Rodeln, Rasen, Rüschen

In Hamburg-Blankenese geht´s im Winter bergab – auf fliegenden Kisten

Text und Fotos: Adrienne Friedlaender

Die Morgensonne spiegelt sich auf der Eisfläche am Steilhang. Über die kahlen Laubbäume reicht der Blick bis hinunter zur Elbe. Vor dem Eingang zu Schinckels Park (1) in Blankenese stapeln sich holzkistenartige Gefährte. Meterlange dünne astlose Baumstämme liegen kreuz und quer drum herum, einige sogar auf der Straße. Dazwischen laufen geschäftig ein Dutzend Männer und Frauen umher. Sie wischen Sitzflächen trocken, überprüfen die Zugbänder an den Kisten und positionieren die eigenartigen Stämme. Auch die ersten Zuschauer haben sich bereits am Rande der Schinckels Wiese versammelt.

Hamburg-Blankenese - Rodeln

„Die Füße fest auf den Balken und gut festhalten.“ Henri Kramer gibt die letzten Anweisungen vor dem Start. Der große schlanke Mann mit dem Dreitage-Bart setzt sich hinter seinen Gast auf das sonderbare Kufenfahrzeug und klemmt sich den sechs Meter langen Stamm fest unter den rechten Arm. „Warschau!“ ruft er mit abenteuerlichem Funkeln in den blauen Augen. Los geht’s: In wenigen Sekunden beschleunigt der Schlitten und saust Richtung Elbe den Abhang hinunter.

Hamburg-Blankenese - Rodeln

Wer in den Wintermonaten einen City-Trip nach Hamburg unternimmt und eine außergewöhnliche Attraktion erleben möchte, sollte unbedingt einen Abstecher nach Blankenese machen. Denn sobald die Temperaturen unter den Gefrierpunkt sinken, steigt der Adrenalin-Spiegel einer eingeschworenen Gemeinde im idyllischen Elbvorort. Dann wird das beschauliche ehemalige Fischerdorf mit seinen Treppenvierteln, den Parks und Villen zum Schauplatz für eine Alpin-Extrem-Disziplin. Die Blankeneser holen ihre verstaubten Kreeks aus dem Keller und treffen sich im Schinckels Park. Und wo sich im Sommer die Radprofis bei den Vattenfall-Cyclassics über den nahen Waseberg quälen, rüschen im Winter die Kreeker in ihren Rennkisten den Hang hinunter. Und Gäste, die Lust auf ein Hochgeschwindigkeits-Abenteuer haben, dürfen mit auf den Schlitten.

Hamburg-Blankenese - Rodeln

Gerüscht wird mit einer Kreek. Ein Gefährt, das aussieht wie eine etwas größere Fischkiste mit Kufen: quadratisch, flach und vor allem rasend schnell. Gefahren wird allein oder zu zweit. Der Steuermann sitzt hinten und lenkt den Rennschlitten mit einer sechs Meter langen Stange. Davor sitzt der so genannte Vorschoter, stemmt seine Füße gegen eine Querstange, umfasst die Beine des Steuermanns und hält sich mit beiden Händen an der Kreek fest. Und das möglichst gut! Denn die Kreeks rasen mit Geschwindigkeiten bis zu 70 Stundenkilometern den Hang hinunter.

Der Ausdruck Rüschen klingt vergleichsweise harmlos für die rasante Höllenfahrt auf dem Hochgeschwindigkeits-Schlitten. Und dass Rüschen so wenig mit Rodeln zu tun hat, wie Schneeschuhwandern mit Skispringen, wird schnell klar: Die Gesichter der Zuschauer fliegen vorbei. Die Kufen donnern über den betonharten Boden und der Schlitten rast auf eine Schwelle zu, die einer Sprungschanze gleich kommt. Eine Herausforderung für Neulinge , denn auch für sie gibt es keine Ausweichspur. Ein bewunderndes Raunen geht durch die Menge als Henri und seine Gast-Vorschoterin im Affentempo über die Sprungschanze fliegen.

Hamburg-Blankenese - Rodeln

Der 43jährige Henri Kramer ist, wie die meisten der etwa 50 Mann starken Kreeker-Gemeinschaft, in Blankenese aufgewachsen und saß schon als Kind in der rasenden Fischkiste. Nach mehr als dreißig Jahren Erfahrung weiß er, worauf es beim Rüschen ankommt und ist ein sicherer Fahrer. Wie viele seiner Kreeker-Freunde nimmt auch er Gäste mit auf den Schlitten. Die dürfen gern etwas kräftiger gebaut sein, denn ein schwerer Vorschoter stabilisiert nicht nur die Lage der Kreek auf der Bahn, sondern beschleunigt auch das Tempo.

Bevor es hier Straßen und Treppen gab, transportierte man Kartoffeln und Kohlen auf den Lastschlitten zu den Bewohnern des Blankeneser Hanggebietes. Schon vor mehr als 100 Jahren entdeckten kreative Blankeneser die Schlitten für ihr Pistenvergnügen. Meist sind die Kreeks in den Kellern der Blankeneser Segler zu finden. Und so stammen auch alle Ausdrücke und Kommandos rund um das Kreeken aus der Segelsprache: „Warschau“ und „Raum“, bedeuten auf dem Wasser wie auf der Piste: Achtung – Bahn frei!. Und jeder tut gut daran, der Aufforderung umgehend zu folgen und sich schnell aus dem Staub zu machen, wenn die Kreeks den Hang hinunter brettern. Normale Schlitten-Rodler, die am Leben hängen, haben längst die Piste geräumt und sind auf die familienfreundlichen Hänge in den benachbarten Elbparks ausgewichen. Ein Davos Schlitten hat auf Schinckels Wiese so wenig zu suchen, wie ein Fiat-Panda auf der Formel-1-Strecke.

Hamburg-Blankenese - Rodeln

Nach 800 Metern endet die Rennstrecke. Und die Kreek kommt am Fuße des Waseberges sanft zum Stehen. Gott sei Dank!

Denn wenn die Bahn zu glatt ist, muss der Fahrer zusätzlich bremsen. Und das ist gar nicht so einfach. Dann heißt es: Steuerlatte weg und mit beiden Händen die Kreek hochreißen, sonst landet man am Zaun, Baum oder auf der Straße. So gibt es jedes Jahr auch ein paar Unfälle auf der Bahn. Aber ein paar Prellungen und Schürfwunden gehören mit zum Vergnügen. „Richtig gefährlich wird es nur“, sagt Henri, wenn unerfahrene Kreeker oder Gäste die Geschwindigkeit unterschätzen, sich nicht richtig festhalten oder leichtsinnig werden.“ Seine Bedingung daher: Ohne Helm kommt kein Gast mit auf die Kreek!

„Das Gefühl eins zu werden mit Gefährt und Eis ist einfach Wahnsinn!“, schwärmt Henri Kramer. „Und natürlich die Geschwindigkeit!“ Und während seine Gast-Vorschoterin sich mit wackligen Beinen unter die Zuschauer mischt, fliegt Henri wenige Minuten später erneut über die Schanze.

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Keine Frage: Beim Rüschen ist schon das Zuschauen aufregend. Da tut zur Entspannung ein kleiner Spaziergang gut. Nur fünf Minuten Fußweg entfernt von Schinckels Wiese erreicht man den Elbstrand. Entlang der Uferpromenade findet man Cafés und Restaurants, um mit einem Glühwein auf die Höllenfahrt anzustoßen. Oder bei einer deftigen Scholle den großen Pötten hinterher zu schauen, die am Leuchtturm vorbei hinaus aufs Meer fahren – ganz langsam.

 

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