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Mittelreich

Der Schauspieler Josef Bierbichler gehört zusammen mit Oskar Roehler und Eugen Ruge zu jenen Autoren, die den Bücherherbst 2011 mit stark autobiographisch gefärbten Familienromanen beglückt haben.

Über drei Generationen hinweg und quer durch die großen Verstrickungen des 20. Jahrhunderts hindurch erzählt Josef Bierbichler in seinem Roman „Mittelreich“ die Geschichte einer bayerischen Seewirtschaft in dem fiktiven Ort „Seedorf“. Und auch wenn die Parallelen zu Bierbichlers Leben in Ambach am Starnberger See allzu offensichtlich sind, wo seine Familie jahrhundertelang den Gasthof „Zum Fischmeister“ betrieben hat, so hat er in Interviews den autobiographischen Charakter des Buches stets von sich gewiesen und auf seine dichterische Freiheit verwiesen.

Im Zentrum des Romans stehen Pankraz Birnberger und sein Sohn Semi. Pankraz, der eigentlich Musiker werden wollte, musste die elterliche Wirtschaft übernehmen, nachdem der als Erbe vorgesehene ältere Bruder im Ersten Weltkrieg von einer Kugel getroffen wurde. Doch Pankraz leidet unter der Last des elterlichen Erbes, das ihn an den See kettet.

Josef Bierbichler: Mittelreich

Vermehrt drängen Sommergäste aus der nahen Großstadt in die vermeintliche Idylle; der "Fischmeister" wird dank seiner Lage zur beliebten Ausflugswirtschaft: „Bald kamen immer dieselben. Dünkel bildete sich. Man war was Besseres. Das Leben wurde sicherer. Aber die Verunsicherung wuchs. Nur das Wetter blieb."

Im Nachkriegsdeutschland verändert sich die ländliche Engstirnigkeit nur allmählich, ehemalige Zwangsarbeiter und Flüchtlinge lassen sich in Seedorf nieder, die Greuel des Nationalsozialismus werden kollektiv verdrängt. Der amerikanischen Besatzungsmacht, deren Truppen auf der „Negerwiese“ lagern, begegnet man mit Argwohn und schon bald beginnt man sich „zügig wieder in den aufrechten Gang zurückzuverbiegen”. Und als schließlich die „langhaarigen Nackerten" aus der Stadt das Seeufer erobern, begegnet der Wirt dem Sittenverfall mit einer Ladung Jauche.

Bierbichler nimmt kein Blatt vor den Mund, genüsslich seziert er das katholisch-ländliche Leben mit seiner ganzen Bigotterie. Als Semi im verhassten Internat von einem Pater missbraucht wird, wollen die Eltern davon nichts hören. Was nicht sein darf, das kann nicht sein. Aber Semi, der später zum Entsetzen seines Vaters mit dem Kommunismus liebäugelt und die väterliche Autorität in Frage stellt, ist nicht die einzige verlorene Seele, die „Mittelreich“ bevölkert.

Mit großer Sprachwucht und Nähe zum Dialekt hat Bierbichler ein geradezu sinnliches Buch geschrieben, angereichert mit prallen Anekdoten aus dem Dorfleben, manchmal surreal, oft derb und in jedem Falle lesenswert.

Ralf Nestmeyer

Josef Bierbichler: Mittelreich. Suhrkamp Verlag 2013, 392 S., 9,99 Euro



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