Fassungslos blickte 2015 die Weltöffentlichkeit nach Palmyra – die antike Ruinenstadt in Syrien war der Terrororganisation IS in die Hände gefallen. Der uralte Baaltempel, das heilige Zentrum zahlloser Kulturen, wurde gesprengt. Doch ist Kulturzerstörung keine Erfindung der Gegenwart. Sie zieht sich wie ein blutiges Band durch die Jahrtausende.
Mit dem Sachbuch „Verdammt und vernichtet“ widmet sich Hermann Parzinger dem Thema „Kulturzerstörungen vom Alten Orient bis zur Gegenwart“, wie es im Untertitel heißt. Mit 19 Seiten Quellen-Verweisen, 31 Seiten Literaturangaben sowie ausführlichem Personen- und Ortsregister ist das Werk eine Fleißarbeit, die trotz der subjektiven Auswahl der behandelten Beispiele als neues Standardwerk zu bezeichnen sein dürfte.
Von Haus aus Archäologe, ist Parzinger das Denken in großen Zeiträumen und Zusammenhängen vertraut. Daher gelingt dem renommierten Autor beim Ritt durch die Geschichte von Bildersturm und Denkmalsturz auch hier das Kunststück, komplexe Ereignisse knapp und plausibel darzustellen. Die gekonnte Reduzierung auf das zum Verständnis Wesentliche macht selbst ein derart umfangreiches Thema zum Lesevergnügen.
Wenn die Beispiele im Großen und Ganzen auch bekannt sind, offenbart sich trotz ihrer konsequenten Einordnung in den jeweiligen historischen, politischen, sozialen, religiösen und kulturellen Kontext, dass sich Kulturzerstörung häufig auf systematische Vermögensumverteilung durch Enteignung und Raub, Beschlagnahmung und Verkauf reduzieren lässt. Erst die Wertschätzung des Erbes der Menschheit und die Eröffnung von Museen eröffnete einen Weg zu seiner Rettung.
Im Jahr 1793 wurde im Louvre das „Muséum Central des Arts“ eröffnet. In den Folgejahren wurde dort eine stetig wachsende Anzahl von Kunstwerken ausgestellt, die in den Tagen des revolutionären Bildersturms und im Zusammenhang der napoleonischen Eroberungen ihre Besitzer wechselten. Ohne diesen Sinneswandel hätte die Rückgabe von 5233 Einzelobjekten aus der napoleonischen Beute 1815 an die einzelnen Länder nicht erfolgen können.
Als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und einer der drei Gründungsintendanten des Humboldt Forums ist Parzinger täglich selber mit Fragen der Restitution beschäftigt. Etwa bei den Benin-Bronzen aus der Ethnologischen Sammlung, deren Rückgabe zwar beschlossen wurde, auf deren Dauerleihgaben man in Berlin aber noch hofft.
In der ausführlichen Schlussbetrachtung unterwirft Parzinger die genannten Beispiele noch einmal den verschiedenen Motiven der Ikonoklasmus-Forschung: vom politischen Ikonoklasmus in der Antike, über antiklerikalen bzw. antimonastischen, antirömischen bzw. antipapalen, revolutionären, säkularen, ideologischen, kulturellen, ethnischen bis zum kolonialen und rassistischen Ikonoklasmus von genozidalem Ausmaß in der Neuzeit. Mit dem Ausblick, dass Kulturzerstörungen kein Thema der Vergangenheit sind, sondern uns auch in Zukunft begegnen werden, endet Parzingers Überblick allerdings wenig optimistisch.
Helga Schnehagen
Hermann Parzinger: „Verdammt und vernichtet. Kulturzerstörungen vom Alten Orient bis zur Gegenwart“, Verlag C. H. Beck, München 2021, gebunden, 368 Seiten, 29,95 Euro
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