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Die dunkle Unermesslichkeit des Todes

Carlotto - Pilgerfahrt in PakistanZwei Gelegenheits- und Gewohnheitsverbrecher überfallen unter Drogeneinfluss einen Juwelier und geraten in Panik, als draußen die Polizei auftaucht. Sie nehmen eine Passantin und deren achtjährigen Sohn als Geiseln. Einer der Täter entkommt über eine Mauer, der zweite wirft die Beute hinterher, erschießt die Geiseln, schafft es aber nicht mehr, über die Mauer zu entkommen, sondern wird festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt. Seinen Komplizen verrät er nicht, sondern vertraut darauf, dass dieser irgendwann ihm mit Geld und Pass die Flucht ermöglicht.

Fünfzehn Jahre später hat sich die Situation geändert. Silvano, der Ehemann der erschossenen Geisel und Vater des Kindes lebt ein dumpfes Leben als Schuster und Schlüsselmacher in einem Einkaufszentrum. Nach der Arbeit fährt er nach Hause, schlingt in der Mikrowelle erhitzten Dosenfraß hinunter und betrinkt sich an billigem Kartonwein. Der gefasste Räuber Raffaello hat im Knast ein durchaus vergleichbares Leben: rigider, immer gleicher Tagesablauf, schlechtes Essen, Drogen vom Knast-Schwarzmarkt. Der eine ist eingesperrt, der andere hat sich selbst eingesperrt.

Die Handlung wird in Gang gesetzt, als herauskommt, dass Raffaello Krebs im Endstadium hat. Er möchte nicht im Gefängnis sterben und beantragt deshalb Haftverschonung – mit einem weiteren Plan im Hinterkopf. Dazu wird Silvano als Verbrechensopfer befragt. Zunächst lehnt er empört ab, den Mördern seiner Frau und seines Sohnes zu verzeihen und ihnen zu helfen, doch dann reift auch in seinem Kopf ein anderer Plan. Indem er wieder in den Fall hineingezogen wird, erhält er Informationen, die ihn zu dem zweiten, nie enttarnten Täter führen könnten. Soll er sich auf diesen Weg begeben?

Massimo Carlotto, der selbst unschuldig wegen Mordes im Gefängnis gesessen hat, erzählt die Handlung gebrochen aus der Sicht des Täters Raffaello und des Opfers Silvano, beschreibt eindrücklich, wie sich ihre Perspektiven wandeln, wie die Rolle von Opfer und Täter nahe beieinander liegen können. Zwei weitere Figuren – eine Frau, die ihre Einsamkeit dadurch überwinden will, dass sie sich um Gefängnisinsassen kümmert und die sich von Silvano fragen lassen muss, warum sie sich eigentlich nicht den Opfern zuwendet, und der Polizeikommissar, der plötzlich Geld aus der Beute verlangt – brechen die eigentlich recht klare Handlung mit neuen Fragen zur Motivation ihres Handelns.

In Italien, einem Land, dessen Wirtschaft zu weiten Teilen von kriminellen Organisationen beherrscht wird, dessen Ministerpräsident glaubt, der Staat sei sein Eigentum, der Gesetze so formulieren lässt, dass sie seinem Privatinteresse dienen, einem Land, in dem die Verbrecher also an den zentralen Positionen der Gesellschaft angekommen sind, stellen sich die Fragen von Tätern und Opfern, von Gerechtigkeit und Rache, von Vergebung und Mitleid umso dringender. Carlotto gibt einige brutale und verstörende Antworten, weit jenseits der oft so idyllischen Welt heutiger Kriminalromane.

fjk@saw

Massimo Carlotto, Die dunkle Unermesslichkeit des Todes. Stuttgart: Tropen 2008. ISBN 978-3-608-50200-8. 188 Seiten. 18,90 Euro.

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