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Kochen mit Fernet Branca

oder

Leckeres Knoblauch-Fernet-Branca-Eis

Was könnte langweiliger sein als die Lektüre von Kochbüchern? Was hingegen könnte anregender und kontemplativer sein als das Kochen oder das Erfinden von mehr oder weniger gewagten Rezepten. Meint auch der Schriftsteller und lässt sich ein: „Es ist sehr beruhigend, dieses Begrübeln, Erfinden, Zubereiten und Verzehren von Essen. Alles, was mit Essen zu tun hat, löst Träumereien und Erinnerungen und brillante Einfälle aus und damit zugleich eine wahre Flut schmerzstillender Endorphine. Manchmal liege ich im Bett und habe ein diebisches Vergnügen an den kulinarischen Herausforderungen, die von der heroischen Küche verflossener Zeiten angenommen und gemeistert wurden.“ Bei James Hamilton-Paterson geht es dann um Flederhunde und Pythonschlangen und anderes aus den dunklen Zeiten britischen Kolonialisierungswahns, der in seiner Ignoranz offenbar auch vor Pandabären nicht Halt machte: „Mit einem scharfen Dhaudschi entferne man die Tatzen eines mittelgroßen Pandas. Das Tier wirft man weg. Die Tatzen weiche man über Nacht in einem Krug mit frischem Tikkhu-Saft ein. ...“ (S. 197) Man sieht schon, wer nicht über eine gewisse Menge britischen Humors verfügt, sollte dann doch lieber Kochbücher lesen.

James Hamilton-Paterson, der Verfasser dieser merkwürdigen Aufarbeitung bemerkenswerter Geschichtselemente wurde 1941 in London geboren, studierte in Oxford und arbeitete als Journalist für bedeutende britische Zeitungen sowie als Sachbuchautor. Heute lebt er als freier Schriftsteller auf den Philippinen und in der Toskana. Er schrieb über Tiefseeforschung und das Meer, über das Leben auf den Philippinen und den Komponisten Sir Edward Elgar und zuletzt über JayJay, jenen merkwürdigen Briten, der ein Geheimnis aus seiner Zeit in Ägypten mit sich trägt. Ein Roman wie auch sein Kochbuch, das als erstes Werk ganz in der Toskana spielt.

Die muss die Rezeptur natürlich klassisch sein, also treten auch in diesem Buch merkwürdige Gestalten auf: Marta, die Komponistin irgendwo aus dem Osten, ihr im Hubschrauber anrückender Bruder, ein exzentrisch-genialer italienischer Filmemacher und sein extravaganter Sohn, ein äußerlich durchgeknallter, innerlich jämmerlappiger Popmusiker. Und natürlich der Ich-Erzähler Gerald Samper, der als Ghostwriter „Autobiographien“ strunzdummer Sportstars verfasst und in seiner Freizeit dem Extremkochen frönt – sozusagen. Bei diesem Samper dürften Ähnlichkeiten mit dem Autor keineswegs unbeabsichtigt sein.

Es entspinnt sich eine abstruse Geschichte um das Abdrehen des Films, zu dem Marta die Musik schreibt und zu dem die Villen der ehemaligen Faschisten entlang der Küste als Kulisse dienen sollen; es geht um die Biographie eines Rennfahrers, den der Ghostwriter einen „minderbemittelten Kotzbrocken, der sich noch dummer und dämlicher, als er ohnehin schon war, daran verdiente, im Kreis herumzufahren“ nennt; es geht um den Sturz des korrupten Regimes im Osten, von dem Martas Vater betroffen ist und um den Bau eines Zauns zwischen Grundstücken und Persönlichkeiten, die sich gleichzeitig abstoßen wie anziehen. Deshalb hat der Zaun auch eine Tür.

An dieser Stelle muss der Hinweis gegeben werden, dass man von alldem natürlich nichts ernst nehmen sollte, denn es wird auf britische Art nach allen Seiten gleichsam ausgeteilt: scharf und unnachsichtig, also umso nachsichtiger.

James Hamilton-Paterson erweist sich als brillanter Beobachter nationaler Eigentümlichkeiten und alltäglicher Verhaltensweisen, die er mit scharfem Messer seziert, mit überraschenden Zutaten vermischt und mit spitzen Bemerkungen würzt. Intelligente Unterhaltung, genial angerichtet. Guten Appetit.

fjk@saw

James Hamilton-Paterson: Kochen mit Fernet-Branca, (aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möring), btb Verlag 2007, ISBN: 3442735653, 368 S., 9,00 Euro.

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