So viele Ikonen, so viel Joghurt

Fahrradtour in der Grenzregion zwischen Rumänien und Bulgarien

Text und Fotos: Franz Lerchenmüller

Rumänien Donau Nicolint

So fühlt sich ein Brötchen kurz vor Backschluss: Heiße Luft von oben, von unten, wabernde Hitze rundherum, Glutschwaden, die die Haut rösten und das Innerste zum Brodeln bringen. Aber ein Brötchen schwitzt nicht, ein Brötchen japst nicht, ein Brötchen muss vor allem nicht strampeln wie wir, diesen einfach nicht endenwollenden Pass hinter Naidas hinauf. Doch schließlich, kurz bevor wir endgültig durch und fertig sind, ist die Spitze erreicht, als Belohnung folgt eine lange, luftige Abfahrt in weiten Kehren - und da liegt sie plötzlich vor uns.

Ein langgezogener, silberner Spiegel in einer welligen Ebene, gerahmt von Pappeln und einer Hügelkette in Blau, unbewegt, fast unwirklich: Die Donau. 781 Kilometer liegen hinter ihr, seit sie sich an der Quelle aufgemacht hat, 1075 muss sie noch bis zur Mündung im Schwarzen Meer zurücklegen und wird dabei Rumänien erst von Serbien, später von Bulgarien und auch der Ukraine trennen. Beinahe glaubt man, sie stehe still. Ein Eindruck, der nicht ganz unrichtig ist, denn der Fluss ist hier, fast bis zurück nach Belgrad, eher See, angestaut vom Kraftwerk "Eisernes Tor" hinter Orsova, etwa 150 Kilometer weiter flussabwärts. Und bis dahin folgen wir ihm.

Rumänien Donau Der Fluss

Donau, so blau ...

Die Tage im Banater Bergland liegen hinter uns. Wie ein zu dekorativen Falten zusammengeschobener Quilt breitet das Land sich im Südwesten Rumäniens aus: Ein Flickwerk aus schmalen Wiesen, verkrauteten Weizenäckern und dem gelbschwarzen Potpourri der Sonnenblumenfelder. Rostrote Sauerampferdolden ragen dazwischen hervor, grüne Maislanzen und die dunkelbraunen Kratzbürsten der Disteln. Das kommt dekorativ daher, ist aber bloß Verschwendung: Nach der Aufteilung der Kolchosen werden viele Felder einfach nicht mehr bestellt, weil den Neueigentümern das Know-How oder die Maschinen fehlen, Scheunen und Maschinenhallen rotten vor sich hin.

Rumänien Donau Dorfkirche

Dorfidylle

Die Sonne begleitet uns. Die Sonne brennt, die Sonne sengt, die Sonne unternimmt alles, was Sonnen zu tun vermögen, um Radfahrern den Schweiß aus den Poren und die Gier nach Bier ins Blut zu treiben. Auch jetzt, am Ende der Welt, im Grenzgebiet, wo die Donau aus Serbien kommend zum erstenmal rumänischen Boden bespült, wird es Zeit für ein kaltes "Timisoreana". Auf der Terrasse des Restaurants "Apus de soare" in Baizas stopft ein vor Öl und Stolz glänzender Vater seine rotgelockte Tochter mit Eis. Vier Halbwüchsige sitzen nebeneinander aufgereiht am Fluss und angeln, Jungs, von denen man gern wissen würde, was sie denken und wie sie den Rest Europas von hier aus sehen. Und wir vertreiben mit langen, durstigen Schlucken das Brötchen-Endstadium-Gefühl.

Gänseherden und Eselsgespanne

Dort drüben liegt Serbien, und das erwies sich für die Menschen hier als Glücksfall. Denn dass die Straßen in Divici und Belebresca sauber sind und viele Fassaden frisch gestrichen, und vor den Häusern Tagetes und Zinnien blühen, hat auch mit Serbien zu tun: Als das Embargo über Jugoslawien verhängt wurde, versorgten die Fischer die Nachbarn am anderen Ufer nachts heimlich mit Treibstoff - gegen gutes Geld. Auch dabei gewesen, alter Mann im Blaumann? Ja du, der du gerade dein Netz zum Trocknen ausbreitest und so zufrieden schmunzelst?

Rumänien Donau Gänseherde

Im Gänsemarsch

Rumänien ist uns vertraut geworden in diesen letzten Tagen: Die Gänseherden in den Dörfern, die Eselsgespanne mit den lederhäutigen Alten, die mit zahnlosen Mündern lachen, wenn wir ihnen zuwinken, die Wegränder, die mit Schafgarbe, Hundskamille, Wegwarte und wildem Löwenmaul noch echte Wegränder sind. Radfahren ist anstrengend bei 40 Grad im Schatten. Zudem betrachten rumänische Autofahrer Radler gemeinhin als Objekte, die es möglichst schnittig abzudrängen und anschließend mit offenem Mund im Rückspiegel zu bestaunen gilt. Dennoch wird die Reise zu einer aufregenden Mischung aus Fahren und Sehen, vollgepackt mit Eindrücken bis obenhin.

Rumänien Donau Pferdegespann

Die anderen Verkehrsteilnehmer

In Oravita klettern wir im ältesten Theater des Landes auf den Schnürboden und bestaunen ehrfürchtig die Sammlung alter Notenblätter. Schon erfreulich, dass musikalische Preziosen wie "Tapfere kleine Soldatenfrau" oder "Stellt´s meine Ross in´n Stall" noch nicht unwiderbringlich dem Vergessen anheim gefallen sind. Vor Sasca Montana stoßen wir auf Ruinen, so stilvoll, dass sie an die Überreste eines Königspalasts der dakischen Ureinwohner erinnern - und sich nach Befragen der Dörfler doch nur als Lehmmauern eines ehemaligen Schweinestalls entpuppen.

Tschechische Melancholie

Im Kloster "Sfanta Nera" führt uns die kleine Oberin Siluana durch die nagelneue Kirche. Reich geschnitzt der Altar, alles aus Eiche gezimmert, errichtet von Handwerkern aus der Moldau, weshalb der Bau auch an die dortigen Klosterkirchen gemahnt, die wiederum eine vage Ähnlichkeit mit norwegischen Stabskirchen aufweisen. Seit drei Jahren leben die 22 Schwestern hier, alle sind sie um die 30. Sie sammeln Heilkräuter für einen Arzt in Bukarest und pflanzen Ringelblume und Salbei an. Und das Beet mit den Cosmea? „An denen freuen wir uns einfach", sagt die junge Frau mit dem beseligten Blick. Und lächelt wenigstens einmal ganz weltlich.

Rumänien Donau Schieben

Schieben ist angesagt

Nach Sfinta Elena schließlich, dem Dorf, in dem nur Tschechen leben, führt bloß ein langer, steiniger Weg, was unverdrossenes Fahrradschieben der einen, Meuterei der anderen Hälfte der Gruppe nach sich zieht. Rock Francisc, der zwölfjährige Sohn des Schuldirektors, zeigt uns, sind ja Ferien, die 1998 erbaute Schule. Helle Räume, eine ordentliche Bibliothek, vier Computer - die Rumänen lassen sich ihre Minderheitenpolitik immer noch etwas kosten. Und dies, obwohl Sfinta Elena ein Dorf im freien Fall ist: Von den 800 Einwohnern 1990 ist nicht einmal die Hälfte übriggeblieben. „In Tschechien ist das Leben einfach leichter", sagt Jozef Beck. Vor zehn Jahren kurvte er noch als Taxifahrer durch New York, dann trieb das Heimweh ihn dahin zurück, wo er geboren wurde. Jetzt serviert er im einzigen Laden Pilsner Urquell vom Fass, garniert mit einer gehörigen Portion tschechischer Melancholie.

Rumänien Donau Felswände

Die Donau frisst sich durchs Gebirge

Unten schiebt und wälzt sich die Donau bedächtig zwischen vorgeschobenen Hügeln hindurch, die immer mehr in Felsen übergehen. Graureiher schwingen sich auf, ein Fischer nimmt auf seinem Arbeitstisch im knietiefen Wasser einen Wels aus, und manchmal ragen aus den Wellen noch die dürren Stämme einstiger Wälder, die der Stausee geschluckt hat. Menschenleer ist das Land hier im Süden, Autos klappern auf den löchrigen Straßen allenfalls im Halbstundentakt vorbei, wir genießen Einsamkeit als verschwenderischen Luxus: Weit vom andern entfernt denkt, träumt, singt jeder vor sich hin. Aber fehlt diesem Fluss nicht irgendetwas? Schiffe! Schlepper und Boote lassen sich an einer Hand abzählen, nur einmal gleitet nachts ein Kreuzfahrer hellerleuchtet und lautlos über den Fluss - Fliegender Holländer aus einem fernen Land namens Luxus.

Blüten des Nationalismus

Und dann ist da plötzlich Disneyland in Rumänien: Schweigend und mit steinerner Miene starrt Dakerkönig Dezebal nach Süden, von woher einst das Unheil kam. Freilich fiele ihm alles andere auch schwer, denn der Kopf des Nationalhelden, der im ersten Jahrhundert gegen die Römer kämpfte, ist aus Fels gemeißelt. Ein Privatmann bezahlt die Steinmetze, die seit 1998 an dem 130 Meter hohen Monument herumklopfen - befremdliche Blüten treibt der Nationalismus in einem Land, das seine Bewohner nicht anständig zu versorgen vermag.

Rumänien Donau Nationalheld

Nationalheld in Stein gemeißelt

Die Donau kümmert das nicht. Sie funkelt und glitzert fröhlich in der Morgensonne, schimmert vornehm im silbrigen Mondlicht, kräuselt sich neckisch und plappert auch mal nur so vor sich hin. Doch sie kann auch anders: Plötzlich explodiert der Himmel in einem trockenen Krachen, als wolle er die brütende Hitze mit diesem einen Schlag wegfegen. Wind jagt Wellen flussaufwärts und setzt ihnen Schaumkronen auf und dann stürzen Fluten herunter als schütte jemand kübelweise Tinte aus den schwarzblauen Wolken. Zwei Stunden später ist alles vorbei.

Rumänien Donau Pause

Pause mit Donaublick

Hinter Orsova, befreit von Felsklammern und den Staumauern der Eisernen Tore, nimmt die Donau Fahrt auf. Fabriken stehen jetzt am Ufer, Ansiedlungen wachsen ineinander, die Zahl der Schiffe nimmt zu. Es wird langweilig am Fluss. Zeit, ihn auf der Fähre zwischen Calafat und Vidin zu überqueren. Zeit, Landschaft, Land und Leute zu wechseln.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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