Ein Gläschen Wein in der Kirche

Südungarn: Renaissance der ungarischen Weine

Text und Fotos: Beate Schümann

„Jó napot“, sagt der Zwei-Meter-Mann, „guten Tag“, greift mit seiner kräftigen Winzerhand zupackend nach der Besucherhand, schüttelt sie und strahlt. „Ich bin Attila!“ stellt er sich vor. Ein Glück, er spricht Deutsch. Das Finno-ugrische ist nämlich eine Fähigkeit, die möglicherweise nur Magyaren beherrschen.

Ungarn Villány Kellergasse

Attila Gere zählt zu den besten Winzern Ungarns. Das Lob hat ihn nicht verdreht. Er ist unkompliziert, trägt Jeans, ein gepflegtes Hemd. Hektische Bewegungen kennt er nicht. Wenn er spricht, spricht er ruhig, weil er die Ruhe im Bauch hat. „Der Weinberg lehrt uns Gelassenheit und Bescheidenheit.“ Wer in den Weinberg geht, geht auch dort ohne Ruhe zugrunde. Das Weingut liegt in Villány, im südlichsten Südungarn, auch „Schwäbische Türkei“ genannt. Seltsam, dieser Name. Ein Überbleibsel aus der 150 Jahre dauernden Türkenherrschaft und der Zeit von Maria Theresia, die die verwüstete Gegend ab 1687 neu besiedeln ließ – hauptsächlich von süddeutschen Weinbauern. Viele in der Weinbauregion sprechen bis heute gut Deutsch.

Ungarn Villány Winzer

Der Winzer in seinem Weinberg

In Villány ist die Dichte von Spitzenwinzern einmalig. Kaum irgendwo sonst in Ungarn gibt es so viele „Winzer des Jahres“ auf einem Fleck. Ede Tiffán war 1991 der erste, 1996 folgte Zoltán Polgár, auf ihn im Jahr darauf Jószef Bock. Attila Gere erhielt den Titel 1994. Seine Kellerei liegt unterhalb des Berges Kopár. Wo sonst, es ist die beste Lage, vielleicht eine der besten weltweit. „Den muss man sehen, dann versteht man unsere Weine!“ sagt er leidenschaftlich. „Kopár ist eine Ausnahmeerscheinung.“ Schon sitzt er im Jeep auf dem Weg zu seinem Lieblingshang. Der Gipfel sieht wie kärgste Steppe aus, grau und ausgesprochen wenig bemerkenswert. Aber am Fuß drängen sich die Rebstöcke auf dem fruchtbaren Boden, ein Biotop für Rotweine mit idealen Bedingungen. „Löss mit Kalk durchmischt, das mögen die Bordeaux-Sorten“, schwärmt er und unterstreicht seine Worte mit seinen großen Händen.

Winzer auf Umwegen

Die Rebstockreihen sind tadellos gepflegt. Über den Stockwurzeln wächst Gras, ein gutes Zeichen, denn die Bodendecker sind in dem heißen Klima als Wasserspeicher wichtig. Achtsam schreitet er durch die Reihen, liebäugelt hier mit ein paar reifenden Trauben, zupft dort ein überflüssiges Blatt ab, bricht am nächsten Stock einen verdorrten Zweig. Hier ist sein Zuhause. Hier stehen Merlot, Cabernet Sauvignon und Franc, aus denen er seine besten Weine macht: „Solus“, „Cabernet Franc Selection“ und eben „Kópar Cuvée“. „Je enger sie stehen, desto besser: die brauchen Stress.“ Der Vollblutwinzer lacht, aber es ist ihm ernst.

Ungarn Villány Weinkeller

Weinkeller, wo man hinschaut

„Stress gibt dem Wein Kraft.“ Dass er sich den Berg noch mit Weinchampions wie Ede Tiffán, Jószef Bock und anderen Winzern teilen muss, wurmt ihn nicht. „In Villány arbeiten alle eng zusammen.“ Das sagt er nicht nur als Präsident der Pannonischen Weingilde, eine kleine Vereinigung von Spitzenwinzern in Ungarn, der Attila seit 2003 vorsteht. Er träumt von der Renaissance der ungarischen Weine, die unter den Habsburgern zu den edelsten Tropfen Europas zählten. Sein Motto heißt: Zurück in die Zukunft.

Ungarn Villány Rebe

Hier wächst er, der ungarische Wein

Attila weiß genau, wo der Wein am besten wächst. Obwohl seine Urgroßeltern Weinbauern waren, kam er auf Umwegen zum Wein. Als gelernter Förster hatte er schon immer einen guten Draht zur Natur. Das änderte sich 1978 durch die Heirat mit seiner Frau Katalin, deren Familie sich um 1780 mit vielen anderen „Donauschwaben“ hier niederließ und Wein pflanzte. „Von einem Tag auf den anderen wurde ich Winzer.“ Und wieder strahlt mit dieser unverdrossenen Lebensfreude.

Allerdings hat auch seine Familie nach 1945 schlechte Zeiten erlebt. Privatbesitz wurde enteignet, auch ihr Rebland ging an die staatlichen Komitate über. „Wir mussten sogar unseren Namen „ungarisieren“, weil mein Vater plötzlich keine Arbeit mehr bekam.“ Schikanen gegen Deutschstämmige waren an der Tagesordnung. Doch er sagt das ohne Bitternis. „Viele wanderten aus; wir änderten nur unseren Namen.“

Kein Kompromiss

Mit fünfzig Hektar Rebgärten gehört der Senkrechtstarter heute zu den größten Winzern der Region - und zu den erfolgreichsten. Wie die meisten musste er klein anfangen. Im sogenannten „Gulasch-Kommunismus“ durfte jeder für den Eigenbedarf 0,3 Hektar Land besitzen, mehr nicht. Wer in größerem Umfang Wein herstellen wollte, griff zu einem Trick: er „pachtete“ die erlaubten 0,3-Hektar von Mutter, Bruder, Cousin und Nachbarn dazu. Manches Winzerland war auf dreißig Namen oder mehr eingetragen. „Noch heute verfügen 70 Prozent der Traubenbauern über weniger als einen Hektar Land“, weiß Attila.

Ungarn Villány Weinfelder

Üppige Weingärten

Doch Attila hatte Glück. Nach 1989 erhielt er das enteignete Rebland zurück und kaufte sukzessive neues hinzu. „Im Sozialismus war Qualität im Grunde Nebensache“, erinnert der 51-Jährige sich nachdenklich und ohne Wehmut. Wein wurde damals zum billigen Massenprodukt. Der gute Stern, der während der k.u.k.-Zeit über dem Wein stand, auf den Schubert und Liszt Hymnen geschrieben hatten, versank. Das Image war ruiniert.

Ungarn Villány Kellergasse

Typische Kellergasse

Nach der politischen Wende änderten sich die Verhältnisse blitzschnell. Das zwang zum Umdenken, sowohl in der Weinbergpflege und Weinlese, als auch in der Kellertechnik. „Wir mussten plötzlich exportieren und uns mit anderen messen“, sagt Attila im Weinkeller, wo sein ganzer Stolz steht: die nagelneuen Edelstahltanks und die Abfüllanlage. 180 Millionen Euro hat er vor zwei Jahren dafür investiert. Eine gigantische Summe, aber weniger als Top-Qualität kommt bei ihm nicht in die Flasche. „Ich will den Wein, den ich mache, schließlich auch selber trinken!“ Punkt, kein Kompromiss. Handlese, Entrappung, gute Gewächse, ausgereifte Technik und gutes Marketing – da ist er sensibel. Trotz all der Anstrengungen stellt er für sich fest: „Für Wein lohnt es sich zu leben.

Ungarische Kultweine

Die Roten aus Villány brauchen die französische Konkurrenz heute nicht mehr zu scheuen. Der Durchbruch kam vor gut drei Jahren. Bescheiden, aber doch stolz rückt Attila schließlich damit heraus. Dass sein „Solus 2000“ den legendären Pétrus aus Bordeaux bei einer Blindverkostung auf internationaler Bühne geschlagen hat. Anfang dieses Jahres siegte in Los Angeles auch sein „Kopár Cuvée 2000“. „Am meisten habe ich mich darüber gefreut, dass ein Wein aus dem noch unbekannten Villány einen der weltweit berühmtesten Weine schlagen kann.“

Ungarn Villány Rebberg

Südungarische Reblandschaft

In Ungarn sind beide schon zu Kultweinen geworden. „Jeden Tag kommen wegen dem „Solus“ zig Anfragen.“ Aber er ist seit langem komplett verkauft. In diesem Jahr soll der „Solus“ noch charaktervoller werden. „Die Richtung heißt Parker-Stil; er wird im Gaumen eine Explosion auslösen“, verspricht er. Das Experimentieren ist seine wahre Leidenschaft.

Ungarn Villány Bäuerin

Auch eine Weinkennerin?

Attila philosophiert noch ein bisschen weiter über Wein, während er eine Flasche seines Favoriten entkorkt, einen „Kopár Cuvée 2002“. Kraft, Stil und Sinnlichkeit steckt drin. Das feurig-pfeffrige Aroma erinnert an Paprika, die rassigen Tannine sind wie der Anblick von ungezügelten Pusztapferden. Noch verkauft er die meisten seiner Weine im eigenen Land. „Ungarn kaufen patriotisch“, stellt er nüchtern fest. Doch er weiß, dass sich der Name Ungarn außerhalb der Grenzen nur langsam etablieren wird. Seine besten Auslandskunden hat er in Deutschland, in der Schweiz und in Belgien.

Der Bischof als Winzer

Beim Gehen gibt Attila in seinem schicken, hochmodernen Empfangshaus noch den Tipp: „Wenn Freitag, dann Villány“. So heißt der neue Slogan des Kellerdorfes, denn Weintourismus ist die beste Werbung. Und das zieht. In der Hauptstrasse des Dorfes wimmelt es vor Menschen. Die Weinkeller stehen offen, es wird ausgeschenkt. Auf der Veranda eines Restaurants fiedeln zwei Zigeuner ungarische Tänze. Ein leichter Wind weht, der die Hitze des Tages kühlt und die Luft mit dem Duft der Weinblüte parfümiert.

Ungarn Villány Kirche

Gibt´s hier den Wein des Bischofs?

Am nächsten Morgen liegt die Kellergasse wie ausgestorben. Wenn man auf der Spur der ungarischen Weine bleiben will, kommt man auf die ausgeschilderte Weinstraße Villány-Siklós. Sie beginnt vor Villánys Haustür, knapp drei Kilometer entfernt in Palkonya. Das Dorf ist berühmt für seine exotische Rundkirche mit der Turmspitze, die wie eine orangefarbene Zwiebel über den geduckten Weinkellern schwebt. Unter ihr reihen sich die Gassen mit frisch gekalkten Presshäusern, alle tipptopp gepflegt und denkmalgeschützt, manche 200 Jahre alt. Sprichwörtliche deutsche Ordnungsliebe. An einer chilischotenroten Holztür lehnt ein Traubenbauer in magyarischer Gelassenheit. „Na, ein Gläschen Wein?“ fragt er mit rauchiger Stimme. Aber es ist noch viel zu früh.

Ein Kellerdorf folgt dem nächsten, und Wein gibt es unterwegs überall. „Nur Kaufen oder Verkosten“, klingt Attilas Warnung nach: In Ungarn herrscht auf den Straßen Null-Promill. Die Spur der Weine führt auch in Attilas Geburtsstadt Pécs, die alte Bischofs- und Universitätsstadt. Weinkeller gab es schon im Mittelalter, und die Weine der Villány-Winzer stehen auf fast allen Speisekarten. Wer die Sprache des Weines versteht, erkennt im Eisenportal der Basilika den biblische Rang von Trauben und Reblaub. Auch heute existiert eine selige Verbindung zum edlen Saft. Im Ticket für den Kirchenbesuch ist ein Gläschen vom bischöflichen Messwein mit drin. Denn der Pécser Bischof Michael Meyer betätigt sich nicht nur als Seelsorger, sondern auch als Winzer. Er weiß, wie er seine Schäfchen zum Weinberg holt, damit er darin arbeite.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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