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Bremen
Kunsthalle


Sunset. Ein Hoch auf die sinkende Sonne bis 2.4.2023

Obwohl ein alltägliches Phänomen, zieht uns die untergehende Sonne immer wieder in ihren Bann. Auch aus der Kunst ist das Motiv nicht wegzudenken. Und dennoch steht es unter KitschVerdacht. Mit der Ausstellung "Sunset" präsentiert die Kunsthalle Bremen rund 120 hochkarätige Werke von der Romantik bis in das 21. Jahrhundert. In der Ausstellung geht es nicht nur um die Frage des Kitsches, sondern auch um das Potential des Themas, in zutiefst menschliche Sphären vorzudringen. So sind die gezeigten Werke vielfältig: Die Arbeiten unter anderem von Tacita Dean, Claude Monet, Dieter Roth, William Turner und Félix Vallotton sind berührend, humorvoll und apokalyptisch – mal abstrakt, mal atemberaubend schön.

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Holger Drachmann, Sonnenuntergang an einem Januartag in Skagen, 1907 Öl auf Leinwand, 31 x 44 cm © Art Museums of Skagen, Foto: Kirsten Bojstrup

Nicht nur in der Kunst findet man seit Jahrzehnten das Motiv des Sonnenuntergangs, sondern auch im Marketing. So wirbt der Norddeutsche Rundfunk mit folgendem Dialog und einem Clip mit zwei Männern, die übers flache Land schauen: „Das Beste am Norden sind unsere Sonnenuntergänge.“ - „Hä, das ist ein Sonnenaufgang.“ Das Motiv scheint ähnlich zu sein, aber … Wer an die Welt der Schlager denkt, kennt gewiss „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt …“ Also auch außerhalb der bildenden Kunst ist der Sonnenuntergang immer wieder mal ein Thema.

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Anna Ancher, Trauer (Sorg), 1902 Öl auf Leinwand, 86,5 x 73,8 cm © Art Museums of Skagen, Foto: Kirsten Bojstrup

Die aktuelle Ausstellung hat sich nun nicht auf ein einziges Genre der bildenden Kunst fokussiert, um das Thema zu behandeln, sondern hat auch Bremer Bürger an der Ausstellung beteiligt. Sie wurden aufgefordert, Fotos von Sonnenuntergängen einzusenden. 5000 Arbeiten wurden eingereicht, einige von diesen wurden für einen Kalender ausgewählt. Eine riesige Fototapete mit einem Sonnenuntergang am Meer ist die Projektionsfläche für die Präsentation des Kalenders.

Die Ausstellung gliedert sich in Themenblöcke wie Umweg durch das Universum oder Meeresglitzern & Alpenglühen.. Jeder der Räume ist farbig ausgekleidet, ob in fahler Lachsfarbe oder in tiefem Blau. Dabei ist die Vorlage für die Farbsetzungen eine ausgestellte Arbeit, die schlicht auf Farbmusterkarten fußt. Die Vorlage hat den Titel „#sunset“ und wurde von Victoria Binschtok geschaffen. 120 Werke von der Romantik, sprich von Caspar David Friedrich und Carl Gustav Carus, bis hin zur Gegenwart werden dem Besucher vorgestellt. Grafiken sind ebenso zu sehen wie Ölgemälde und Videos. Unter den ausgestellten Künstlern sind Dieter Roth, Günther Uecker, Andy Warhol, Claude Monet, Felix Vallotton, Lyonel Feininger, Christian Morgenstern und Corbusier sowie Klaus Staeck, um nur einige hervorzuheben.

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Johann Wilhelm Julius Köhnholz, Das Loisachtal in den bayerischen Alpen, um 1871 Öl auf Leinwand, 120 x 151 cm Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen

Wo man allerdings einen Sonnenuntergang mit gleichzeitig drei Sonnen sehen kann, das müsste man den Künstler Josef Scharl fragen, der uns zwei rote und einen gelben Sonnenball am schlierig-grauen Himmel über einer rostbraunen hügeligen Landschaft präsentiert. Mit diesem Gemälde machen wir uns dann als Besucher auf ins Universum, so der thematische Block, der mit dem genannten Werk eröffnet wird. Ein Triptychon mit Zeichnungen auf Weltraumphotos ist der nächste Blickfang. „Sardust 8“ lautet der Titel der Arbeit mit einer Landschaft, über die ein Sonnensturm gleichsam hinwegfegt und das Laub der Bäume zersaust. Die Urheberin des Werks ist Marikke Heinz-Hoek.

Mit Kult und Kommerz setzt sich die Ausstellung im Weiteren auseinander. Der entsprechende Ausstellungssaal ist orange ausgeschlagen. Einer der bekannten deutschen Kritiker an den Verhältnissen in diesem Land, der Grafiker Klaus Staeck, hat sich auch mit dem Thema der Ausstellung befasst und hinterfragt, ob wir denn alle mit dem Auto oder dem Flugzeug in die Sonne reisen müssen. Entsprechend gestaltet ist sein Plakat “Keine Freiheit ohne Verschwendung“ (1979). Tatsächlich, ein startendes Flugzeug ist hier vor der sinkenden Sonne zu sehen. Und auch der Luxusschlitten steht bereit, um zu neuen Ufern aufzubrechen.


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Christian Morgenstern, Burgruine, 1838 Öl auf Leinwand, 23 x 35 cm Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen

Beinahe surrealistisch mutet die Arbeit von Henri Meunier an. Titel der Arbeit ist „Das Testament des Baron Jean“. Da treibt ein Mann mit braunem Hemd auf dem Rücken durchs Wasser, derweil sich von einer Klippe eine Kaskade ergießt. Und im Hintergrund sieht man die verschwindende knallrote Sonne. Konrad Schulz zeigt uns seinen Siebdruck „Huge hot tyre“. Wir sehen eine flache, öde Landschaft, durch die eine Straße führt. Auf ihr ist ein einsamer VW Käfer unterwegs. Übermächtig ist der rote Sonnenball im Hintergrund, der sich allerdings als glühend roter Riesenautoreifen erweist. Man hat den Eindruck dieser Reifen breite sich wie ein Feuerball aus und werde alsbald den VW Käfer verschlucken.

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Dieter Roth, Kleiner Sonnenuntergang, 1968 Salamischeibe zwischen blauem und weißem Papier in Plastiktasche, 43 x 32 cm Dieter Roth Foundation, Hamburg, © Dieter Roth Estate / Courtesy Hauser & Wirth

Der nächste Saal ist in sattes Blau getaucht. Zu sehen sind hier eine Reihe von grafischen Arbeiten, so auch ein Sonnenuntergang, der aus dem 17. Jh. stammt. Fahles Licht breitet sich über einige Segler mit aufgezogenem Segel aus. Scharen sich da nicht einige Männer am Ufer um ein Feuer? Derweil nähert sich der Gruppe ein flacher Kahn, der wohl an Land festmachen möchte. Geschaffen hat diese Szenerie Matthieu van Plattenberg, der in seinem Werk Sonnenuntergang und Mondaufgang miteinander verband. Der Niederländer Johan Barthold Jongkind hielt den Sonnenuntergang im Hafen von Antwerpen für die Nachwelt fest. Hier sind es Segler, u. a. ein abgetakelter Dreimaster, die im Licht der untergehenden Sonne im Fokus stehen. Zu den gezeigten grafischen Arbeiten gehört außerdem ein Blatt aus der Mappe „Der Krieg“ von Otto Dix. Kriechend bewegen sich zwei Soldaten, die ihr Essen organisiert haben, durch die mit Stacheldraht gesicherten Stellungen. Ist da nicht am Rande Gevatter Tod zusehen? Comic ähnliche Figuren entdeckt man bei Lyonel Feiningers Arbeit „Stadt mit untergehender Sonne“ (1921).

Grandios ist die Alpenlandschaft von Johann W. Julius Köhnholz gestaltet worden. Die von Eis und Schnee bedeckten Berggipfel sind in das rote Sonnenlicht getaucht. Dieses spiegelt sich in einem Fluß, der durch das Loisachtal fließt. Seiner Zeit weit voraus war William Turner, der mit „gewischtem Farbauftrag“ den Strand von Calais bei Niedrigwasser in Öl auf Leinwand bannte. Zugleich sehen wir Fischerfrauen , die bei Ebbe emsig Köder sammeln. Die untergehende Sonne bildet gleichsam eine Schneise im Wolkenvorhang, den Turner konzipierte.

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Caspar David Friedrich, Frau vor der untergehenden Sonne, um 1818 Öl auf Leinwand, 22 x 30 cm Foto: Museum Folkwang Essen / ARTOTHEK

Mit Carus und Morgenstern ist die Romantik in der Ausstellung gegenwärtig. Zu sehen sind „Abend am Meer“ und „Burgruine“. Aber auch Caspar David Friedrich ist mit einem kleinformatigen Ölgemälde in der Ausstellung vertreten. „Frau vor der untergehenden Sonne“ lautet der Bildtitel. Durchaus symbolistisch aufgeladen ist die Szene, die die Rückenansicht einer Frau in bodenlangem Kleid zeigt. Sie starrt in die Ferne, in die sehnsüchtige Ferne, die jenseits der Bergkette im Hintergrund wohl zu finden ist, oder? Jenseits des angesagten sozialistischen Realismus gestaltete einer der führenden Köpfe der DDR-Kunstszene Wolfgang Mattheuer eine Badeszene mit Nacktbadenden im kabbeligen Wasser. Über deren Köpfe senkt sich der Sonnenball langsam ab und spiegelt sich auf der Oberfläche des Meeres. Dem Sonnenuntergang schenkt keiner der Badenden Beachtung. Statt dessen widmen sich einige dem Spiel mit dem bunten aufblasbaren Plastikball.


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Félix Vallotton, Sonnenuntergang in Grâce, orangefarbener und violetter Himmel (Coucher de soleil à Grâce, ciel orangé et violet), 1918 Öl auf Leinwand, 54 x 73 cm Privatsammlung

„Spot on“ lautet ein weiteres Thema der sehr sehenswerten und dynamisch gestalteten Ausstellung. Neben einigen japanischen Holzschnitten zeigt man auch Arbeiten von Felix Vallotton, darunter „Die große Wolke“ mit einer übermächtigen mausgrauen Wolke, die den überwiegenden Teil des Bildes ausmacht, und „Sonnenuntergang in Grâce, orangefarbener und violetter Himmel“, stimmungsvoll gestaltet und ein wenig an die Werbung für Bacardi Rum erinnernd, die das Klischee der Karibik bedient. Wolfgang Hainke schuf „The Beginning of…“ und griff dabei den Abspann von Paramount-Filmen auf. Was ist zu sehen? Ein spitzer Berggipfel umgeben von einem Sternenkranz und über dem Berggipfel das Licht der untergehenden Sonne. Entgegen des Bildtitels liest man übrigen „The End“ in der von Hainke konzipierten „Collage“.

Unter dem Stichwort „Sunset productions“ sehen wir mit gewisser Irritierung unter anderem Werke von Dieter Roth und von Günther Uecker. Roth wäre nicht Roth würde er nicht mit Schokolade oder anderen Lebensmitteln Kunstwerke schaffen. Im vorliegenden Fall diente eine sich auflösende Wurstscheibe als Sonnenball, ob nun bei „Kleinem Sonnenuntergang“ oder bei „Großem Sonnenuntergang“. Uecker, der ja für seine Nagelbilder bekannt ist, zeigt diesmal keine Leinwand, die von eingeschlagenen Nägeln verletzt und durchbohrt wurde, sondern eine beinahe grafische Arbeit, bei der „gezeichnete“ Nägel gleichsam farbige Schatten werfen, von Dunkelrot bis Zitronengelb. Der Name der Arbeit lautet „schwarz-rot-gelb“ und hat von der Ikonografie her im Kern so gar nichts mit dem eigentlichen Sonnenuntergang gemein.

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Claude Monet, Das Parlament, Sonnenuntergang, 1904 Öl auf Leinwand, 81 x 92 cm Foto: Kunstmuseen Krefeld – Volker Döhne / ARTOTHEK

„Trübe Aussichten“ lautet das letzte Ausstellungsthema. Doch so trübe ist nicht, was wir sehen, ob nun Noldes drei Arbeiten, die einer Farbexplosion gleichen und Bildtitel wie „Abendsonne“ oder „Rote Abendwolke“ tragen, oder gar die Ansicht von Westminster, wie Claude Monet es sah, gleichsam mit getupften Farbpunkten in Rosa, Grau und Blau für den Himmel. Das Parlamentsgebäude in London hingegen gleicht einem Schattenriss. Auch bei Norbert Schwontkowskis „Das letzte Licht“ ist von Trübe nicht die Rede. In leuchtend helles Ocker ist die Leinwand vollständig eingetaucht.

Übrigens, dass eine solche Ausstellung nicht aus dem Eigenbestand der Kunsthalle zu bestücken war und nur durch zahlreiche Leihgaben ermöglicht wurde, erklärt sich angesichts der Fülle der Exponate fast von selbst. Zum Gelingen der Schau haben unter anderem die Kunsthalle Emden, das Sprengel Museum Hannover, die Weserburg Museum für moderne Kunst, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, das Museum Folkwang, Essen, die Stiftung Historische Museen Hamburg, Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte sowie die Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg beigetragen. Zur Ausstellung ist im Übrigen beim Hatje Cantz Verlag ein umfänglicher Katalog erschienen.

© ferdinand dupuis-panther

Info
https://www.kunsthalle-bremen.de

 

 

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