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Wortstoffhof

Worte, sagt Axel Hacke, Worte haben die Eigenart sich zu verstecken, wenn man sie nicht ausreichend nutzt. Sie lassen sich zudecken von anderen Worten, die man neuerdings lieber verwendet oder sie dümpeln einfach so im Schreibzimmer umher. Dabei sind sie ja nicht weg und darum lohnt es unbedingt, sie nicht komplett zu ignorieren, auch nicht, wenn sie falsch, unsinnig und eigentlich unbrauchbar sind – zumal wir in Deutschland ja auch sonst nichts wegwerfen, sondern nahezu alles irgendwann noch mal verwenden, bevor es zuvor im Wertstoffhof zwischen gelagert war. Und wenn so was wie die Worte nur noch mal hervorholen, um sich an ihrem Unsinn zu amüsieren.

Axel Hacke: Wortstoffhof

Also hat Axel Hacke sich einen Wortstoffhof (Goethe gebrauchte einst den Begriff „Wortstoff“) angelegt und alles dort alphabetisch gesammelt, was ihm an Wortungebräuchlichem selbst in die Quere kam oder was andere aufmerksame Leser ihm zusandten. Und Vieles sollte da auch liegen bleiben, denn – mit Verlaub – es ist so mancher Schwachsinn deutschsprachlich verbrochen worden. Nicht wenig davon muss erst überlegt werden, bevor der sprachliche Unsinn als solcher mit einem herzhaften Lachen quittiert werden kann, andere Fauxpas sind schlichtweg unter aller Kritik.

Wie Axel Hacke solche sprachlichen Entgleisungen einerseits, aber auch die amüsanten Seitensprünge andererseits entlarvt und bloß stellt, zeigen die folgenden Auszüge aus dem Kapitel DUDEUTSCHLAND:

... gerade hatte es in Bild noch geheißen „Wir sind Papst“, da begann 2005 die große Kampagne Du bist Deutschland. Muss man denn alles selbst machen?, dachten nicht wenige von uns.

Du bist Deutschland. Verlage, Fernsehanstalten, alle hatten sich untergehakt, überall in Duzland stellten sie Anzeigenplatz von dreißig Millionen bereit.

... und außerdem gibt es noch heute die offizielle Internet-Seite Du-bist-Deutschland.de, auf der hatte ein anonymer Sprachkünstler das Manifest „Du bist das Wunder von Deutschland“ veröffentlicht, vielleicht haben den Text auch Nena, Horst Köhler und Maharishi Yoga gemeinsam geschrieben, man weiß es nicht.

Jedenfalls beginnt das Manifest folgendermaßen: „Ein Schmetterling kann einen Taifun auslösen. Der Windstoß, der durch seinen Flügelschlag verdrängt wird, entwurzelt vielleicht ein paar Kilometer weiter Bäume.“

Wenn das so ist, möchte man angesichts der immer zahlreicher werdenden Naturkatastrophen sagen: Vielleicht könnten die Herren Schmetterlinge mal ein bisschen vorsichtiger sein?

Aber Achtung: Das ist eine Metapher, du verstehn, Deutschland? Metaffa. Will bedeuten: kleine Ursache, große Wirkung. Du, kleiner Mann, der du Deutschland bist, zu dem wir also unsere dreißig-Millionen-Kampagne hinuntertröten, kannst Erhebliches bewirken, wenn du dich ein bisschen zusammenreißt. In der Sprache des Manifests: „Du bist von allem ein Teil. Und alles ist ein Teil von dir.“

So weit wäre noch alles in Buddha, aber nun kommt´s langsam dicke. Denn manifest heißt eigentlich „handgreiflich,“ und deswegen schreiben die Manifest-Autoren: „Deutschland hat genug Hände, um sie einander zu reichen und anzupacken. Wir sind 82 Millionen. Machen wir uns die Hände schmutzig. Du bist die Hand. Du bist 82 Millionen.“

Das ist die Stelle, an der man, erstens, sich fragt, warum eigentlich nur immer Pete Doherty in den Entzug muss. Zweitens möchte man Jack Nicholson zitieren, wie er in Besser geht´s nicht sagt: „Wer in Metaphern spricht, kann mir mal den Schritt shampoonieren.“

Aber! Wir sind noch nicht am Ende, Deutschland, auch wenn du jetzt deine 164 Millionen schmutzigen Hände über deinen 82 Millionen Köpfen zusammenschlägst.

Wir sind nicht am Ende!

Denn da war ja noch die Sache mit den Flügeln. Und den Bäumen. Darauf muss man zurückkommen, und deshalb heißt es am Manifestschluss: „Bring die beste Leistung, zu der du fähig bist. Und wenn du damit fertig bist, übertriff dich selbst. Schlag mit deinen Flügeln und reiß Bäume aus. Du bist die Flügel, du bist der Baum. Du bist Deutschland.“

Danke, Axel Hacke.

usch@saw

Axel Hacke: Wortstoffhof. Sprachgeschichten von Äh bis Zeitfenster. Verlag Antje Kunstmann. ISBN-13: 9783888975080. ISBN-10: 3888975085. 16,90 Euro.



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