Ahlen
Kunstmuseum
30 Jahre Kunstmuseum Ahlen 05. März – 11. Juni 2023
Ausstellungsraum mit Exponaten der Sammlung und Alsoschas Installation Emotional Landcape, 2023, Acrylglas und Acrylfarbe Foto: Aljoscha
Die ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts waren nicht nur in den Künsten Zeiten der Neuerung und des Aufbruchs, sondern stellenweise auch in der Gesellschaft. Deutschland wandelte sich von einem Kaiserreich zu einer Republik. Doch die Weimarer Republik war bildlich gesprochen in dunkle Wolken gehüllt. Die Restauration bekam ihren Raum und dann folgten die Jahre des Totalitarismus. Kunst, die Jahre zuvor noch geschätzt war und die nun im Kunstmuseum zu sehen ist, wurde als undeutsch eingestuft und als entartet gebrandmarkt. Impressionismus, Expressionismus und Luminismus waren verpönte Stile. Umso mehr gilt es sich immer wieder an die Jahrzehnte zu erinnern, in denen diese Stilformen das Non-Plus-Ultra waren.
Walter Ophey, Sandbruch, 1910, Öl auf Leinwand, 50,5 x 50,5 cm Kunstmuseum Ahlen, Dauerleihgabe Theodor F. Leifeld - Stiftung, Foto: Christian Ring
Zu den bildenden Künstlern, die in Farben schwelgten und diese fleckig auftrugen, gehörte der beim Rundgang im Museum anfänglich ausgestellte Walter Ophey, der den Benrather Park für die Nachwelt festgehalten hat. Zu sehen sind rosettenförmige Sträucher, ein Spiegelteich im Hintergrund und ein „Bouquet“ in Grün. Zwei Schattenfiguren bevölkern eine Brücke. Vom gleichen Künstler stammt eine Landschaftsansicht, die ohne Titel geblieben ist. Schatten spendende Bäume säumen einen sandigen Weg. Violett sind die Schattenwürfe der Bäume. Durchs Blattwerk scheint hier und da ein Himmelsblau durch. Diese schon durch den Expressionismus und durch die gefühlten Farben der Brücke-Maler bestimmten Arbeiten werden mit „seriellen Arbeiten“ von der Schweizer Künstlerin Susanne Lyner konfrontiert.16 Farbquadrate sind zu sehen. Die Farbaufträge sind strichig und linear-horizontal und -vertikal vorgenommen worden. Dabei sind auch kreuzende Linienmuster entstanden. Die Farben reichen von Grau bis Feuerrot, von Sandfarben bis Weiß. Man könnte angesichts der Arbeit von Farblandschaften sprechen, die entstanden sind. Dabei muss man auch an Arbeiten der Künstler des Informel denken, oder?
Pierre-August Renoir, Landschaft / Paysage, 1885, Öl auf Leinwand, Kunstmuseum Ahlen, Dauerleihgabe Theodor F. Leifeld - Stiftung, Foto: Christian Ring
Susanne Lyner ist eine der wenigen Künstlerinnen, die in Ahlen zu sehen sind. Dabei sind diese klar in der Minderheit, wie ja auch in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts Frauen in der bildenden Kunst die Ausnahme waren, geduldet, wenn überhaupt und von formalen Studien ausgeschlossen, auf private Kunstschulen verwiesen. Zu den wenigen Künstlerinnen, die sich in der Klassischen Moderne einen Namen gemacht haben, gehört Marie von Malachowski-Nauen, von der „Landschaft mit Figur“ stammt und eine Dauerleihgabe im Kunstmuseum ist. Stürmischer Wind hat die Laubkronen der Bäume im Hintergrund zerzaust. Eine einzige in Schwarz gehüllte Person ist in der Landschaft unterwegs, die auch von welligen Hügeln im Hintergrund geprägt wird.
William Straube, Tunis II, 1909, Öl auf Leinwand, Kunstmuseum Ahlen, Dauerleihgabe Theodor F. Leifeld - Stiftung, Foto: Christian Ring
Dem Neo-Impressionismus bzw. Luminismus muss nicht nur Curt Hermanns Gemälde „Lago Maggiore“, sondern auch Elfriede Thums Ansicht von Lugano zugerechnet werden. Beide lösten das Sujet in kurze farbige Strichsetzungen auf, Sie erzielten dadurch ähnliche Eindrücke vom südlichen Licht wie Paul Signac mit seinen Punktsetzungen. Verweise an Cézanne finden sich in der Arbeit von Alfred Rosam namens „Landschaft mit Olivenbäumen“. Betrachtet man die Berge im Hintergrund, so meint man gar, Ferdinand Hodler habe bei der farbigen Ausgestaltung Pate gestanden.
Auch Auguste Renoir bekommen die Besucher zu Gesicht. Skizzenhaft erscheint dabei eine Landschaftsansicht in einem güldenen „Schnörkelbarockrahmen“. Dieser lenkt den Blick von den feinen, strichigen Farbsetzungen weg, die Renoir für die Ausführung wählte. Beinahe wie eine Gouache erscheint das, was wir sehen. Im Kontext der Arbeit „Landschaft mit Büste im Hintergrund“ fokussiert sich die Ausstellung auf das Thema „Einem berühmten Maler auf der Spur“. Nein, nicht Wilhelm Morgner, sondern Alexander Kanoldt schuf den „Sonnenuntergang“, den er als große „Lichtbogenhalle“ mit radialem Gelb angelegt hat.
Besucherin vor Christian Rohlfs Gemälde Weiden im Frühling Foto: fdp2023
Bei Leo Gestel und dessen Feld mit goldgelben Strohgarben meint man, dieser Künstler habe bei Vincent van Gogh gelernt und dessen Farbnuancen und Duktus übernommen. Beim Betrachten muss man unwillkürlich an van Goghs Felder denken, ohne Frage.
Die Ausstellung präsentiert außerdem die expressionistische Urkraft Westfalens, vertreten durch Peter August Böckstiegel, Wilhelm Wieger und Cornelius van Assendelft. Alle drei haben sich dem ländlichen Raum und dem Leben der Landbevölkerung verschrieben, ob nun das Einbringen der Ernte mit einem Kahn oder die Arbeit auf dem Feld. Brillant sind vor allem bei Wieger die Farbsetzungen, sodass das Feld in allerlei Rotnuancen changiert. Unter dem Stickwort „Der ewige Cousin“ zeigt man Kleinformatiges von Helmuth Macke, nicht gar so berühmt wie sein Vetter August Macke, dem in seinem ehemaligen Bonner Wohn- und Atelierhaus ein eigenes Museum gewidmet wurde. Der mit 45 Jahren bei einem Badeunfall im Bodensee ums Leben gekommene Künstler hinterließ unter anderem eine sehr fein aquarellierte Landschaft am Tegernsee.
Ausstellungspräsentation von Arbeiten Hans Blocks Foto fdp2023
Das Sujet des Stilllebens ist in der sehr sehenswerten und opulent bestückten Ausstellung auch prägnant vertreten. Mit Pastell-Strichen bannte Walter Gipsers eine Schale mit Obst auf Papier. Auf dem Tisch, der wohl eine Glasplatte hat, liegen zwei Birnen. Sehr beeindruckend sind auch die Stillleben und die Straßenimpressionen von Wilhem Wieger, der aus der Krefelder Kunstgewerbeschule hervorgegangen ist. Zu den charismatischen Lehrpersönlichkeiten an dieser Schule gehörte Thorn Prikker, der nicht nur Wieger, sondern auch Campendonk zu künstlerischen Experimenten anregte. Davon zeugt zum einen Wiegers „Landstraße im Regen“, auf der eine Kutsche unterwegs ist und aus dem Bild zu enteilen scheint, zum anderen aber auch Blumenstrauß im Krug. Mit flirrenden Farbpunk-Setzungen schuf der Künstler zudem ein Stillleben mit Teekanne, Milchkännchen und Zuckerdose. Je weiter man sich vom Gemälde entfernt, desto plastischer erscheinen die gemalten Serviceteile! Mit „geometrisierend“ erscheinenden Formen schuf Christian Rohlfs, eines der Urgesteine des Impressionismus, das Aquarell „Grüne Vase mit Blumen“. Letztere strahlen in leuchtendem Rot und Gelb. Der wie so viele mit ihm im Ersten Weltkrieg gefallene Hermann Stenner ist mit einem sehr zu beachtenden Frühwerk in Ahlen vertreten. Auch er malte, wenn auch in anderem Duktus als Rohlfs ein Blumenstillleben. Als diese Arbeit entstand, war Stenner gerade mal 15 Jahre alt. Die Karriere des Künstlers konnte sich leider nicht entfalten, denn mit 23 Jahren starb er auf dem Schlachtfeld bei Ilowa (Polen). Der Meisterschüler von Alfred Hölzel hatte sich freiwillig gemeldet: Für Kaiser und Vaterland! Übrigens, von Stenner zeigt man in Ahlen außerdem „Landschaft mit hohen Silberpappeln“.
Christian Rohlfs: Grüne Vase mit Blumen, 1924,
Dauerleihgabe Theodor F. Leifeld - Stiftung, Foto fdp2023
Schon mal von Hans Bloch gehört? Nein, dann bietet die aktuelle Ausstellung Gelegenheit zur Begegnung mit diesem Künstler, der nicht nur eine Vielzahl von Rötelzeichnungen, darunter auch Akte, aber auch Porträts in Öl auf Pappe wie das von Hedy Bartniztzek der Nachwelt hinterlassen hat. Wie Stenner, so konnte auch der aus Breslau gebürtige Bloch seine Suche nach modernen Ausdrucksmitteln nicht vollenden. Er fiel 1914 vor Verdun.
Ein anderes Schicksal widerfuhr Herbert Ebersbach, der von den Nazis verfolgt und ein Jahr lang im KZ Hohnstein festgehalten wurde. Seine Mutter und sein Bruder, stramme Parteigänger der NSDAP vernichteten alle Arbeiten, die bei der Familie lagerten. Sein Frühwerk wurde somit weitgehend vernichtet, seine künstlerische Karriere fand mehr oder minder ein Ende. Zu sehen ist von diesem Künstler „Sennelandschaft“, eine Impression eingefangen bei Bielefeld.
Otto Lange, Dame in Grün, Holzschnitt, 40 x 29 cm
Als moderne Intervention zu begreifen und gleichsam auch als Kontrapunkt ist eine Acrylglasarbeit von Aljoscha. Wenn diese Arbeit sich auf die ausgestellten Landschaft bezieht, die in dem entsprechenden Raum zu sehen sind, so muss man auch an entsprechende Arbeiten von Bernhard Schultze wie u.a. „Der Pflanzen-Kerl“ denken.
Insbesondere die Lichtregie und die Stimmung sind es, die Christians Rohlfs „Weiden im Frühling“ außerordentlich attraktiv machen. Lichtes Frühlingsgrün ist aus den gekappten Weiden noch nicht ausgeschlagen. Es scheint, als liege noch dichter Nebel, der langsam abzieht, über der Szenerie Zwei skizzenhaft erfasste Personen sind in der Weidenallee unterwegs. Vielleicht deutet der gräulich Himmel auch an, dass Regen sich ankündigt.
Marie von Malachowski-Nauen, Landschaft mit Figur, 1909 Öl auf Leinwand, Kunstmuseum Ahlen, Dauerleihgabe Theodor F. Leifeld , Foto: Christian Ring
In der Ausstellung werden wir auch nach Berlin entführt. William Straube ist mit einigen Großstadtansichten in der Schau vertreten. Vor allem aber lebt diese Schau von ihren zahlreichen Landschaftsansichten im Geiste des Impressionismus, die im Freien und nicht im Atelier geschaffen wurden. Dazu zählt auch die „Sommerlandschaft mit Dorf“ von Adolf Hölzel, mal abgesehen von Stenners „Heidelandschaft“. Ein eigenes Kapitel wird für Lucie Cousturier aufgeschlagen, die die Tochter eines Spielzeug-Fabrikanten war und deren neo-impressionistische Arbeiten in Paris durchaus für Furore sorgten. Einen der Schwerpunkte in der Schau bildet das Schaffen von Wilhem Wieger, der durch seinen freien impulsiven Pinselstrich und Farbvibrationen für Aufmerksamkeit sorgte und sorgt. Man betrachte unter anderem seine lichte „Schärenlandschaft“ und sein Ölgemälde auf Papier mit dem Titel „Segelboote im Hafen“. Völlig seiner Zeit voraus war Curt Hermann, der 1899 eine Landschaftsstudie malte, die frei-gestisch und im Vorgriff des Informel zu kennzeichnen ist. Die Farbe war bei diesem Künstler Form.
Oskar Kokoschka, Frauenporträt, o.J. Farblithografie, Kunstmuseum Ahlen, Dauerleihgabe aus Privatbesitz, Foto: Christian Ring
Schließlich sei noch auf das Schaffen von Egon Wilden hingewiesen, dem wie Wieger und Bloch ein eigener Künstlerraum gewidmet wurde. Wildens Biografie ist eng mit der Wersestadt Ahlen verbunden, wie wir dem entsprechenden kurzen Saaltext entnehmen können. Von Wilden sind unter anderem Arbeiten wie „Schnitter“ und „Nebel im Gebirge“ zu sehen. Darüber hinaus zeigt man „Familie Küper“, mit der der Künstler durch seine Hochzeit mit der Schauspielerin Hedwig Sparer verschwägert war. Zudem gibt es auch Aquarelle zu sehen, die unter anderem „Tanzende Mädchen“ und „Badende am Strand“ zeigen.
Übrigens, zur Ausstellung ist ein Begleitbüchlein erschienen, das die Hängung und Ausstellungsinszenierung nachzeichnet.
© text ferdinand dupuis-panther
Wilhelm Wieger Landstraße im Regen 1907, Dauerleihgabe Theodor F. Leifeld - Stiftung, Foto fdp2023
Info
https://kunstmuseum-ahlen.de/
zur Gesamtübersicht Ausstellungen