Macau im Schatten der Lotusblüte

Vom Mandarin-Haus bis zum Venetian

Text und Fotos: Rainer Heubeck

Macau - St. Paul Kathedrale - Ruine in der Altstadt

Schnell nebeneinander aufgestellt, die Finger zu einem V geformt, den Kopf zu Seite geneigt, und dann die weiße Zähne zeigen. Für die drei Chinesinnen, die sich auf den Treppenstufen vor der Ruine von St. Paul positioniert haben, ist der Moment, in dem das Selfie entsteht, vermutlich der Höhepunkt ihres Besuchs der Altstadt von Macau. Das portugiesische und christliche Erbe der Stadt, hier ist es nur noch Kulisse, denn St. Paul, eine Kirche mit angeschlossenem Kolleg, brannte im Jahr 1835 während eines Taifuns fast vollständig nieder. Übrig blieb nur die Fassade, die von japanischen Handwerkern kunstvoll gestaltet worden ist.

Macau - kunstvoll geschnitzte Holztüren im Mandarin-Haus

Kunstvoll geschnitzte Holztüren im Mandarin-Haus

Weniger als zwei Kilometer entfernt, in der Nähe der Barrastraße, findet sich ein Gebäude, das ebenfalls zu Macaus UNESCO-Weltkulturerbe zählt, das seine Besucher aber nicht mit einer Invasion von Selfie-verrückten Reisegruppen, sondern mit Ruhe und Gelassenheit empfängt. Wer Dutzende von Räumen durchstreifen und betrachten will, der braucht schließlich Zeit. Das Mandarin-Haus ist ein knapp 150 Jahre alter Gebäudekomplex mit rund sechzig Zimmern, zur Zeit seines Baus um das Jahr 1869 war es das größte Privathaus in ganz Macau. Das Haus, in dem es kunstvoll geschnitzte Holztüren und einen ummauerten Privatgarten im chinesischen Stil gibt, ist nicht nur asiatisch geprägt. In ihm finden sich auch falsche Decken mit Stuckarbeiten, italienisch anmutende Säulen und am westlichen Stil orientierte Fenster. Bis etwa in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war das Haus im Privatbesitz, danach wurde es verkauft und in der Folgezeit lebten zum Teil über 300 Menschen gleichzeitig darin. Die Pracht verfiel – erst ab dem Jahr 2002 wurde das Anwesen acht Jahre lang von der Stadt restauriert. Mittlerweile ist es eines der Schmuckstücke unter den UNESCO-Weltkulturerbe-Bauten der Stadt.

Macau - Mandarin-Haus, ein Ort der Ruhe

Mandarin-Haus, ein Ort der Ruhe

Während früher das Mandarin-Haus mit seinen rund sechzig Zimmern eines der größten Gebäude Macaus war, hat der größte Bau der heutigen Zeit ganz andere Dimensionen. Das moderne Pendant zum Mandarin-Haus befindet sich auf dem Cotai-Strip, einem künstlich aufgeschütteten Gebiet, das die beiden Inseln Coloane und Taipa verbindet. Im Venetian, so der Name des Gebäudes, finden sich knapp 3000 Hotelsuiten, ein Einkaufszentrum mit mehr als 350 Geschäften sowie ein Veranstaltungssaal mit 15.000 Plätzen. Während das Areal des Mandarin-Hauses beachtliche 4000 Quadratmeter Fläche vorweisen konnte, verfügt der Venetian-Komplex über eine Grundfläche von knapp einer Million Quadratmetern. Das von Las Vegas Sands betriebene Resort gehört damit zu den zehn größten Nutzgebäuden der Welt. Es beherbergt unter anderem das größte Casino der Welt mit etwa 800 Spieltischen, an denen vorwiegend das bei Chinesen beliebte Bakkarat gespielt wird und circa 3400 „hungrige Tiger“, so der örtliche Kosename für die in Macaus Casinos allgegenwärtigen Geldspielautomaten.

Macau - das Venetian am Abend

Das Venetian am Abend

Das Mandarin-Haus der Neuzeit bietet Besuchern auch eine überdachten Kunstwelt, in der philippinische Gondolieres chinesische Touristen auf italienisch anmutenden Gondeln „O sole mio“-singend auf einem künstlichen Canal Grande zwischen Markenboutiquen entlang und durch die Rialtobrücke hindurchschippern. Für die chinesischen Besucher, die für 128 Macau Dollar (etwa 15 Euro) in eine Gondel steigen können, ist auch hier das Selfie obligatorisch.

Macau - im Venetian auf dem Contai-Strip

Im Venetian auf dem Contai-Strip

Im Casino jedoch ist Fotografieren nicht erwünscht. Die Atmosphäre in der größten Glücksspielhalle der Welt wirkt nüchtern-sachlich, das Zocken, so scheint es, hat hier wenig mit Spaß und Vergnügen zu tun, es erscheint eher wie harte Arbeit. In der Nachbarschaft des Venetian finden sich weitere Megaresorts der Superlative, allesamt mit eigenen Casinos. Etwa die City of Dreams, die durch ihre allabendlich Show House of Dancing Waters, eine spektakuläre Akrobatikshow auf elf hydraulischen Bühnen, zahlreiche Besucher anlockt und in der sich das zweitgrößte Casino der Welt findet. Oder die im Oktober 2015 eröffnete Studio City mit einem von Warner Brothers unterstützten Filmthemenpark für Kinder und Jugendliche und einem in der chinesischen Glücksfarbe Gold gehaltenem Riesenrad, dem „Golden Reel“, das zudem noch die Form einer chinesischen Glückszahl hat: eine Acht.

Macau - Studei City

Studio City von oben

Ein Gebäude, das neben der Ruine der St. Pauls-Kirche zum zweiten Erkennungszeichen Macaus geworden ist, fällt wohl jedem Besucher ins Auge. Das 2008 eröffnete „Grand Lisboa“ ist von den Hongkonger Architekten Dennis Lau und Ng Chun Man in Form einer sich öffnenden Lotusblüte entworfen worden. Der futuristische Wolkenkratzer ist knapp 260 Meter hoch, in ihm finden sich Restaurants der Spitzenklasse und ein Hotel mit mehr als 400 Zimmern. In seiner Unterwelt ist, wie könnte es anders sein, ein beliebtes Spielcasino untergebracht, das rund um die Uhr geöffnet hat. Auf mehreren Kellergeschossen verteilt finden sich über 400 Spieltische und mehr als 700 Glücksspielautomaten, in den einzelnen Abschnitten des Casinos sind die Mindesteinsätze jeweils unterschiedlich hoch. Mit dem Grand Lisboa hat sich Stanley Ho, der langjährige Casino-Tycoon Macaus, der die Sociedade de Jogos de Macau ausgebaut hat, die bis zum Jahr 2002 das Monopol auf das Glücksspiel hatte, ein markantes Denkmal gesetzt.

Macau - Grand Lisboa

Grand Lisboa

Und obgleich das Grand Lisboa insgesamt eher vom chinesischen Geschmack dominiert wird, auch hier vermischen sich die Kulturen: Während im „Round-The-Clock Noodle & Congee“, das für seine Nudelsuppe berühmt ist, die aus einer einzigen, über drei Meter langen Nudel besteht, vor allem Nudeln und Reisbrei serviert werden, bietet das „Robuchon au Dome“ in der Dachkuppel des Hotels, das mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet ist, exklusive französische Küche. Blickt man hier aus den Fenstern, dann erscheint das Mandarin-Haus auf einmal nur sehr sehr klein, fast hat man den Eindruck, dass das UNESCO-Welterbe hinter den Glitzerfassaden verblasst. Doch wer das Hotel verlässt, der muss nur fünf Minuten zu Fuß gehen, zum kopfsteingepflasterten Largo do Senado, und schon fühlt er sich nicht mehr wie in der asiatischen Kunstwelt, sondern eher wie in Lissabon. Im Schatten der 260 Meter hohen Lotusblüte sind die Spuren des mehr als 400 Jahre andauernden portugiesischen Einflusses im modernen Macau eben weiterhin präsent.

Macau - Largo do Senado

Kopfsteingepflasterter Largo do Senado

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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