Über den Wipfeln von Borneo
Das Sultanat Brunei verbindet Öko-Tourismus und Umweltschutz
Text und Fotos: Rainer Heubeck
Um 4:30 Uhr klopft Sam San Jose an die Fenster der Schlafzimmer des Ulu Ulu Resorts. „Frühstücken könnt ihr später“, meint der 43-jährige Philippine, der seit fünfzehn Jahren in Brunei lebt und als Tourguide arbeitet. Ein paar Schluck Kaffee nach dem Aufstehen sind erlaubt. Doch wenige Minuten später drückt Sam seinen beiden deutschen Gästen Taschenlampen in die Hand und drängt zum Aufbruch – schließlich sind 1226 hölzerne Stufen und anschließend 25 Höhenmeter auf Aluminiumleitern zu bewältigen, bevor seine Besucher einen weiten Blick über das Kronendach des Regenwalds auf der Insel Borneo genießen können. Einen Primärregenwald, der hier, im Grenzgebiet von Brunei zu Malaysia, noch bestens erhalten ist. Am Spektakulärsten ist der Ausblick am frühen Morgen, wenn weiße Nebelschwaden durch die Wipfel wabern und sich der Tag erst noch aus der Morgendämmerung freikämpfen muss.
Wie vielfältig die Tierwelt ist, die sich im grünen Dschungel verbirgt, lässt sich auch zu dieser Zeit nur erahnen: Nur zwei Nashornvögel, die an den Baumwipfeln vorbeifliegen, sind zu sehen. „Hört ihr das?“, fragt Sam San Jose, als aus dem grünen Blätterdach, das sich bis zum Horizont zieht, plötzlich ein paar schrille Schreie zu vernehmen sind, „das sind Gibbons.“
Die Sonnenaufgangs-Wanderung zum Canopy-Walkway, einem spektakulären Pfad auf Baumwipfelhöhe, gehört zu den Highlights eines Besuchs im Ulu Temburong Nationalpark. Verschiedene Plattformen in 25 bis 50 Meter Höhe sind durch Brücken verbunden. Die Aluminium-Konstruktion, die von Brunei Shell mitfinanziert wurde, wirkt sicher und stabil, zumal pro Plattform und Brücke maximal zwei Besucher gleichzeitig zugelassen sind. „Canopy-Wege in anderen Ländern, die aus Holz gemacht sind“, erläutert Sam San Jose, „schwanken oft sehr stark, die Struktur hier ist jedoch sehr stabil, wenn man eine Wasserwaage nimmt, sieht man, sie steht immer waagrecht.“ Wer die höchste Plattform erklimmt, hat insgesamt fünfzig Höhenmeter auf schmalen Aluminiumleitern überwunden – und wird durch einen grandiosen Ausblick entschädigt.
Das Emirat Brunei liegt auf der Insel Borneo, die zum Großteil zum Malaysia und Indonesien gehört. Die Regenwälder hier bilden, gemeinsam mit dem Kongo- und dem Amazonasbecken, die grüne Lunge der Erde. Während in Brunei die Abholzung der Wälder so gut wie gestoppt ist, werden in den Nachbarländern weiterhin tagtäglich Primärwälder vernichtet – zum Beispiel, um dort Platz für Ölpalmplantagen zu schaffen. Mittlerweile haben die drei Regierungen allerdings ein Aktionsprogramm mit dem Titel „Heart of Borneo“ gestartet. Sein Ziel: Die Regenwälder auf Borneo sollen geschützt und nachhaltig bewirtschaftet werden. Um den Regenwald weiter erhalten zu können, setzt man inzwischen verstärkt auf Ökotourismus. „Im Moment ist Ökotourismus bei uns in Brunei noch im Baby-Stadium, aber er ist sehr wichtig für uns, nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch für den Schutz der Natur“, sagt Noralinda Bte Hj Ibrahim, die im Industrieministerium für die Waldbewirtschaftung und den Öko-Tourismus zuständig ist.
“Früher war der Regenwald für die Menschen, die hier gelebt haben, nicht nur ein Supermarkt, der sie mit Nahrung versorgt hat, sondern auch eine Apotheke“, erläutert Sam San Jose auf dem Rückweg von Baumwipfel-Pfad zum Ulu Ulu Resort.
Sam San Jose
Der wilde Ingwer, den er am Rand des Trampelpfades entdeckt hat, kann Rheumatismus lindern. „Man nimmt den jungen Ingwer, drückt ihn zusammen und röstet ihn auf einem Feuer – wenn er etwas abgekühlt hat, reibt man damit die Stelle ein, an der das Rheuma sitzt. Man lässt ihn ein, zwei Stunden einziehen, danach ist das Rheuma verschwunden“, versichert Sam San Jose – und zeigt seinen Besuchern noch eine weitere grüne Pflanze, deren Blätter Schwellungen lindert und eine Frucht, die das Blutbild verbessert.
Wer in seinem Leben je einen Tarzan-Film gesehen hat, der weiß es: Kein Dschungel ohne Lianen. „Wir haben zwei verschiedene Typen von Lianen hier, runde und flache. Wenn man im Regenwald unterwegs ist, und kein Wasser mehr hat, kann man runde Lianen abschneiden und das Wasser aus ihrem Inneren trinken“, versichert Sam San Jose. Der 43-jährige Guide, der Tages- und Mehrtagestouren durch den Ulu Temburong Nationalpark führt, kennt nicht nur die Pflanzen des Dschungels, sondern auch im Wald versteckte Wasserfälle. Um diese zu erreichen, fahren die Gäste des Ulu Ulu Resorts zuerst mit einem motorisierten Kanu etwa dreißig Minuten lang flussaufwärts - bevor sie an einer Kiesbank aus dem Boot klettern und eine etwa zwei Kilometer lange Wanderung antreten, bei der das Flussbett mehrmals überquert werden muss. „Am besten, man hat Gummischuhe oder Gummistiefel dabei an, denn normale Wanderschuhe wären schnell durchnässt“, erklärt Sam San Jose, der seinen Besuchern auf dem glitschigen Weg zum Sungai Apan-Wasserfall etliche Male die Hand reichen muss, damit diese nicht stürzen. Doch die Mühe lohnt sich: Der Wasserfall, der nach etwa 45 Minuten erreicht ist, beeindruckt zwar nicht unbedingt durch seine Größe – doch unterhalb des herabstürzenden Schwalls staut sich das Flusswasser – und formt einen herrlichen Open-Air-Swimmingpool mitten im Regenwald.
Die meisten Besucher des Ulu Temburong Nationalparks freilich verpassen dieses Kleinod. Denn von den rund 6000 Touristen, die im Jahr 2007 den ersten und bislang einzigen Nationalpark in Brunei besucht haben, waren 5600 reine Tagesausflügler. Nur 400 Gäste blieben über Nacht.
Da die An- und Abreise in den Regenwald mehrere Stunden dauert, bleibt ihnen nur wenig Zeit: Die Besucher fahren zuerst mit dem Taxi-Boot von Bandar Seri Begawan, der Hauptstadt Bruneis, in die Provinzstadt Bangar. Von dort aus geht es mit dem Kleinbus an den Fluss Sg. Belalong – und dann noch einmal 45 Minuten im Einbaum flussaufwärts. Wenn die Tagesgäste dann gegen 11 Uhr im Park antreffen, haben sie maximal fünf Stunden - zu wenig, um die Umgebung wirklich zu erkunden. Doch seit dem Jahr 2008 werden verstärkt Mehrtagestouren angeboten, die von Sunshine Borneo Tours organisiert werden, einem Privatunternehmen, das seit Februar 2008 nicht nur die Lizenz dafür hat, sämtliche Touren in den Nationalpark durchzuführen, sondern die seither auch das Ulu Ulu Resort verwaltet, die einzige Unterkunft direkt im Nationalpark.
Von diesem Resort aus geht es am nächsten Tag wieder zurück in die Zivilisation. Unterwegs freilich macht Sam San Jose mit seinen Gästen noch einmal kurz Halt in einem traditionellen Langhaus. Diese auf Stelzen gebauten Holzhäuser, die aus bis zu 55 aneinander gereihten Häusern bestehen können, sind typisch für Borneo. Und obwohl Brunei, ein streng muslimisches Land, zu dessen Wahrzeichen die Omar Ali Saifuddin Moschee und die Jame' Asr Hassanil-Bolkiah Moschee mit ihren vergoldeten Kuppeln gehören, seinen Staatsbürgern den Genuss von Alkohol untersagt, gibt es eine Ausnahme: Das Erntefest, das von einigen der Stämme, die traditionell in Langhäusern wohnen, alljährlich gefeiert wird. Für dieses Fest wird eigens ein spezieller Reiswein hergestellt wird. „Dieser Wein ist sehr stark, fast wie Wodka. Während des Erntefestes ist es erlaubt, ihn zu trinken, aber nur eine Woche lang, dann nicht mehr“, erläutert Sam San Jose auf der Rückfahrt von Bangar nach Bandar Seri Begawan.
Dabei hält das Taxiboot auch mehrmals in Kampong Ayer an, dem größten Wasserdorf der Welt. In dem auf Pfählen errichteten Dorfkomplex leben rund 22.000 Menschen, es gibt dort auch drei Tankstellen, drei Feuerwehrstationen, sieben Moscheen und 16 Schulen. „Das Wasserdorf hier gibt es bereits seit dem 13. Jahrhundert, fast alle Einheimischen, die heute in Brunei leben, stammen ursprünglich von diesem Wasserdorf,“, erläutet Sam San Jose, bevor das Taxiboot, das auf der Rückfahrt vom Nationalpark kurzzeitig durch malaysisches Territorium schippert, ohne dass deshalb eine Passkontrolle nötig war, kurz vor der Abenddämmerung in Bruneis Hauptstadt Bandar Seri Begawan anlegt.
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