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Emden
Kunsthalle
Nolde / Rohlfs Zwei Künstlerleben bis 23.4.2023

Die beiden Norddeutschen Emil Nolde (1867–1956) und Christian Rohlfs (1849–1938) zählen zu den wichtigsten Vertretern des Expressionismus und das, obwohl sie bedeutend älter waren als die expressionistische Avantgarde mit ihren berühmten Gruppierungen des Blauen Reiters in München und der Brücke in Dresden. Als ausgesprochene Einzelgänger lässt sich anhand ihrer Vitae ihre individuelle Werkentwicklung hin zu ihrer jeweils einzigartigen Ästhetik nachvollziehen und als Teil der größeren kunsthistorischen Umbrüche um die vorletzte Jahrhundertwende sehen. Darüber hinaus eröffnen die Biografien beider eine historisch-politische Perspektive. Die ambivalente Einschätzung des Expressionismus während des Dritten Reichs – zunächst als deutsche Kunst, d.h. als nordischer Expressionismus in Teilen anerkannt, dann als entartet verfemt – führt vor Augen, wie unabgeschlossen Bedeutungszuschreibungen sind und welche Verunsicherungen und Herausforderungen dadurch für unsere Rezeption entstehen.

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Christian Rohlfs, Patroklidom in Soest, 1919, Aquarell und Pinselzeichnung auf Papier. Kunsthalle Emden

"Über Emil Nolde – mit bürgerlichem Namen Hans Emil Hansen – und seine ideologische Einstellung ist mittlerweile viel bekannt. Nolde war von der nationalsozialistischen Ideologie fasziniert, NSDAP-Mitglied und diente sich dem NS-Regime an. Als Künstler mit starkem Sendungsbewusstsein war er stets an seiner Außenwirkung interessiert. Bereits in den 1930er Jahren hat er begonnen, seine mehrteilige Autobiografie zu veröffentlichen, die nach dem Krieg redigiert und an zentralen Stellen überarbeitet wurde. Es zählt zu den großen Errungenschaften von Ausstellungen wie Emil Nolde. Retrospektive (2014) in Frankfurt und Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus (2019) in Berlin, dass sie durch die Öffnung des Archivs in der Nolde Stiftung Seebüll die Sicht auf Emil Nolde nachhaltig prägten und mit dem einseitigen Narrativ des als »entartet« diffamierten Künstlers und Opfers der Nationalsozialisten schlussendlich brachen." So lesen wir es im Vorwort des Katalogs.

Fast 70 Jahre mussten also vergehen, um deutlich zu machen, dass Nolde eben durch und durch nationalsozialistisch verblendet und von Antijudaismus überzeugt war. Dass er dennoch Teil der klassischen Moderne war und nicht staatstragende, im Sinne der Heroisierung der arischen Herrenrasse ausgeformte Kunstwerke wie Arno Breker und andere "Gottbegnadete" geschaffen hat, ist eben auch Teil der Biografie des dänisch-deutschen Künstlers. Christian Rohlfs, der 1938 verstarb und eng mit dem Osthaus-Museum verbunden war, hat eine gänzlich andere, eher unpolitische Vita , auch wenn er in seinen Darstellungen von Juden Stereotypen wählt, die dann im "Stürmer" auf die Spitze getrieben wurden.

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Emil Nolde, Dampfer auf dem Meer, 1938/1945, Aquarell auf Japanpapier. Kunsthalle Emden © Nolde Stiftung Seebüll

Ob die Interventionen, die sich auf einige gezeigte Werkaspekte beziehen von Bedeutung sind, um sich den beiden Künstlerpersönlichkeiten zu nähern, mag jeder Besucher selbst entscheiden. Das Konzept der Ausstellung macht jedenfalls in ausführlichen Saaltexten deutlich, wes Geistes Kind die beiden Künstler, aber auch die Künstler der Brücke waren. Klassische Moderne bedeutete in Bezug auf die Kunst einen avantgardistischen Blick. Das traf aber nur auf die Kunst zu. Im Hinblick auf die neuen "arischen Herren", die eben auch durch Ermächtigungsgesetz und Terror von Gesapo und SS über 12 Jahre lang ein Regime führten, waren die Künstler durch und durch opportunistisch, wenn nicht gar ideologisch verblendet wie Nolde. Hermann Max Pechstein bekannte sich als Nationalsozialist, verwies auf seine "arische Abstammung" und auf die SA-Mitgliedschaft seines Sohnes, wie man dem entsprechenden Saaltext entnehmen kann. Als entartet galt seine Kunst dennoch. Gewiss, von keinem anderen Künstler wurden so viele Kunstwerke beschlagnahmt und prominent auf der Ausstellung "Entartete Kunst" gezeigt wie von Emil Nolde. Doch an der Gesinnung Noldes änderte das nichts. An der Legende wurde weiter gestrickt. Die sogenannten ungemalten Bilder gehören dazu. Teil der Legendenbildung um Nolde spiegelt sich auch in Siegfried Lenz "Deutschstunde" wider.

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Emil Nolde, Mohn, Dahlien, Rittersporn, um 1930/1940, Aquarell auf Japanpapier. Kunsthalle Emden © Nolde Stiftung Seebüll

Doch seit einigen Jahren werden Nolde und die Vertreter der Klassischen Moderne „entzaubert“. Und dazu trägt auch die aktuelle Ausstellung in Emden bei. Sie fordert den Besucher, der gleich zu Beginn in einem „Lesesaal“ mit entsprechender Literatur und Saaltexten konfrontiert wird, auch mit solchen von Lindner & Steinbrecher, die sich mit dem nicht abzustellenden Mythos des „Entarteten“, also des „Guten“ auseinandersetzen. Sie geben sich als Teil der Generation Golf aus und fragen sich angesichts von Klimakrise, dem Krieg in der Ukraine, dem ungebrochenen Nutzen von Erdöl, dem sorglosen Umgang mit Trinkwasser, ob nicht auch sie Fragen aushalten müssen, die die Kinder an die Elterngeneration stellen, so ähnlich wie eben auch Nolde in seiner Biografie und seinem künstlerischen Schaffen zu hinterfragen ist.

Während Nolde die Streichung aus der Mitgliederliste der Preußischen Akademie der Künste als Missverständnis bezeichnete, sah er sich doch gar als urdeutsch an, so formulierte Rohlfs angesichts des Vorhabens, dass er nichts tun werde, was als Unterwürfigkeit gedeutet werden kann. Schon darin zeigt sich der Unterschied der beiden aus Norddeutschland stammenden Künstler.

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Christian Rohlfs, Goldenes Abendlicht am Lago Maggiore, 1936, Wassertempera und Aquarell auf Bütten. Kunsthalle Emden

Nach dem durchaus fordernden Leseanteil zu Beginn der Ausstellung begeben wir uns auf eine thematische Tour durch den Werkkanon der beiden Künstler und der Vertreter der Brücke. Die Ausstellung eröffnet mit zwei Selbstporträts: hier Rohlfs mit schlohweißen Haaren in Seitenansicht und dort Nolde en face mit blauen Augen und gelbem Hut den Betrachter fixierend. Dabei ist das Nolde-Porträt dahingehend zu deuten, dass sich der Künstler als Sehender begreift. Gezeigt werden auch Ausgaben von „Jahre der Kämpfe“ und „Das eigene Leben“, in den 1930 Jahren erschienen und ein Selbstzeugnis, das keinen Zweifel an der nationalsozialistischen Gesinnung Noldes lässt.

„Vor 1900 Anfänge und Prägungen“ – so lautet das erste Kapitel der sehr sehenswerten Ausstellung. Zu sehen ist ein Rückenakt von Rohlfs. Er malte einen Körper, der nicht makellos ist, sondern die Poren und Unebenheiten sowie Verletzungen der Haut deutlich darstellt. Längst den klassischen Impressionismus hinter sich lassend und mit gestischem Farbauftrag schuf der Künstler zudem „Märzlandschaft bei Weimar“. Sind da nicht noch Schneereste am Rand des Birkenhains zu sehen? Übrigens, ein einsamer Spaziergänger geht seines Weges. Wohin ist er wohl unterwegs?

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Christian Rohlfs, Rote Tulpen, 1926, Wassertempera, Aquarell und farbige Kreide auf Bütten. Kunsthalle Emden

Zu den frühen Werken von Emil Hansen, der sich später nach seinem Geburtsort umbenannte, stammen Zeichnungen von Typen aus Appenzell Inner-Rhoden und auch Bergpostkarten mit alpinen Motiven. Doch die Bergwelt verwandelte Nolde in „lebendige (Märchen)Wesen“, so auch Jungfrau, Mönch und Eiger. Man sieht bei Nolde Frauen in Tracht, aber auch einen Pfeife Rauchenden mit Schlapphut. In Tusche entstand in der Zeit, als Nolde auch in St. Gallen beruflich tätig war, „Gebirgslandschaft im Berner Oberland“ mit schroffen, mit Schnee und Eis bedeckten Berggipfeln.

Unter dem Stichwort „Französischer Einfluss und Expressionismus“ zeigt man neben zwei männlichen Akten auch weibliche, die Christian Rohlfs bzw. Emil Nolde geschaffen haben. Von der Bildaufteilung eher ungewöhnlich ist die diagonal auf dem Bauch Liegende, deren Gesicht durch die langen herabfallenden Haare verdeckt ist, übrigens ein Werk von Nolde! Als hätte Paul Signac die Hand von Rohlfs geführt, erscheint „Ruhr bei Hohensyburg“. Ganz im Sinne des Pointillismus setzte Rohlfs „Bildpunkte“ neben einander, um die Landschaft an der Ruhr auf die Leinwand zu bannen. Flirrendes Licht in Blaunuancen liegt über der Landschaft. In beinahe transparentes Blau mit wenigen Tupfern Tintenblau für die Wogen des Flusses ist die Ruhr getaucht. Gestisch ist der Farbauftrag und der „Pinselschlag“ bei „Hügellandschaft mit tief stehender Sonne“. Von der Malweise wird man beim Anblick an van Gogh erinnert, wenn auch die Farbpalette eine gänzlich andere ist. Eher gedeckte Farben sind es, die Rohlfs verwendet hat.

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Christian Christian Rohlfs, Straßenszene, 1920. Aquarell, Tempera und Tusche auf Papier. Kunsthalle EmdenRohlfs, Straáenszene, 1917

Den Hamburg-Ansichten – Radierungen von Nolde – wurden nun nicht Rohlfs Ansichten von Soest gegenübergestellt, sondern diese „Hamburgensien“ stehen für sich, ob die Landungsbrücken oder das Reiherstiegdock sowie die Ansicht von Petri- und Jacobikirche. Der Hamburger Hafen wird nicht von Kreuzfahrtschiffen wie heute belebt, sondern noch von einigen Großseglern. Doch die neue Zeit der Dampfschifffahrt kündigte sich an, blickt man auf die Radierung vom Reiherstiegdock. Im Dialog dazu steht Rohlfs „Waldweg nach Erling“. Tiefe Spurrinnen haben sich in den von Birken bestandenen Waldweg eingegraben. Vom Duktus her ist diese Arbeit in der Nachfolge von van Gogh anzusiedeln.

Norddeutsche Szenerien findet wir beim Rundgang außerdem, so Noldes „Korndiemen am Sielzug“, eine flächig ausgeführte Arbeit mit einem im Siel angelandeten Kahn, einem rot getünchten Haubarg und den Hocken oder Diemen, mittels Gestell konisch aufgeschichtetes Korn. Zumeist aber wurde so Heu getrocknet! Zu den dörflichen Ansichten gehört auch ein holsteinischer Bauernhof, vor dem ein Anhänger abgestellt wurde, sowie eine Marschlandschaft unter einem düsteren grau-violetten Gewitterhimmel. Das eine Werk stammt von Rohlfs, das letztere von Nolde. Nebeneinander gehängt wurden Rohlfs „Hochwald“ mit vertikaler, linearer Bildstruktur und Noldes „Bäume an der Wiedau“, die durch den Wind und Sturm gebeugt in der Landschaft stehen.

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Emil Nolde Windmühle 1913, Farblithographie. Kunsthalle Emden
© NoldeStiftung Seebüll

Gleichsam als Exkurs ist das Kapitel „Brücke und Nationalsozialismus“ zu begreifen. Nur kurze Zeit war Nolde Mitglied der Brücke, deren Protagonisten wie Hermann Max Pechstein und Erich Heckel in der Emdener Kunstschau zu sehen sind. Auch hier beleuchtet der Saaltext die Positionen der Brücke-Maler zum Nationalsozialismus. Keine Frage, Pechstein gab sich als glühender Parteigänger zu erkennen, wie dem entsprechenden O-Ton zu entnehmen ist. Kirchner zeigte sich eher als Zögerer und Opportunist, wie so viele Deutsche, die 1933 meinten, der braune Spuk sei bald vorbei. Weit gefehlt, wie die Nachgeborenen wissen.

Wer vor Pechsteins „Nährende Mütter“, gemalt 1926, steht, der reibt sich die Augen. Sozialistischer Realismus oder Hohelied auf die Frau als Mutter, wie es sich unter anderem in der Verleihung des Mutterkreuzes widerspiegelt? Gezeigt wird unter anderem auch Heckels „Spätnachmittag (Dangast)“ sowie einige gezeichnete Akte von Kirchner. Unverfänglich allemal, oder?

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Christian Rohlfs, Schlafende in Rot , um 1911, Wassertempera und Tusche auf Karton. Kunsthalle Emden

Beim Kapitel „Menschenbilder“ wird man schon eher mit Klischees und Stereotypen konfrontiert, auch beim Anblick des Trinkers, der Christian Rohlfs zu verdanken ist. Geradezu clownesque wirkt der Porträtierte. Wir sehen aber auch Noldes „Junge Dänin“ mit roten Haaren und wulstigen Lippen. Warum nicht semmelblond und blauäugig? Aus einem Zyklus zum Thema Theater stammt Noldes „In der Loge“.

Das Exotische zog die Künstler der Klassischen Moderne an, wie wir wissen. Nolde und Pechstein besuchten auf einer Exkursion die Südsee. Gaugin zog es gar nach Tahiti. Afrikanische Masken faszinierten Schmidt-Rottluff ebenso wie Picasso. Aus dem Kontext Exotik sehen wir nicht nur Nackttänzerinnen wie Noldes „Kerzentänzerinnen“, sondern auch Rohlfs „Zyklus“, der sich mit China beschäftigt. Darunter sind Arbeiten wie „Chinesischer Tanz I“ und „Am Pranger II“. Das Exotische verkommt in derartigen Werken teilweise zum Abbild des entfesselten Wilden bzw. des Unkultivierten, oder?

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Emil Nolde, Akt schräg, 1908, Radierung und Aquatinta auf Papier. Kunsthalle Emden © Nolde Stifung Seebüll

Für die, die sonst zu Nolde nach Seebüll pilgern, gibt es auch die Blumendarstellungen in Emden zu sehen. Und auch Rohlfs hat der Nachwelt Blumenbilder hinterlassen. Man sieht Rittersporn, Dahlien, Tulpen und Petunien. Abgerundet wird die Schau mit dem Alterswerk der beiden Künstler. Hervorgehoben werden soll in diesem Zusammenhang Rohlfs stimmungsvolle Ansicht des Lago Maggiore und Noldes „Segler auf See“. Man hat dabei eher den Eindruck, man sehe Strandsegler, ist doch das Meer bei Nolde in helle Sandfarbe getaucht.© fdp 2023

Informationen
https://kunsthalle-emden.de


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