Buenos Aires live -

oder: Poesie und Melancholie des Tango

Auch Bücher sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Im Zeitalter der multimedialen Vernetzung braucht sich zwischen zwei Buchdeckeln nicht mehr nur Papier zu verstecken. Schlägt man jedenfalls ein Exemplar der neuen Reihe earbooks auf, findet man hinter dem Cover zunächst einmal vier Musik-CDs, bevor das klassische Buchformat beginnt. Wenn man dann noch das richtige Thema ausgewählt hat, erhält man eine Kombination aus Optik und Akustik, die den traditionellen Formen der Darstellung durchaus die Schau stehlen kann. So geschehen im Band „Tango“, der uns auf eine großartige Reise nach Buenos Aires entführt. Es ist nicht ganz das Original eines wirklichen Besuchs in der argentinischen Hauptstadt, kommt ihm aber beträchtlich nahe. Selten hat man eine Bilderserie gesehen, die die prickelnde Spannung des Tango so hautnah widerspiegelt. Sie ist eine Liebeserklärung an eine Stadt und ihre Musik. Ob farbig oder schwarzweiß, die ganzseitigen Abbildungen zeigen nicht nur Szenen von Tanz und Sinnlichkeit in Bars und Tangolokalen, sie fangen auch das Leben auf der Straße ein, das auf den ersten Blick nichts mit der Musik zu tun hat. Doch die Fotos  beweisen, dass Buenos Aires aus allen Poren die Poesie und Melancholie des Tango ausschwitzt. Die Fotografen fangen die Ästhetik des Schlichten und des Hässlichen ebenso ein wie die Bitterkeit und die Armut, die hinter der leidenschaftlichen Fassade der Musik und des Tanzes versteckt sind.

Dass die Musik nicht zu kurz kommt, dafür sorgen die vier CDs, aufgenommen zum Teil live in Clubs und Bars von Buenos Aires. Aber Vorsicht: Es ist nicht der geglättete internationale Tango, der hier vorgestellt wird, sondern eine ungeschminkt authentische Version, die beim ersten Hören nicht unbedingt ins Ohr geht. Dafür atmet diese Musik die Wirklichkeit von Buenos Aires, spiegelt die Spannung und die Hektik, die Tristesse und die Hoffnung einer Metropole, die sich nicht erst seit heute zwischen Triumph und Abgrund bewegt. Dass eine volle CD den verstorbenen Bandoneon-Spieler Astor Piazzolla, der den Tango salonfähig gemacht hat, live präsentiert, ist ein zusätzlicher Leckerbissen. Und doch vermissen wir etwas an diesem großartig aufgemachten Band: Es fehlt jeglicher Text. Einige Worte der Erklärung, ein paar Passagen Hintergrund hätten dem Buch aber gut getan. Eine ergänzende Nutzung der Sprache könnte diesem multimedialen Werk zusätzlichen Glanz verleihen und ihm den letzten Schliff geben.

vm@saw

Jim Zimmermann u.a.: Tango - The Rhythm and Movement of Buenos Aires. Earbooks. ISBN 3-937406-15-8, 116 Seiten, 65 Abbildungen, 4 Musik-CDs, 30 Euro.

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