Und doch ist alles echt
Die Straßen wirken breit und majestätisch, die Wasserspiele vor den Museen und Galerien laden zum Verweilen ein. Die ganze Stadt ist eine Augenweide, es gibt keinen Müll und scheinbar keine Probleme. Nur vor dem alten Parlament entdecke ich eine Wellblechhütte, mit der Fahne der Aborigines geschmückt und umrahmt von Protestplakaten.
Altes Parlament in Canberra
Bisher hat Robin
nur der Flaggenaufmarsch im Botschaftsviertel beeindruckt, jetzt
läuft er schnurstracks auf die kleine Gruppe Demonstranten
zu. Sie stellen mit Didgeridoo, Lagerfeuer und Körperbemalung,
leicht angegrauten T-Shirts und verschwitzten Haaren einen krassen
Gegensatz zu dieser aufgeräumten Welt wohlabgestimmter Farben
und Formen dar. “Sind die echt?”, fragt er mich skeptisch.
Und das ist der Schlüssel zu Canberra – es ist schön,
es ist vielseitig und wesentlich attraktiver als man in Gesprächen
heraushört. Doch eckt es nirgendwo an. Alles hier ist, wie
schon gesagt, wohlgestalt, aber dadurch irgendwie künstlich.
“Ja, das sind sie!”, höre ich mich mit erleichterter
Stimme sagen und wir setzen uns und hören dem “anderen”
Australien ein wenig zu.
Dog on the tuckerbox
An dieser Stelle
fällt mir eine Geschichte ein, die ich Ihnen erzählen
möchte. Auch, weil sie in diese Landschaft gehört, denn
wer auf dem Hume Highway bis Canberra und von dort nach Sydney fährt, kreuzt den Murrumbidgee River und kommt an Gundagai nicht vorbei. Hier entstand
im 19. Jahrhundert zunächst das Gedicht vom “Dog
on the tuckerbox”. Daraus wurde eine mehrstrophige
Ballade über den wachsamen Hund, der die Butterbrotdose seines
Herrchens bewacht. (Foto: Monument "The dog on the tuckerbox")
Warum? Vielleicht, weil während des 19. Jahrhunderts die Pioniere
von Sydney ins Landesinnere zogen. Auf der Suche nach Flüssen
und dem damit verbundenen fruchtbaren Ackerboden. Die so genannten
“Bullockies” mit ihren Ochsenkarren bereiteten die Versorgungswege
für die Siedler, schlugen Schneisen, ebneten Pfade und brachten
Nachschub. Oft aufgehalten durch reißende Bäche nach
Regenfällen oder andere Unwegsamkeiten, gab es lange Wartezeiten.
Und dabei, ja, dabei wusste man sich zu unterhalten: Mit dem Aufsagen
von Versen, dem Erzählen von Geschichten, mit Dichten und komponieren.
So ist denn wohl auch “The Dog on the tuckerbox” zu
Ehren gekommen, wobei das legendär gewordene Stück australischer
Folklore Einblick gibt in das harte Leben der ersten australischen
Pioniere.
Hier ist “Bowyang Yorke's Poem”, entstanden um 1850:
As I was coming down Conroy's Gap,
I heard a maiden cry;
'There goes Bill the Bullocky,
He's bound for Gundagai.
A better poor old beggar
Never earnt an honest crust,
A better poor old beggar
Never drug a whip through dust.'
His team got bogged at the nine mile creek,
Bill lashed and swore and cried;
'If Nobby don't get me out of this,
I'll tattoo his bloody hide.'
But Nobby strained and broke the yoke,
And poked out the leader's eye;
Then the dog sat on the Tucker Box
Nine miles from Gundagai
1932 wurde das Monument zu Ehren der ersten zähen Siedler acht Kilometer außerhalb von Gundagai eingeweiht – es wird noch immer darum gestritten, dass es nicht, wie im Lied gesagt, neun Meilen sind – und ist seitdem ein vielbesuchter “Wallfahrtsort” geschichtsinteressierter Landsleute. Wobei, man nehme es mir nicht übel, Nicht-Australiern sich der rechte Sinn für diese Sehenswürdigkeit nur mühsam erschließt.