Gebrauchsanweisung für BerlinBerliner im eigentlichen Sinne, so gesteht der Autor gleich zu Beginn, ist er nicht. In Leipzig geboren und dann mit den Eltern zugezogen, teilt er eine Biografie, die die meisten Berliner haben. Zugleich fügt er an, dass ein Berliner ja auch kein Bedürfnis verspüre, über die Stadt zu erzählen. Es sei denn: „Berlin ist die beste der Stadt der Welt, wer was anderes behauptet, bekommt Schläge.“ Jakob Hein, der als Arzt in der Spreestadt lebt, versteht die Stadt, die eigentlich aus vielen „Städten“ besteht. Schon die Urzelle Berlins waren zwei Städte, Berlin und Cölln; und die nach und nach eingemeindeten Orte gaben nie ihre Eigenständigkeit auf, vor allem nicht die Spandauer, die immer noch „nach Berlin“ fahren, wenn sie ihren Bezirk verlassen und „in die Stadt“ fahren, wenn sie in die Spandauer Altstadt unterwegs sind. Berlin, das ist die Stadt der Neuankömmlinge. Selbst bekannte Berliner wie der Zeichner Heinrich Zille waren keine geborenen Berliner. Alfred Döblin („Berlin Alexanderplatz“) verschlug es aus Stettin an die Spree, Hildegard Knef, die vom Koffer in Berlin singt, kam aus Ulm, sogar die Erfinderin der Currywurst, eine wahre Berliner Institution, war eine Ostpreußin! Dass die Hugenotten zu den Neuankömmlingen zählen, weiß der Autor, auch wenn er manches den Hugenotten zuordnet, die nicht von ihnen stammen: so die Fisimatenten. Hein macht sich über das Provinzielle der Stadt lustig, über die bunt lackierten Bären, die hier und da in der Stadt für Flair sorgen sollten. Eigentlich, so der Autor, sei diese Bärenaktion eher was für Bottrop oder Güstrow und nicht für eine Stadt, die Kunst von Weltrang in den Museen beherbergt. Wussten Sie von der polyvalenten Intoleranz der Berliner? Nach dem Lesen der Gebrauchsanweisungen wissen Sie, liebe Leser, Bescheid, auch über die Rauheit der Berliner. Der Tücke des Berlinerns, der Sprache, die beispielsweise Akkusativ und Dativ nach Belieben vertauscht verwendet, ist sich der „zugereiste“ Autor bewusst und konstatiert eine Grammatikverweigerung gigantischen Ausmaßes. Und zu dieser ganz eigenwilligen Sprache gesellt sich noch die Leidenschaft des Meckerns. Man muss den Berliner nur nach Reizthemen wie Hundeverordnung oder den Regierenden befragen. Mit spitzer Feder widmet sich der Autor dem Kunstbetrieb der Stadt, wozu er auch die zahlreichen Lesungen und die nicht weniger zahlreichen Poetry-Slam-Veranstaltungen rechnet. Das Fazit des Autors über den Kunstbetrieb ist am Ende ernüchternd: „Die einzigen, die in Berlin mit Kunst noch Geld verdienen, sind die Betreiber von Künstlerbedarfsläden oder Kunstschulen. Alle anderen haben entweder einen richtigen Beruf wie Kellner oder Taxifahrer oder sie treffen sich regelmäßig ... auf dem Arbeitsamt.“ Unvermeidlich befasst sich Hein auch mit der Berliner Geschichte der Hausbesetzungen und der schicken Modernisierung von Altbauquartieren, kommentiert die Berliner Küche – Motto „Stulle mit Brot, das reicht eigentlich“ - und schaut auf Brandenburg und Balkonien. fdp@saw Jakob Hein: Gebrauchsanweisung für Berlin, S.154, Piper-Verlag, München 2007, ISBN 978-3-492-27555-2, 12,90 Euro. |