Reiseführer Rom

Santa Maria del Popolo

Der Ursprung dieser, wie viele meinen, schönsten Kirche der römischen Frührenaissance, liegt im frühen 12. Jahrhundert. Papst Paschalis II. soll sie zum Dank für den erfolgreichen Abschluss des ersten Kreuzzuges gegründet haben. Auch gab es eine Verbindung zu einer Legende, die damals in aller Munde war: Dort, wo das Kirchlein entstehen sollte, wuchs ein Nussbaum, in dem der Geist des geächteten Kaisers Nero sein Unwesen trieb. Mit dem Fällen des Baums entledigte man sich des lästigen Quälgeistes und machte sich an den Bau der Marienkapelle. 1227 wurde sie von Augustinern übernommen, die hier ein Kloster gründeten. Ihr heutiges Aussehen erhielt die Kirche nach 1472 durch den Umbau in eine dreischiffige Basilika. Ihr Stifter war Papst Sixtus IV., eigentlich Francesco della Rovere, ein wahrer Renaissancefürst, Meister ungezügelter Vetternwirtschaft (allein sechs Neffen ernannte er zu Kardinälen), ein Kriegstreiber, Intrigant und verschwenderischer Kunstmäzen in einer Person (der Ponte Sisto und die Sixtinische Kapelle tragen seinen Namen).

Rom: Santa Maria del Popolo

Eine zehnstufige Freitreppe führt zu den Portalen hinauf. Sie strukturieren die mit hellem römischen Travertin verkleidete Fassade der 1480 geweihten Kirche. Gian Lorenzo Bernini nahm Mitte des 17. Jahrhunderts einige Retuschen an der Fassade vor, so ließ er das Maßwerk aus den Fenstern entfernen, fügte die beiden Viertelkreisgiebel und das Chigi-Wappensymbol auf dem Giebel (stilisierte Berggipfel) hinzu, rahmte das große Rundfenster im Obergeschoss. Wie Chigi-Papst Alexander VII. vergaß auch der della Rovere-Papst Sixtus IV. nicht, den Ruhm der eigenen Sippschaft in Stein zu verewigen: die Eichengirlanden (rovere = Eiche) zu beiden Seiten des Rundfensters erinnern an den Stifter.

Das Langhaus mit Querhaus und begleitenden Kapellen an den beiden Seitenschiffen ist durch Kreuzgratgewölbe überdeckt und durch Arkaden unterteilt. Es mündet in eine Vierung (wo Langhaus und Querhaus sich durchdringen). Aus der Vierung fällt von oben Licht in das Kircheninnere. Dafür verantwortlich ist die mit großen Fenstern versehene achteckige Mauertrommel (Tambour), die von einer Kuppel gekrönt wird. Hinter der Vierung erstreckt sich der von Bramante später verlängerte Chor. Im Boden eingelassene mittelalterliche Grabplatten erinnern daran, wie weit die Ursprünge der Kirche zurückreichen.

In den steinernen Fliesen von Santa Maria del Popolo sind zahlreiche Grabplatten eingelassen, unter denen vor Zeiten Kleriker, Gelehrte und fromme Wohltäter bestattet wurden. Die Schritte der Kirchenbesucher haben das flache Linienwerk der Reliefs abgetreten und nur die tieferen Gravuren übriggelassen: die Umrisse einer Figur, einzelne Gewandfalten, ein Wappen, einen Lorbeerkranz. Manche Gestalten sind ganz in den Stein zurückgegangen. Aber anderswo sind noch die Augenhöhlen sichtbar, groß und geschwärzt vom Staub der Zeiten, hohe Stirnen, der schmale Strich der Lippen, eine Mitra, ein Buch. Als zeige sich im Verschwinden, nachdem die individuellen Züge ausgelöscht sind, noch einmal der Typus und was ihn groß machte.

(Joachim Fest, Im Gegenlicht. Eine italienische Reise, 1988 und weitere Auflagen)

Von den erwähnten Kapellen in den Seitenschiffen verdienen wenigstens zwei eine ausführliche Beschreibung. So die zweite links nahe dem Hauptportal, die Cappella Chigi, ein Meisterwerk Raffaels für seinen Vertrauten, den Bankier Agostino Chigi, dem er schon mit der Ausmalung der Villa Farnesina zu einem Schmuckstück verholfen hatte. Es entstand hier in den Jahren 1513/16 ein überkuppelter, quadratischer Zentralbau mit einer überaus reichhaltigen Ausstattung, wie den kannelierten korinthischen Pilastern und den antikisierenden, pyramidalen Grabmälern für die Brüder Agostino und Sigismondo Chigi. In den Rundbogennischen wurden die Statuen von vier Propheten aufgerichtet, zwei davon, nämlich Jonas und Elias, sind das Werk des Raffaelschülers Lorenzetto. Die beiden anderen (Habakuk und Daniel) entwarf Jahrzehnte später Bernini. Prachtvolle Stuckarbeiten fallen ins Auge und in der Kuppel die Mosaiken. In der Fensterzone gibt es Fresken von Raffaels Nachfolger Francesco Salviati zu sehen, der Schöpfung, Sündenfall und die Jahreszeiten thematisiert und über dem Altar „Die Geburt der Jungfrau Maria“ von Sebastiano del Piombo, einem Freund Michelangelos.

Blick in die Kuppel der Chigi-Kapelle

Blick in die Kuppel der Chigi-Kapelle
Foto: © Mirek Hejnicki - Fotolia.com

Genau gegenüber liegt im nördlichen Seitenschiff die Cappella Cybo, die ausgestattet wurde in den Jahren 1682/87 von dem Bernini-Schüler Carlo Fontana. Sie ist berühmt für ihre großflächige, verschiedenfarbige Verkleidung mit kostbaren Marmorsorten, mit Serpentin und Jaspis. Die Grabkapelle des Kardinals Alderano Cybo wirkt wie ein kleine Kirche in der Kirche. Der quadratische Zentralbau wird von einer Kuppel gekrönt, acht Doppelsäulen betonen den Hauptraum. Sie tragen zugleich einen Teil der Kuppellast. Das Altarbild „Die unbefleckte Empfängnis“ wurde 1689 von Carlo Maratta gemalt.

Hinter dem barocken Hochaltar hat Donato Bramante in den Jahren 1503/09 mit der Erweiterung des Chors auf kleiner Fläche ein geschickt gegliedertes Meisterstück der Hochrenaissance voll wuchtiger Mauerschwere geschaffen.

Aber mehr als die Kapellen der Chigi und Cybo, die luftigen Fresken Pinturicchios oder Bramantes geniale Chorgestaltung fesselt die Besucher etwas anderes. Das Faszinosum verbirgt sich in der kleinen Kapelle der Familie Cerasi links vom Hochaltar. Tiberio Cerasi war Schatzkanzler von Papst Clemens VIII. Er kam mit dem jungen Caravaggio, der sich so nach dem Heimatort seiner Eltern nannte, eigentlich aber Michelangelo Merisi hieß, überein, zwei Gemälde für ihn anzufertigen. Schon im Jahr nach Vertragsabschluss (1601) waren „Bekehrung des Saulus“ und „Kreuzigung des Petrus“ fertig.

Es sind zwei der bedeutendsten Werke der europäischen Barockmalerei.

(Piazza del Popolo 12)





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