Pures Russland und doch irgendwie anders

St. Petersburg: eine Traumstadt mit Vergangenheit

Text und Fotos: Alexandra Heil

St. Petersburg ist der Inbegriff russischer Kultur und doch irgendwie Russland-untypisch. Die nördlichste Millionenstadt, die jüngste europäische Großstadt, die Stadt mit den meisten Revolutionen: St. Petersburg ist die Stadt der Superlative, von überwältigender Größe und beeindruckender Schönheit. Aber St. Petersburg ist auch Zeugnis harter Gründerjahre, vom Sieg über Napoleon, vom Aufstand der Dekabristen, der aufsteigenden bürgerlichen Schicht Anfang des letzten Jahrhunderts und den drei Revolutionen. Sie ist die Stadt, in der Russlands bekannteste Literaten, Künstler, Komponisten und Gelehrte lebten und studierten. Alexander Puschkin zum Beispiel, Peter Tschaikowski oder Michail Lomonossow. Wie keine andere russische Stadt war St. Petersburg immer schon buchstäblich tonangebend in der Musikgeschichte Russlands. Und ist es heute noch. St. Petersburg ist ein Stück pures Russland, aber doch irgendwie anders.

Russland Petersburg Kathedrale

St. Petersburg wurde 1703 von Peter dem Großen gegründet - er wollte sich damit ein Fenster zu Europa errichten. Das kann man sehen, denn das „Venedig des Nordens“, wie St. Petersburg auch genannt wird, ist in seinem Zentrum frei von Stalins Schnörkelei-Architektur und modernen Betonklötzen, es hat einen ganz eigenen, elegant-dekorativen Stil. Überwiegend jedenfalls. Wer sich von den Hauptattraktionen und Prachtbauten der Stadt entfernt, lernt St. Petersburg auch noch von einer anderen Seite kennen: schmutzig, zerrüttet, ungepflegt.

Russland Petersburg Metro

Öffentlicher Prunk im Metro-Tunnel

Nur wenige Meter von den Touristenpfaden entfernt zeigt sich St. Petersburg authentischer, verletzlicher. Hier sieht man plötzlich, dass es mehr ist als repräsentative Prunkstadt, hier wird gelebt und gewohnt. Von den Häusern bröckelt der Putz, die Dächer kaputt, die Fassaden ungepflegt. „Kommunalka“ ist das Stichwort, vier Familien in vier Zimmern, die sich Bad, Toilette und Küche teilen. In einer solchen Gemeinschaftswohnung zu leben, ist in St. Petersburg nicht ungewöhnlich. Die Kommunalka hat ihren Ursprung in der Post-Revolution, als die Menschen zu Tausenden in die Stadt drängten. Aus der Notlösung wurde eine normale Lebensform, und nur ein kleiner Teil der Menschen hat bis heute den Sprung in eine Neubauwohnung am Stadtrand geschafft. St. Petersburg verliert dadurch aber nicht an Charme, im Gegenteil: die sichtbare Menschlichkeit nimmt der Stadt ihre Arroganz - und macht sie dadurch lebendiger, vielseitiger, liebenswerter.

Zeitzeugen, wohin man sieht

Wer sich einen Überblick über die Stadt verschaffen will, klappert zunächst einmal die bedeutendsten Stationen ab. Dazu gehört der Schlossplatz oder Alexanderplatz als der größte und imposanteste Platz, der zugleich eine Art architektonische Krone der Stadt ist: Im Norden die einstige Zarenresidenz, der barocke Winterpalast des italienischen Architekten Rastrelli, im Süden das klassizistische Generalstabsgebäude mit seinem Triumphbogen, in der Mitte die Alexandersäule zu Ehren Alexanders und seiner Armee - Zeitzeugen, wohin man sieht.

Russland Petersburg Denkmal

Zeitzeugen überall: Denkmäler, goldene Kuppeln ...

Dazu gehört auch die Eremitage mit dem unaussprechlichen Namen Gosudarstwennyj Ermitasch, die neben dem Pariser Louvre und dem Metropolitan Museum in New York zu den größten Kunstmuseen der Welt zählt. Die Eremitage beherbergt fast drei Millionen Exponate von der Prähistorie bis zur Moderne. Kostbare Originale von da Vinci, Cézanne, Picasso, Monet und van Gogh, aber auch Edelsteine, Uhren, Gold, Silber, Porzellan, Statuen, antike Vasen und eine mehr als 90.000 Stück große Münz -und Medaillensammlung. Wer alles sehen möchte, muss weit mehr als einen Tag einplanen.

Russland Petersburg Park

... und pompöse Schlossgärten

Zu den imposantesten Sehenswürdigkeiten gehört auch die halbrund konzipierte Kasaner Kathedrale am Newski Prospekt, der fast fünf Kilometer langen Flaniermeile zwischen der Admiralität und dem Alexander-Newskij-Kloster. Die Kasaner Kathedrale beherbergt das Museum der Religionsgeschichte, in einem ihrer Flügel finden regelmäßig Gottesdienste statt.

Wo alles begann

Russland Petersburg Schiffsdenkmal

Wer sich schon mal in der Nähe befindet, sollte sich auch das Alexander-Newskij-Kloster und die angeschlossenen Klosterfriedhöfe ansehen. Im Gegensatz zu mitteleuropäischen Friedhöfen haben diese Stätten nichts Beklemmendes - sie strahlen eher eine majestätische Eleganz aus und zeigen zum Teil wunderschöne, künstlerische Skulpturen. Kunstinteressierten wird auch der Sommergarten Letnij sad gefallen: Der älteste und zugleich schönste Park der Stadt besaß einst 250 Marmorstatuen, heute sind es immerhin noch 89. Die Skulpturen sind aber nur im Sommer zu sehen, denn im Winter werden sie unter Holzverkleidungen vor Kälte geschützt - ein „Sommergarten“ eben, wie der Name schon sagt.

Weiterhin sehenswert ist die Peter-und-Paul-Festung, mit der alles begann: am 16. Mai 1703 fiel der erste Spatenstich, seither gilt dieser Tag gilt als der Gründungstag der Stadt. Man betritt die Festung vom Kamennoostrowskij Prospekt über die Johannesbrücke durch das äußere Johannestor und den Paradeeingang, das Petertor. Geradaus geht es zur Peter-Paul-Kathedrale, auf deren Vorplatz sich ein mit Säulen und Skulpturen geschmückter Pavillon befindet: das ehemalige Bootshaus Peters I.

Russland Petersburg

Prunk auch im Freien

Gegenüber der Kathedrale befindet sich der klassizistische Münzhof, dahinter liegt die Trubezkoj-Bastion, die seit 1718 als Gefängnis diente. Der erste - und vielleicht wichtigste - Gefangene war der Zarewitsch Alexej, der Sohn Peters I., der sich gegen den Vater aufgelehnt hatte und hier starb. Heute ist die Bastion ein Museum zur Dokumentation des damaligen Gefängnislebens.

Die meisten Brücken der Welt

Russland Petersburg Springbrunnen

Ein weiteres Highlight der Stadt ist die Isaaks-Kathedrale, die mit ihrer gigantischen Goldkuppel über allen anderen Schönheiten der Stadt dominiert. Die größte Kirche Russlands wurde von 1810 an in mehr als vierzig Jahren erbaut und sollte die Position Russlands als neue europäische Großmacht zum Ausdruck bringen. Sie gehört zu den prachtvollsten Bauwerken des neunzehnten Jahrhunderts und ist nach dem Petersdom in Rom und der St. Paul's Cathedral in London der drittgrößte Kuppelbau der Welt.

Unweit von ihr liegt die berühmte Blaue Brücke, die breiteste Brücke der Welt - und damit auch der Stadt. Wer sie überquert, muss schon genau hinsehen, denn bei einer Breite von 97 Metern ist sie als Brücke kaum wahrzunehmen. Die „Stadt der Superlative“ hat aber nicht nur die breiteste Brücke, sondern auch die meisten Brücken der Welt zu bieten: ganze 539 Brücken durchziehen St. Petersburg und seine Vorstädte, davon befinden sich 315 allein in der Stadt.

Ohne sie ginge es auch nicht: St. Petersburg wird von so vielen Flüssen und Kanälen durchzogen, dass die Stadt - geografisch gesehen - letztlich eine Ansammlung von Inseln ist. In den Sommermonaten, nachts, wenn die Straßen in St. Petersburg weniger überfüllt und die meisten St. Petersburger in ihren eigenen vier Wänden sind, wartet die Millionenstadt mit einer ganz besonderen Attraktion auf: Zwischen zwei und fünf Uhr nachts werden die Newa-Brücken geöffnet, um Schiffe von der Ostsee einlaufen zu lassen. Besonders sehenswert ist dieses Schauspiel im Monat Juni, dem Monat der „Weißen Nächte“, in denen der rotgoldene Himmel der Stadt etwas Unwirkliches verleiht. In diesen Nächten schlafen sie nicht - weder die Bewohner der Stadt, noch die Touristen, denn die nur langsam schwindende Sonne lässt einfach keine Dunkelheit aufkommen.

Der Juni gilt deshalb auch als die beste Reisezeit, denn in diesem Monat wird dem Touristen am meisten geboten. Wer St. Petersburg im Winter besucht, wird ebenfalls belohnt: mit schneeweißen Kuppeldächern, mit Puderzucker bestäubten Palästen und märchenhaft verschleierten Prachtbauten. Westeuropäer sollten sich zu dieser Zeit in Wolle, Fell und Pelze hüllen, denn man darf nicht vergessen: wir sind in Russland.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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