Die Perlentaucherin

Selten ist mir in den letzten Jahren eine ergreifendere Geschichte in die Hände gefallen, als die der jungen Japanerin, die am Ende des zweiten Weltkriegs als Perlentaucherin den Zauber des japanischen Seto-Inlandsees entdeckt, nur um schon drei Jahre später in menschenunwürdigen Zuständen als Geächtete der Gesellschaft ein Inseldasein in Verbannung fristen zu müssen.

Ein unscheinbarer roter Fleck, der selbst bei einer schmerzhaften Verletzung nur Taubheitsgefühle entwickelt, besiegelt das Schicksal des stillen Mädchens und macht es zur Schande für ihre gesamte Familie. Die Hansen-Krankheit, Lepra, ist nicht nur eine Diagnose, sie ist ein Fluch, ein ewiger Makel, die Abkehr von jeglichem sozialen Miteinander. Ihr letzter Blick auf die Gesellschaft fällt auf den Bootsführer, der die von ihr angebotenen Lebensmittel mit Ekel und Angst im Gesicht mit dem Paddel davonfegt.

Nichts bleibt, nicht mal ihr Name. Auf Nagashima wohnen nur die Ausgestoßenen. Miss „Fuji“, wie sie sich selbst nennt, erlebt die Isolation unter menschenverachtenden Umständen, fühlt die scheinbare Aussichtslosigkeit, aber auch die Hoffnung und den Willen der Inselbewohner. Allen Leiden zum Trotz entwickeln sich ein Hauch von Würde, ermöglicht durch kleine geheime Absprachen, weise Mitbewohner und nächtliche Fluchten.

Anhand von Museumsartefakten erzählt Talarigo von schreiender Ungerechtigkeit, ohne jemals die Stimme zu erheben. Unter den Augen einer duldsamen, aber ebenso unbeugsamen Frau entwickelt sich das gesamte Ausmaß der Perversität, das am Ende der Angst vor Ansteckung steht. Unfassbares in kleinen Sätzen, die lange nachhallen. Und über allem eine Kraft zur Menschlichkeit, die kein Regime und kein Verbot zu brechen vermag. „Die Perlentaucherin“ – eine Perle unter den Erzählungen des 20. Jahrhunderts!

hf@saw

Jeff Talarigo: Die Perlentaucherin. Luchterhand. ISBN 3-630-87219-0. € 19.90 oder btb-taschenbuch. ISBN 3-442-73664-1, 8,50 Euro.

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