HerkunftDer Schriftsteller Oskar Roehler – wer in diesem Zusammenhang von ihm spricht, muss im gleichen Atemzug seine Eltern nennen: Klaus Roehler, den Lektor von Günter Grass und die Schriftstellerin Gisela Elsner, mit deren tragischem Tod sich Oskar Roehler schon in seinem Film „Die Unberührbare“ auseinandergesetzt hat. Nora und Rolf sind zwei Egomanen, die so grenzenlos mit ihrer Selbstverwirklichung beschäftigt sind, dass der kleine Robert nur Ballast ist. Die Eltern trennen sich bald und das Kind wird von der Mutter zum Vater nach Berlin gebracht. Rolf vergnügt sich in Kneipen und schleppt jede Nacht eine andere Studentin mit nach Hause ab, während er seinen Sohn total vernachlässigt und den Dreijährigen einfach auf einen Schrank setzt, wenn er schreit. Mit erschreckender Eindringlichkeit beschreibt Roehler Roberts Kindheit als verwahrlostes Schlüsselkind, das letztendlich von seinen Nürnberger Großeltern „gerettet“ wird. Wie in einem Märchen aus Tausend und einer Nacht wird der kleine Robert erst im Hotel Kempinski verwöhnt, um sich kurz darauf im Luxus einer Villa in Erlenstegen mit nierenförmigen Pool wieder zu finden. „Herkunft“ ist die Geschichte eines Jungen, der sich vergeblich nach Glück und Geborgenheit sehnt, aber nirgendwo ein richtiges Zuhause findet, einzig die Bande zu seiner Sandkasten- und späteren Jugendliebe Laura sind eng. Robert, der in ein Internat abgeschoben wird, um dann, als er sich dort endlich wohl fühlt, wieder herausgerissen wird, weil seinem Vater das Internat zu teuer ist, bleibt zeitlebens ein Entwurzelter. Letztendlich strandet der 17-Jährige in Berlin, versorgt seine Mutter mit gestreckten Drogen und lässt sich von einem Peepshow-Mädchen aushalten. Keine Frage: Roehler ist ein großer Wurf gelungen, denn er hat nicht nur einen Schlüsselroman geschrieben, sondern gleichzeitig ein eindrucksvolles Panorama der deutschen Nachkriegsgesellschaft gezeichnet, von der Spießigkeit der Wirtschaftswunderzeit bis hin zum radikalen Selbstfindungstrip der 68er-Generation. Besonders eindrucksvoll sind die Schilderungen der Ereignisse und Jahre, die vor Roberts Geburt liegen oder an die er sich als Kleinkind höchstens bruchstückhaft erinnern kann. Diese teilweise imaginierten Ereignisse werden mit enormer Sprachkraft beschrieben und begeistern durch ihre Sogkraft. „Herkunft“ ist ein grandioses Buch und Roehler ein exzellenter Schriftsteller, doch damit nicht genug: Derzeit verfilmt er den Roman unter dem Titel „Die Quellen des Lebens“, wobei Jürgen Vogel als Großvater Erich und Moritz Bleibtreu als Rolf vor der Kamera stehen. ran@saw Oskar Roehler: Herkunft. Ullstein Taschenbuch. ISBN-13: 978-3548285108. 9,99 Euro. |