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Zwei Leben

Vikram Seth, Autor des Weltbestsellers „Eine gute Partie“, stellt sich mit dem vorliegenden Buch einer großen Aufgabe: Familienchroniken sind in Indien durchaus gängig, doch zwei Leben zu rekonstruieren allein anhand von Interviews und Briefen? So viel Zeitgeschichte, so viele kulturelle Differenzen zwischen Deutschland, England und Indien. Dazu die komplexen Beziehungsebenen, die der Entwicklung der Charaktere und ihren unterschiedlichen sozialen Kontakten über die Jahre gerecht werden sollen. Kann das gelingen, ohne den unbeteiligten Leser zu langweilen?

Alles beginnt mit Vickys mehrjährigem Studienaufenthalt in England und dem daraus resultierenden recht innigen Verhältnis zu seinem Onkel Shanti und dessen deutschstämmiger Frau Henny. Auf dieser Grundlage und angespornt durch die Begeisterung des alten Zahnarztes für die im späten Alter geführten Interviews, plant Seth zunächst, vorrangig die Perspektive seines Onkels zu beleuchten, bis zufällig ein Koffer auf dem Dachboden die Gewichtung des gesamten Werkes verändert.

Tante Henny, die nie über ihre Vergangenheit gesprochen hatte, war 1939 als Jüdin aus Berlin geflohen, wo sie den vormals dort studierenden Shanti als Untermieter in der mütterlichen Wohnung kennengelernt hatte. In England angekommen, bleibt Shanti der einzige enge Freund, mit dem sie ihre unbeschwerten Jugendjahre und gemeinsamen Ausflüge mit Freunden ebenso präsent erhalten kann wie ihre Mutter und Schwester, die beide die radikale Vernichtung der Juden in Deutschland nicht überlebten. Dabei spricht sie nie mit Shanti über ihren Verlust. Reicht es, dass er es weiß? Ist es eine Heimat außerhalb der Heimat, die Henny unausgesprochen bei ihm findet? Vikram Seth ist gezwungen, sich mit der grausamen Politik des III. Reichs auseinanderzusetzen, verliert dabei beinahe die Fähigkeit, die bis dato geschätzte deutsche Sprache weiterhin ohne Abscheu hören oder sprechen zu können, verfolgt eine nicht unproblematische Liebesgeschichte und dringt ein in die Wirren der in Berlin verbliebenen deutschen Nachkriegsgeneration wie der englischen, jüdischen und indischen Perspektive, die Einfluss auf Leben und Denken der Beteiligten hatten. Die Summe eines Lebens als Individuum und als Zeitzeuge, persönlich und doch bereichernd für einen nicht involvierten Leser. Seths Fähigkeit, emotionale Nähe als Neffe und bewusste Reflexion als Mittler und künstlerischer Gestalter zu verdeutlichen, zeugt von großem literarischem Talent. Seine eigene sich wandelnde Sicht auf die Protagonisten ebenso nachvollziehbar zu machen wie deren einzigartige Aura, trägt zu einer erstaunlich facettenreichen Darstellung dieser beiden Menschen und der sie prägenden Begleitumstände bei.

Fazit: Es kann gelingen. Und es hallt nach, noch lange nach der letzten Seite.

hf@saw

Vikram Seth: Zwei Leben. Porträt einer Liebe. S. Fischer Verlag. ISBN: 3596164788. 9,95 Euro.

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