Buchbespechung

Poesie der zwei Kulturen - Südtirol

Wer denn meint, es sei an Reiseführern schon alles geschrieben worden, der wird sich bei der Reihe der literarischen Einladungen eines Besseren belehren lassen müssen. Nein, die Reihe aus dem Berliner Verlag Klaus Wagenbach hat nun so gar nichts mehr mit klassischen Reihen wie dem Baedecker oder Buchreihen wie Lieblings- oder Glücksorte vom Insel- bzw Droste-Verlag zu tun, die auf dem Markt vorhanden sind. Es geht also nicht darum, diverse Orte vorzustellen oder gar Baudenkmäler bis in die letzte Zinne und Fiale zu beschreiben und schließlich Tipps für einen Urlaub von 24 oder 72 Stunden zu geben. Statt dessen wird durch Literatur Südtirol nahbarer und begreifbarer gemacht. Auch die wechselvolle Geschichte dieses heute nördlichsten Teils Italiens wird nicht vergessen, ohne sich in einer Zeitleiste zu verlieren. Insbesondere geht es aber um das Atmosphärische des Landstriches, der von Bergen und Burgen bestimmt wird, wie uns das Selma Mahlknecht in ihrem Beitrag zu Beginn des in einem feuerroten Einband erschienenen „Literaturführers Südtirol“ vermittelt. Und „Wer in den Bergen lebt, der muss sich bewegen“, so wie die Autorin, die in Chur, in Wien und Zernez gelebt hat. Eine weitere Erkenntnis ist die: „Für uns Menschen in den Alpen ist der Inbegriff des Beständigen: der Berg.“ Die schönsten Bauwerke der Welt“ ist ein weiteres Kapitel des lesenswerten Buches überschrieben. Gemeint sind die Dolomiten, „Steinkolossen auf einem ehemaligen Meeresboden“. Sie sind es, die Südtirol ausmachen und wie die Marmolata Teil des UNESCO-Welkulturerbes sind. In Poesie hat Oswald Egger dieser Bergwelt ein Denkmal gesetzt, diesen „Kalksteinbänken“ und „glasigen Massiven“. Dieser Bergwelt widmet sich zudem Maxi Obexer in „ Der rote Kontrapunkt“, Reflexion über die Rote Biwak-Schachtel als Schutz vor Hagel, Schnee und Regen in der Allgegenwart der Berge.

Südtirol - Poesie der zwei Kulturen

Über die Mehrsprachigkeit Südtirols, über Deutsch, Italienisch und das Ladinisch, lesen wir mehr bei Alessandro Banda in „Im Anfang war der Name“: Alto Adige, Sudtirolo und Südtirol, bisweilen Tirol del Sud und Tirolo meridionale. Anschließend begegnen wir in einem Buchabschnitt Ettore Tolomei, Historiker, Geograph, Nationalist und Faschist der ersten Stunde, der sich schon 1919 für die Italienisierung Südtirols stark machte. „Bozen“ (Autorin Manddalena Fingerle) führt uns nicht zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt, sondern gibt Einblicke in das Leben der Eltern der Autorin sowie der Aphasie des Vaters, durchaus befremdlich in dem Kontext des Buches, oder?

Stefan Zweig, Autor der „Schachnovelle“, ist mit seinen Ansichten zu den Bozener Bergen auch in der literarischen Abhandlung zu Südtirol vertreten. „Löwen in Holz“ (Helene Flöss) behandelt die Grödner Bahn mit an der Lokomotive und die Grödner Schnitzer sowie die Geschichte des Bahnhofsvorstehers von Bergegg Tosta Luigi. Und auch in desem Kapitel schwingt der Krieg und die Kluft zwischen den Deutsch- und den Italiensprachigen mit. Deutschsein, deutsche Heimat und Deutsch bleiben beschäftigen Josef Zoderer in „Die Walsche“. Es scheint bis heute ein Zentralthema und ein Streitthema in diesem Teil der italienischen Republik namens Südtirol. Ein kurzes Zwischenkapitel widmet sich mit Schlutzkrapfen und Canederli der Küche Südtirols.

Dem Ladinisch und Ladin dolomitan, das in einigen Tälern Südtirols die vorherrschende Alltagssprache ist, widmet sich zum Schluss ein Beitrag, an den sich dann auch lyrische Arbeiten in Ladinisch anschließen, so unter anderem von Nadia Rugger(„L pitl Sce“) und Ganes (Crëps slauris“), So lernt der Leser auch diese Facette Südtirols kennen. Deutschsprachige Lyrik trug zum Beispiel die Veröffentlichung von Christian Morgensterns „Mondnacht über Meran“ für den Band bei

Übrigens, auch die Frage des Anschlusses oder besser Wiederanschlusses an Österreich wird in der vorliegenden Veröffentlichung nicht ausgespart. In „Feuernacht“ von Francesca Melandri erfahren wir von den Attentaten des Befreiungsausschuss Südtirol, die sich gegen die italienische Besetzung richtete. Längst geht es friedlich in Südtirol zu. Doch Gedanken an „Heim ins Reich, Heim nach Österreich“ sind nach wie vor virulent. Doch das ist nicht Gegenstand der literarischen Einladung.

© ferdinand dupuis-panther

Gaby Wurster (Hrsg.) Südtirol Eine literarische Einladung,144 Seiten. Rotes Leinen. Fadengeheftet, Verlag Klaus Wagenbach, ISBN 978-3-8031-1383-2, Preis 22,– €

 

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