Schleusen, Wind und Lagerfeuer

Mit dem Kajak unterwegs auf dem schwedischen Dalsland-Kanal

Text und Fotos: Michael Hennemann

254 Kilometer lang ist der Dalsland-Kanal, aber nur zehn Kilometer dieser Wasserstraße sind von Menschenhand geschaffen. Der Rest führt durch eine naturnahe Seenlandschaft mit oft unbewohnten Ufern. Er ist leicht zu befahren, und auf der Strecke des eigentlichen Kanals ersparen Schleusen anstrengendes Umtragen. Auch wenn es im Sommer voll werden kann, lässt sich am Abend ein stiller Lagerplatz finden.

Schweden Dalsland Kanufahrer

Der Traum des Schweden-Paddlers: Natur pur

Vor uns sucht sich ein Canadier schlingernd seinen Weg. Das Boot taumelt im Zick-Zack über den Lelång, von links nach rechts und wieder zurück. Die zwei Paddel-Novizen hätten sich kaum einen ungemütlicheren Tag für ihr erstes Kanu-Abenteuer aussuchen können. Grau verhangen liegt der Himmel über dem See, es regnet ununterbrochen und der Wind treibt unangenehme Wellen vor den Bug. Langsam holen wir auf. Je deutlicher das Bild der triefnassen Canadier-Fahrer vor uns wird, desto glücklicher bin ich, dass wir mit Kajaks unterwegs sind. Die Spritzdecken schützen uns vor dem Regen, nur der Oberkörper wird nass.

Mit Nils Holgersson durch Dalsland

Schon als wir unsere Naturvårdskort, die Eintrittskarte in Schwedens Natur – mit der Gebühr werden die Serviceeinrichtungen entlang der Kanuwanderstrecke finanziert – an der Kanuzentrale in Bengtsfors kauften, wurde unmissverständlich der Takt vorgegeben, zu dem die Musik auf dem Dalsland-Kanal spielt: Dicht an dicht quetschen sich die geparkten Autos der Paddler, darunter viele mit deutschem Kennzeichen.

Schweden Dalsland See

Unterwegs in der Weite der schwedischen Gewässer

Dass wir nicht alleine auf dem Dalsland-Kanal unterwegs sein würden, war von vornherein klar. Aber was wir dann am ersten Abend erlebten, hatte ich nicht erwartet. Als wir am Unterstand am Ostufer des Lelång anlegen, treffen wir eine Gruppe von fünf Jugendlichen, die heute in Gustavsfors zu einer einwöchigen Tour gestartet sind und die aufgrund des Wetters gleich den ersten Rastplatz angelaufen haben. Der Weg bis hierher war kurz, die Biervorräte der Jungs sind deshalb noch entsprechend groß, und aus dem mitgeschleppten Kassettenrekorder dröhnt laute Musik. Mit steigendem Alkoholkonsum wird die Unterhaltung stumpfsinniger, aber nicht leiser.

Nach einem kurzen „Hallo" verschwinden wir schnell im Zelt, denn nach Party ist uns nicht zumute. Diese Erfahrung sollte nicht die einzige bleiben, denn offenbar haben sich sämtliche Pfadfinder und alle weiteren Jugendgruppen Deutschlands die beliebten Kanugebiete in Dalsland und Värmland als Ort zur Verwirklichung ihrer erlebnispädagogischen Ziele auserkoren.

Schweden Dalsland Zelt

Kanufahrers Abendmahlzeit

Um meinen Unmut zu besänftigen, stecke ich meine Nase in den Urvater aller Schweden-Reiseführer, Selma Lagerlöffs "Nils Holgersson". Dort erfahre ich, wie die dalsländische Landschaft der Legende nach entstanden ist: Zu einer Zeit, in der das Land nördlich des Vänern unfruchtbar und dort nichts als kahle Berge und Geröll vorzufinden waren, lebte südlich dieses Landstrichs ein Riese, dessen beiden Söhne sich ständig darüber zankten, wer von ihnen der Bessere sei. Um diesen Streit zu schlichten, schickt der Vater die Söhne los, um das Land urbar zu machen. So sollen sie zeigen, wer von ihnen am meisten taugt. Die Söhne verlassen den Vater, und mit ihren Riesen-Pflügen ziehen sie die Furchen als Grundlage für prächtige Täler mit vielen Seen.

Den inneren Schweinehund besiegen

Am nächsten Tag, es regnet immer noch beständig, dauert es eine Weile, bis der sprichwörtliche innere Schweinehund überwunden ist und wir uns aus den kuscheligen Schlafsäcken rappeln. Dann aber geht es besser als erwartet. Der Wind hat gedreht, ist fast eingeschlafen. Auf den lang auslaufenden Wellen surfen wir bis Lennartsfors am Nordende des Lelång. Dort wartet ein Mann auf uns, der ein aus dem Bilderbuch entsprungener Seemann zu sein scheint: Weißer Rauschebart und gelber Friesennerz – eigentlich fehlt nur noch die qualmende Pfeife im Mundwinkel, um das Bild komplett zu machen.

Er ist aber kein Seebär, sondern der Schleusenwärter, der uns in die erste Schleusenkammer winkt. Er wirft uns ein Seil zu, drückt ein paar Knöpfe auf seinem riesigen Schaltpult, das Tor hinter uns schließt sich langsam und vor uns öffnet sich ein Schott. Weißschäumend schießt das Wasser von oben ein, hebt uns langsam höher, bis wir in die nächste Schleusenkammer einfahren können. Der Vorgang wiederholt sich zweimal, dann sind wir um insgesamt 7,5 Meter auf das Niveau des Foxen geklettert. Bevor wir ablegen, hält uns der Schleusenwärter einen Beutel hin, der ähnlich einem Obstpflücker oder einem Klingelbeutel in der Kirche an einem langen Stiel befestigt ist, damit wir die Schleusengebühr bezahlen können.

Schweden Dalsland Schleuse

In der Schleuse wird es spannend

Wenige Meter hinter der Schleuse erreichen wir den Hafen von Lennartsfors. Der Steg wurde offensichtlich für Segelboote konstruiert, denn für Kajaks ist er viel zu hoch. Wir schaffen es trotzdem, an Land zu gehen, ohne nass zu werden, und suchen den örtlichen Supermarkt auf, um unseren Schokoladenvorrat aufzustocken. Da auch eine 14-köpfige Kanu-Reisegruppe damit beschäftigt ist, dort ihren Kalorienbedarf zu decken, beeilen wir uns mit der Weiterfahrt, denn die bisherige Erfahrung hat uns gelehrt, dass einen freien Lagerplatz nur der bekommt, der früh ankommt. Unsere Entscheidung wird mit einem traumhaften Zeltplatz auf der Insel Getön im See Foxen belohnt. Wir müssen ihn mit niemandem teilen und bleiben alleine.

Trotz Regen am wärmenden Lagerfeuer

Am nächsten Tag überrascht uns ein heftiger Schauer, als wir über die Fölsbyviken paddeln. Wir schaffen es gerade noch, am Zeltplatz Nummer 35 "Uddarna" unter die riesige aufgespannte Zeltplane einer Familie zu flüchten, die hier ihren Urlaub verbringt. Mutter und Töchter kneten Bannock-Teig, Vater schürt das Feuer, die größeren Jungen angeln und die Kleinsten buddeln Abflussrinnen für das Regenwasser, das an den Ecken der verspannten Plane zu Boden schießt. Als eine Gruppe von sechs weiteren Canadiern anlegt, ist es mit Papas Gelassenheit vorbei. Seine Arme weisen in einem Halbkreis auf die Zelte, die überall um den Lagerplatz herum im Wald verteilt sind und meint unwirsch: "Hier übernachten schon 17 Leute – ohne Euch!"

Schweden Dalsland Lagerplatz

Ende gut, alles gut: ein wunderbarer Lagerplatz

Die Neuangekommen gucken ob dieser Grobheit etwas verdattert, müssen aber einsehen, dass hier wirklich kein Platz mehr für zwölf weitere Personen zu finden ist und ziehen davon. Als der Regen etwas nachlässt, verabschieden wir uns von der Familie, paddeln noch das kurze Stück bis Fölsbyn und setzen unsere Tour nach dem Umtragen unseres Bootes im Blomsjön fort. Auf einer Felsnase finden wir einen Traumunterstand für die Nacht. Die angezündeten Holzscheite qualmen zunächst mehr, als dass sie brennen. Dann aber trocken sie schnell, und die Flammen lecken hungrig am trockenen Holz, bis vor uns ein wärmendes Lagerfeuer lodert.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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