „Das Leben wär´ nur halb so nett, wenn keiner einen Vogel hätt´.“ Und das scheint auch das Motto dieses urigen Museums zu sein.

 

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