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Träume von Flüssen und Meeren

Schon mehrfach hat der in Italien lebende englische Schriftsteller Tim Parks in seinen Romanen die Beziehungsunfähigkeit von Menschen thematisiert, deren Leben in ein besonderes Geflecht von Distanz und Intimität eingebunden ist.

Auch in seinem neuesten Buch mit dem poetischen Titel "Träume von Flüssen und Meeren" lotet Parks die Abgründe zwischenmenschlicher Beziehungen aus, wobei er den Leser dieses Mal nach Delhi entführt.

Den indischen Schauplatz wählte Parks übrigens nicht wegen dem exotischen Hintergrund, sondern weil für ihn auf dem Subkontinent der „Punkt der größten Reibung zwischen Tradition und Moderne" auszumachen ist.

Tim Parks - Träume von Flüssen und Meeren

Albert James ist tot. Schon auf der ersten Seite erfährt der Leser vom Tod des berühmten Biologen, Anthropologen und Kybernetikers, der überraschend an den Folgen einer unbehandelten Prostatakrebserkrankung gestorben sein soll.

James war ein ebenso genialer wie zerstreuter Wissenschaftler, der in der Fachwelt hohes Ansehen genoss und sich zuletzt mit einem Kommunikationsmodell beschäftigt hatte, das sich am Aufbau von Spinnennetzen orientierte.

Und so feinschichtig verwoben wie ein Spinnennetz hat Parks auch seinen Roman konstruiert. In "Träume von Flüssen und Meeren" entfaltet er ein System schwer durchschaubarer Gefühlsverstrickungen, das immer wieder neue Überraschungen und Wendungen parat hält.

Die Aufklärung der Todesumstände von Albert James bestimmt den weiteren Romanverlauf und beginnt damit, dass sein Sohn John von London nach Delhi zur Bestattung eilt, er aber seine Mutter Helen nicht zu Hause antrifft, da diese als Ärztin lieber selbstlos den Ärmsten der Armen hilft anstatt sich mit der Rolle der trauernden Witwe zu begnügen oder sich um ihren Sohn zu kümmern.

John, der in Internaten aufgewachsen ist, hat ein distanziertes Verhältnis zu seinen Eltern, da sein Vater zu Studienzwecken meist fern der Heimat in Borneo, Laos oder Kenia lebte und immer von seiner Frau Helen begleitet wurde.

Die pulsierende indische Metropole stürzt John von einer Verwirrung in die andere, schon auf der Bestattungsfeier macht er eigenartige Bekanntschaften, trifft Freunde und Bewunderer seines Vaters, die mehr über die Ehe und Beziehung von Albert und Helen James zu wissen scheinen. Dann taucht noch ein amerikanischer Autor namens Paul Roberts auf, der beabsichtigt, eine Biographie über Albert James zu schreiben und im Laufe des Romans zunehmend eine wichtigere Rolle spielt, die ihn bis ins Bett der Witwe führen wird.

John fliegt nach London zurück, doch findet er sich dort nicht mehr zurecht, immer neue Fragen drängen sich ihm auf, wozu auch ein unvollendeter Brief mit kryptischen Andeutungen beiträgt, den sein Vater kurz vor seinem Tod an ihn abgeschickt hatte.

Um sein psychisches Gleichgewicht wieder zu finden (seine Beziehung zu einer angehenden Schauspielerin ist zudem in die Brüche gegangen), kehrt John nach Delhi zurück. Er will neue Erkenntnisse über das Leben seiner Eltern sammeln.

Ohne sich bei seiner Mutter zu melden, taucht er in die ihm fremde Kultur, voll seltsamer Menschen und Riten ein, lernt nicht nur eine Schülerin seines Vaters kennen, die zugleich seine Geliebte war, sondern changiert zwischen erotischen Irritationen und dem (Halb-)Wissen über bizarre Liebesaffären.

Doch auch Helen hat mit dem Tod von Albert James ihren Lebensmittelpunkt und dadurch jeglichen Halt verloren. In einer ergreifenden Schlüsselszene entledigt sie sich in der Klinik aller Kleider, um einen todkranken Jungen zu umschlingen.

Obwohl Tim Parks den Leser hin und wieder im Spinnennetz seines Romans zappeln lässt, statt den Erzählstrang zu verdichten, ist ihm mit "Träume von Flüssen und Meeren" ein ebenso faszinierender wie spannender Roman gelungen, dessen Verästelungen man bereitwillig über fünfhundert Seiten hinweg verfolgt.

ran@saw

Tim Parks: Träume von Flüssen und Meeren. Kunstmann Verlag 2009. ISBN: 3888975794. 24,90  Euro.



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