„Kunst & Architektur“ - eine Themenroute durch die Schweiz

Winterthur ist ein verkannter Museumsplatz

Winterthur nennt sich „Stadt der Museen“, und das ist wahrlich keine Übertreibung. Eher noch bescheiden ausgedrückt. Denn die Mehrzahl der 16 Museen besitzt ausgesprochen gute Sammlungen, und einige davon haben zweifellos internationale Klasse. Drei von ihnen sind jedoch schlichtweg aufregend, einzigartig, erstrangig: die Villa Flora und die beiden Sammlungen Oskar Reinhart.

Die Villa Flora ist eines der schönsten Kunstmuseen der Welt: Im ehemaligen Privathaus von Hedy und Arthur Hahnloser-Bühler werden dem Publikum seit 1995 in Wechselausstellungen Teile von deren hochkarätiger Privatsammlung zugänglich gemacht: Neben der jungen Schweizer Kunst des frühen zwanzigsten Jahrhunderts ist vor allem die Gruppe der „Nabis“ mit Pierre Bonnard, Félix Vallotton und Edouard Vuillard repräsentiert; außerdem die „Fauves“ mit Henri Matisse, Henri Manguin, Georges Rouault und Albert Marquet. Die Gemälde dieser beiden Künstlergruppen sind eingebettet in eine Reihe von Werken großer Maler des neunzehnten Jahrhunderts, die als ihre Lehrmeister gelten: Gauguin, Odilon Redon, Manet, Renoir, Toulouse-Lautrec, Cézanne, van Gogh.

Schweiz / Winterthur / Villa Flora

Villa Flora © Winterthur Tourismus

Das Eindrucksvollste an der Villa Flora freilich ist ihr Gesamteindruck, die vollkommen erhaltene Privatatmosphäre dieses Museums. Was einst den Zauber des Unzugänglichen besaß, das nur einem ausgewählten Kreis von Freunden der Familie gezeigt wurde, ist nun zwar öffentlich, doch blieben die Räume und ihr Interieur weitgehend erhalten. In der Kombination von Wohnung und Ausstellung erlebt man das großbürgerliche Kunstgefühl einer inzwischen vergangenen Epoche nach. Ein Gesamtkunstwerk, das sich zudem noch dynamisch präsentiert: Da in den beschränkten Räumlichkeiten die gesamte Sammlung nicht gezeigt werden kann, wird der Schwerpunkt der Ausstellung Jahr für Jahr verändert.

Die Sammlung Oskar Reinhart „Am Stadtgarten“ konzentriert sich auf die deutsche, schweizerische und österreichische Malerei des neunzehnten Jahrhunderts und bietet Werke und ganze Werkserien der Extraklasse. Ein Höhenweg der großen Namen aus Deutschland, die alle mit mindestens einem halben Dutzend Gemälden vertreten sind: Adolph von Menzel, Spitzweg, Böcklin, Leibl, Hans von Marées und Anselm Feuerbach. Die Werke von Hans Thoma sind kaum zu zählen; dazu Slevogt, Lovis Corinth, Liebermann und natürlich Caspar David Friedrich, dessen „Kreidefelsen auf Rügen“ das bekannteste Stück der Sammlung ist. Ein zweites Schwergewicht liegt auf den Schweizer Künstlern, die ebenfalls mit vielen und hochklassigen Werken vertreten sind: kaum Einzelstücke, sondern fast ausschließlich Werkreihen, die stilistisch und thematisch zusammenpassen.

Einmal in Winterthur, sollte man auch die Sammlung Oskar Reinhart „Am Römerholz“ nicht auslassen. Zwar ist dort in der Regel keine Sonderschau zu sehen, denn das Museum konzentriert sich auf die eigene Sammlung, die allerdings keinerlei internationalen Vergleich scheuen muss. Vor allem mit Hilfe des grandios gestalteten Gesamtkatalogs, der die mehr als zweihundert Werke der Sammlung in Wort und Bild ausführlich behandelt, wird ein Gang durch das Museum zu einem kunstgeschichtlichen Erlebnis vom Feinsten. Dank einer wissenschaftlich fundierten und doch sprachlich zugänglichen Analyse und aufgrund der übersichtlichen Gestaltung und der fabelhaften Abbildungen sämtlicher Werke wendet sich dieses Buch nicht nur an Fachleute.

Die Ausstellung im ehemaligen Wohnhaus des Winterthurer Unternehmers Oskar Reinhart, einem der bedeutendsten Kunstsammler des 20. Jahrhunderts, legt das Schwergewicht auf die französische Malerei des 19. Jahrhunderts, wobei von Künstlern wie Watteau, Poussin, Daumier und Delacroix gleich ganze Werkserien ausgestellt sind. Exquisit ist der Aufmarsch der Impressionisten: Cézanne, Camille Corot und Renoir bilden mit zahlreichen Gemälden das Rückgrat dieser Abteilung; Monet, Manet, Pisarro, Sisley und auch Gauguin sind mit ungewöhnlichen Einzelstücken vertreten. Ergänzt wird die Ausstellung durch verschiedene Werke alter Meister, in denen Oskar Reinhart eine formale Verwandtschaft zum französischen Kern seiner Sammlung ausmachte: El Greco, Goya, Pieter Bruegel, Lukas Cranach. Ein großartiges Porträt aus Picassos blauer Periode ist das Modernste, zu dem sich der Mäzen durchringen konnte. So blieb seine Sammlung eine abgerundete, in sich geschlossene Einheit.

In den Hallen einer ehemaligen Fabrik stehen dem einzigen Fotomuseum der Deutschschweiz weitläufige Ausstellungsräume zur Verfügung. Bisher fanden hauptsächlich international beachtete Sonderausstellungen statt; jetzt ist außerdem ein Teil des bundeseigenen Bestandes an Fotografien nach Winterthur transferiert und bildet den Grundstock einer permanenten Sammlung. Ein Ort, der auf überzeugende Weise die Fotografie als Kunst präsentiert.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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