Text und Fotos: Winfried Dulisch
Stonehenge in England und das Hügelgrab Newgrange in der Republik Irland sind Pilgerstätten für die Verehrer von keltischen Druiden. Eine knappe Autostunde südwestlich von Belfast treffen sich dagegen jene Celtic-Fans, die sich für Küche und Keller in vorchristlicher Zeit interessieren. – Winfried Dulisch besuchte die Kunsthistorikerin Beate Hahn im Navan Fort.
Der Empfang ist nicht freundlich. Beate Hahn steht mit ihrem Speer am Tor und behandelt jeden Gast erst einmal wie einen möglichen Eindringling, denn „vor allem mit den Leuten aus Connaught verstehen wir Bewohner von Ulster uns nämlich gar nicht“. Connaught ist der alte englische Name für die historische Provinz Connacht, die an der Atlantik-Küste im Westen der heutigen Republik Irland liegt. Der Name „Ulster“ wird heute noch für den gesamten Norden der irischen Insel verwendet.
Drei der neun Ulster-Counties (deutsch: Grafschaften) gehören heute zur irischen Republik: Donegal im hohen Nordwesten an der irischen Atlantik-Küste sowie Cavan und Monaghan im nördlichen Binnenland. Die übrigen sechs Counties bilden Nord-Irland, das zusammen mit Schottland, Wales und England zu dem von London aus regierten Vereinigten Königreich gehört. Aber Beate Hahn will uns zurückversetzen in jene vorchristliche Eisenzeit, als die grüne Insel von den Kelten beherrscht wurde.
Sie führt ihre Besucher durch Navan Fort, einem archäologischen Fundort im County Armagh in Nordirland. Die Archäologen vermuten hier das legendäre Emain Macha, das in alten irischen Sagen als Hauptstadt der Ulster-Region genannt wird. Neben einem Hügel, der als keltische Kultstätte gilt, lebt in einem hölzernen Rundgebäude der Alltag von Eisenzeit-Menschen wieder auf.
Beate Hahn: „Amerikaner kommen hierher und suchen ihre keltisch-irischen Wurzeln. Deutsche Besucher fragen eher nach praktischen Dingen – zum Beispiel aus welchem Material dieses Haus erbaut wurde. Franzosen interessieren sich dafür, mit welchen Kräutern und Gewürzen die Kelten ihre Nahrung zubereiteten.“
Käse
„Hier wohnte ein Bauer “, beginnt die aus Berlin stammende Kunsthistorikerin ihre Führung. „Er besaß 13 Kühe und war damit sehr wohlhabend.“ So wie ihr 2.000 Jahre altes Vorbild stellt Beate Hahn den Käse für ihre Besucher selbst her. „In einem Topf erwärme ich Wasser. Dann stelle ich einen kleineren Topf mit Voll- oder Buttermilch hinein, ich füge ein wenig Salz und ein paar Kräuter hinzu. Ich lasse es dann ein bisschen wärmer als lauwarm, aber nicht heiß werden.“
Labkraut
Zum Käse wird diese Mischung, wenn der Milch-Bestandteil Kasein gerinnt. Dieser Gerinnungs-Prozess wird in Gang gesetzt durch Chemikalien, die in jeder Apotheke erhältlich sind. Beate Hahn findet aber in freier Natur jenes Labkraut, das auch unsere Vorfahren für die Käse-Produktion verwendeten. „Aus diesem Labkraut koche ich einen Sud. Wenn ich den abgekühlten Labkraut-Sud zu der Milch gebe, gerinnt sie. Nach einer halben Stunde kann ich den Frischkäse in ein Tuch gießen und ihn abtropfen lassen.“
Kelten kannten keine EU-Verordnungen
Darf das Gesundheitsamt eigentlich wissen, in welcher Lebensmittel-rechtlichen Grauzone die Kunsthistorikerin arbeitet? – „Meine Mitarbeiter und ich produzieren unsere Milchprodukte mit der gleichen Sorgfalt wie die Menschen vor vielen tausend Jahren. Das entspricht zwar nicht den EU-Normen. Aber allen Besuchern, die unseren Käse gegessen haben, ist er bestens bekommen. Und außerdem probieren wir unsere Produkte erst einmal selbst, bevor wir sie anbieten.“
Wenn Beate Hahn im Navan Fort ein Festival veranstaltet, präsentiert sie immer diese keltische Spezialität: Fleisch in Brot. Dafür würzt sie das Fleisch mit einer Prise Salz, Schnittlauch und anderen Kräutern. Das Fleisch wird eingewickelt in einen ausgerollten Brotteig aus Mehl, Wasser und Salz. Dieses Paket wird in einer Feuergrube gegart, die mit Steinen ausgekleidet ist. Von diesen heißen Steinen wird das Fleisch langsam gegart und zergeht anschließend zart auf der Zunge.
Ist der Backofen warm genug?
Statt in einem Brotteig ließen die Kelten das Fleisch auch gerne in einer Umhüllung aus Tonerde garen. Beate Hahn: „Wenn sie darin zum Beispiel ein Eichhörnchen, einen Igel oder Vogel zubereiteten, blieben das Fell, die Federn oder Stacheln in dem Ton stecken. Damit pellte sich das Fleisch wie von selbst ab.“
In der runden Hütte, in der Beate Hahn ihre keltischen Spezialitäten zubereitet, steht heute nur noch eine elektrische Feuerstelle. „Der Rauch eines offenen Feuers ist viel zu schädlich für die Lunge. Aber unsere Vorfahren lebten in solchen Räucherkammern. Mit diesem Räuchern wurden auch die Fleischvorräte haltbar gemacht.“
Archäologische Ausgrabungen haben ergeben: Die Original-Decke des Rundbaus, in dem Beate Hahn arbeitet, war aus Haselnusszweigen hergestellt worden. „Unser Nachbau hat Wände aus Haselzweigen, die Decke wurde aus Weidenzweigen geflochten. Wir haben uns pragmatisch – wie auch unsere Vorfahren auch – für das jeweils verfügbare Material entschieden.“
Kinderarbeit
Etwaige Löcher in der Stroh-Isolierung mussten von Kindern repariert werden, weil die Finger von Erwachsenen dafür zu groß sind. Und auch mit anderen Neuheiten verblüfft Beate Hahn ihre Besucher: „Vielen Kindern wird hier zum ersten Mal bewusst, dass man die Milch nicht immer in Plastikflaschen kaufen konnte. Und dass die Ernte-Ergebnisse – und damit das Wohlergehen aller Menschen – vom Wetter abhängig sind. Und auch das Gespür für den Wechsel der Jahreszeiten ist heute verloren gegangen.“
Keltische Skulpturen aus vorchristlicher Zeit in der St Patrick's Cathedral, Armagh
Beate Hahn: „Im Winter sammelten die Kelten Pilze und im Frühling die Eier von wilden Vögeln. Sie sammelten die Eier nur sparsam, weil sie ihre Nahrungslieferanten nicht ausrotten durften. Außerdem jagten sie mit Speer und Schleuder, Pfeil und Bogen kannten sie nicht. Ihre Kinder gingen in keine Schule, sie mussten arbeiten - zum Beispiel Gerstenkörner zwischen zwei Steinen zu Mehl zerreiben. Für die Herstellung von einem Kilogramm Mehl war ein kompletter Arbeitstag notwendig.“
Handarbeit: Gerste zu Mehl verarbeiten
Und dieses Produkt war auf keinen Fall zu vergleichen mit unserem heutigen DIN-genormten Mehl. – „Steine und andere Rückstände im Mehl sorgten für schlechte Zähne. Weil die meisten Menschen vor 2000 Jahren höchstens 35 Jahre alt wurden, nahmen sie das wohl nicht so tragisch. Ein voller Bauch und abgewetzte Zähne waren ihnen lieber als wunderbare Zähne und ein leerer Magen.“
Vor 2.000 Jahren wurden in der Ulster-Region Gerste und Hafer angebaut. Für ihre Brotback-Vorführungen verwendet Beate Hahn aber Weizen, obwohl der einst nur mindestens vier bis fünf Tagesreisen weiter südlich angebaut wurde. Bei ihren Reisen legten die Menschen in der Eisenzeit pro Tag meist nur 25 Kilometer auf schlecht ausgebauten Wegen zurück.
Altar in der St Patrick's Cathedral, Armagh
Getreide diente den Kelten nicht nur als Nahrungsmittel, es wurde auch zur Bier-Herstellung verwendet. Den Hopfen haben erst die Römer nach Irland gebracht, bis dahin wurde hier einfach nur die Gerste vergoren. Weil das Flusswasser nicht immer sauber genug war, tranken die in Irland lebenden Kelten ein Dünnbier. Für ihre Festlichkeiten brauten sie ein stärkeres Bier. Oder sie tranken Honig-Met, der bis zu 20 Prozent Alkohol enthalten konnte.
Was kostet eine Amphore Wein?
Wein wollte in Irland nicht gedeihen. Doch als die Römer die Nachbarinsel eroberten und zur Provinz Britannien erklärten, trieben die irischen Kelten mit ihnen Tauschhandel. Erst die Wikinger brachten um 800 den Kelten die Mode, mit Münzen für Waren und Dienstleistungen zu bezahlen. Zur Römerzeit galt dagegen der Tageskurs: ein Sklave gegen eine Amphore Wein. Beate Hahn: „Ein kleines Säckchen Salz war mehr wert als der Tagelohn eines damaligen Landarbeiters. Salz machte die Speisen haltbar, als es noch keine Kühlschränke gab.“
St Patrick's Cathedral, Armagh
Gegen Alkohol-Kater und andere Schmerzen kannten die irischen Ureinwohner verschiedene Hausmittelchen. Beate Hahn empfiehlt: „Man kochte aus der großen Kamille, die hier überall wächst, eine Art von Tee. Außerdem kauten unsere Vorfahren die Rinde von Weidenbäumen, die uns heute den Grundstoff liefern für die Herstellung von Aspirin. Die Brennessel war ein überall verfügbares Gemüse, die Kelten benutzten es für Aufguss-Getränke oder medizinische Pasten.“
Ausgerechnet christliche Mönche unterrichteten 500 Jahre später die Iren in der Kunst, aus Getreide ein ordentliches Gesöff zu brennen: Whiskey. 1759 revolutionierte Arthur Guinness noch einmal die Trinkgewohnheiten der Iren und startete in Dublin die Produktion seines dunklen Stout. Als weitere Freizeitbeschäftigungen sind auf der grünen Insel jene Sportarten verbreitet, die heute von den 800.000 Mitgliedern der Gaelic Athletic Association (GAA) ausgeübt werden.
100.000 GAA-Mitglieder spielen mit dem bereits von den Kelten benutzten Hurling-Schläger, der dazu gehörende Ball war vermutlich schon damals aus Leder. Beate Hahn: „Hurling diente den Kelten als Vorbereitung auf den Gebrauch eines Schwertes, weil die Bewegungs-Abläufe sehr ähnlich sind.“ Ein weiteres Sportgerät waren die Pferde, denen der alltägliche Einsatz als Transportmittel kaum zugemutet wurde. Die Kelten nutzten ihre edlen Rösser als Statussymbole oder für ihre Wagenrennen und militärischen Einsätze.
Gleiches Recht für alle
Beim Sport wie bei kriegerischen Auseinandersetzungen herrschte Gleichberechtigung. „Auch Frauen übten den Gebrauch von Waffen, denn oft mussten sie auf sich allein gestellt ihren Besitz und ihre Kinder gegen Überfälle verteidigen. Die Keltin war kein Heimchen am Herd, eher schon eine Amazone.“ Die Gleichberechtigung ging bei den Kelten sogar noch weiter. „Frauen durften ihren Besitz nach ihren eigenen Vorstellungen verwenden, verkaufen oder verschenken. Und beide Ehepartner hatten das Recht, eine Scheidung zu verlangen.“
Und welche Erfahrungen hat Beate Hahn gesammelt als keltische Hausfrau? – „Neulich habe ich Brot mit Nüssen draußen auf den flachen, heißen Steinen am Feuer gebacken. Da kamen die Elstern und pickten die Nüsse aus dem Teig heraus. Ich habe mich natürlich erst einmal darüber geärgert, Aber dann habe ich mir doch gedacht: so funktioniert also ein symbiotisches Zusammenleben von Mensch und Tier. Das ist ein Geben und Nehmen.“
Suchen bei schwarzaufweiss
Das könnte Sie auch interessieren
Reiseveranstalter Irland bei schwarzaufweiss
Die "Grüne Insel" gilt als Inbegriff von Natur, faszinierenden Landschaften, Ruhe, reicher Geschichte und ebensolcher Kulturdenkmäler.
Mehr lesen ...
Die Vielfalt der irischen Landschaft kann süchtig machen: die goldgelben, im Spiel von rasch wechselndem Licht immer neue Konturen gewinnenden Sandstrände, die zu einsamen Spaziergängen einladen; in felsige Spitzen auslaufende Halbinseln, die von einem einsamen Leuchtturm bewacht werden; schroffe Klippenlandschaften, wo tosende Wellen und krächzende Seevögel fast zwangsläufig verstummen lassen.
Mehr lesen ...
Viele irische Farmen vermieten Pferd und Karavan für einen Urlaub im Zigeunerwagen. Eine von ihnen ist die Kilvahan Horse Drawn Caravan in Coolrain, nur eine Stunde entfernt vom Dubliner Flughafen. Julia und Hans, zwei Pferdenarren aus Deutschland, bewirtschaften die Farm seit 15 Jahren. Für die Fahrt mit dem Planwagen sind keine Pferdekenntnisse erforderlich. Die Bereitschaft sich auf ein neues Abenteuer einzulassen und die Liebe zum Pferd sind die einzigen Voraussetzungen für den Urlaub im Zigeunerwagen – den Rest übernimmt der vierbeinige Partner.
Mehr lesen ...
Nordirland. Über 1.000 Meilen ausgeschilderte Radwege des britischen National Cycle Network durchziehen die landschaftlich, kulturell und geschichtlich interessante Region. Aufregendes Neuland für deutsche Radfahrer.
Mehr lesen ...