Reiseführer Rom

Kapitol

Er ist wohl der kleinste der sieben klassischen Hügel Roms, doch an symbolischer Bedeutung übertrifft er alle anderen. Hier war in der Antike die militärische, zivile und religiöse Macht konzentriert. Auf den zwei flachen Kuppen des kapitolinischen Hügels, Arx und Capitolium, und in der Senke zwischen ihnen lagen die bedeutendsten Tempel, die Depots, das Staatsarchiv, die Münzstätte und andere prominente Einrichtungen. Es war Roms allerheiligster Bezirk, Schauplatz wichtiger Staatszeremonien, hier endeten die Triumphzüge und deuteten die Auguren den göttlichen Willen.
Nur Spuren von Ruinen erinnern noch an die ferne Glanzzeit, als das Kapitol die  politische und spirituelle Mitte Roms war. Nach einem beispiellosen Niedergang, der das einstige Machtzentrum zu einem „Monte Caprino“ (Ziegenhügel) verkommen ließ, besann sich die römische Bürgerschaft gegen Mitte des 12. Jahrhunderts der früheren Bedeutung und nutzte den Hügel wieder als Sitz der Senatoren, das Stadtparlament tagte hier und es wurde Recht gesprochen – die städtischen Freiheiten stellten sich an diesem symbolträchtigen Ort der päpstlichen Autokratie entgegen.
Der entscheidende Anstoß zur Neugestaltung des Areals kam von Alessandro aus der illustren Adelsfamilie Farnese, seit 1534 als Papst Paul III. Oberhaupt der katholischen Kirche. Er betraute Michelangelo, der sich gerade dem Thema Weltengericht in der Sixtinischen Kapelle widmete, mit der Gesamtleitung des Projekts. Dieser erste große Architekturauftrag in Rom für den genialen Bildhauer, Maler und Baumeister geriet zu einer der großartigsten Schöpfungen der Spätrenaissance.

Das Oval mit dem Reiterstandbild des Kaisers Mark Aurel

Das Oval mit dem Reiterstandbild des Kaisers Mark Aurel
Foto: pixabay


Der Glanz der großen Vergangenheit Roms sollte auf dem Kapitolsplatz unter veränderten Vorzeichen wieder erstehen. Seine neue Bedeutung sah man in der Würdigung des hier verwurzelten antiken Erbes als eines Vorläufers des Christentums. Deshalb liefen die Planungen darauf hinaus, die traditionelle „heidnische“ Orientierung des Areals zum Forum Romanum aufzuheben, den Platz zur christlichen Stadt hin auszurichten und einen neuen stadtseitigen Zugang zu schaffen, der nicht nur „verkehrstechnisch“ sondern auch optisch die Verbindung zum Mittelpunkt der Christenheit herstellte.

Dieser Zugang, die grandiose Rampentreppe (Cordonata), beginnt an der Via del Teatro di Marcello. Sie ist eine Freitreppe mit großflächigen Stufen von geringer Höhe, über die man ohne Mühe hinauf schreiten kann. Zwei Basaltlöwen ägyptischen Ursprungs flankieren die ersten Stufen. Linker Hand führt eine weitere Treppe extrem steil über 124 Stufen hinauf auf die Hügelkuppe Arx, wo früher ein Juno-Tempel stand und die römische Münzstätte arbeitete. Im 13. Jahrhundert entstand an dieser Stelle die Kirche Santa Maria in Aracoeli mit einer strengen romanischen Ziegelfassade. Zwischen den beiden Treppen erinnert ein Bronzedenkmal an den 1354 auf diesem Rasenstück ermordeten Volksführer Cola di Rienzo. Folgt man der Cordonata, rücken antike Skulpturen ins Blickfeld, die sich Wachposten gleich am Rande des Platzes aufgestellt haben: die riesigen Zwillingsstatuen der Rossebändiger Castor und Pollux sowie Konstantin der Große und sein Sohn Konstantin II. Und auch zwei originale Meilensteine von der Via Appia Antiqua kann man hier bestaunen.

Der Kapitolsplatz (Piazza del Campidoglio), den wir nun erreicht haben, wurde vollständig nach Michelangelos Plänen gestaltet. Er war einer der ersten „modernen“ Plätze Roms, der keinen römisch-antiken Vorgänger hat. Obwohl nicht groß, vermittelt er den Eindruck von Weite – ein Effekt seiner trapezoiden Form, die der perspektivischen Verkürzung entgegen wirkt. Drei Palazzi umrahmen den Platz, ohne ihn einzuengen, denn Durchgänge lockern die Front der Fassaden auf. In das Zentrum des Platzes hat Michelangelo ein Oval gelegt, zu dem zwei Stufen hinab führen. Es betont die Zentralachse und gleichzeitig die Mitte des Platzes. Aber das ist noch nicht alles. Das Oval erhielt eine auffallende helle Musterung in Form eines Sterns mit zwölf sich überlappenden Strahlen (Zacken) und man rätselt, ob der Meister auf die zwölf Tierkreiszeichen des antiken Kosmos oder auf die zwölf Apostel anspielen wollte. Die Mitte des Platzes ist übrigens leicht gewölbt. Auf diese Weise wird, so die Interpretation, symbolisch ein Stück der Erdkugel freigelegt und der Anspruch des Kapitols bekundet, wie in früheren Zeiten der Nabel der Welt zu sein.

Reiterstandbild des Mark Aurel in Rom

Im Mittelpunkt des Ovals stand das aus vergoldeter Bronze gefertigte Reiterstandbild des Kaisers Mark Aurel. Um weitere Schädigungen durch Luftverschmutzung zu vermeiden, erhielt das imposante Denkmal eine neue Bleibe im Konservatorenpalast. Am gewohnten Ort steht seit einigen Jahren eine sehr gelungene Kopie. 1538 wurde das Abbild des Kaisers – er  herrschte über das Reich von 161 bis 180 – von seinem früheren Standort vor der Kirche San Giovanni in Laterano mit viel Mühe auf den Kapitolsplatz transportiert und aufgestellt. Dass es überhaupt dazu kommen konnte, ist einem historischen Missverständnis zu verdanken, denn die Römer hielten das Standbild irrtümlich für ein Abbild des Konstantin, der den frühen Christen mit großer Toleranz begegnete. Dieser Irrtum bewahrte das Denkmal vor Zerstörung, denn eigentlich wurden Relikte der verhassten heidnischen Vergangenheit in frühchristlicher Zeit zerschlagen oder eingeschmolzen. Schon bei der Aufstellung war bekannt, wen das im Mittelalter als „Caballus Constantini“ geführte Standbild in Wirklichkeit darstellte. Aber die Zeiten hatten sich geändert. In der Renaissance wäre niemand auf die Idee gekommen, einem der Großen der römischen Antike die Ehrung zu verweigern. Die lange gehegte Vermutung, das Reiterstandbild könnte ursprünglich vor Mark Aurels Geburtshaus, dem Haus seines Großvaters Annius Verus im Lateran, aufgerichtet worden sein, bewahrheitete sich 1963, als Archäologen in den unterirdischen Ruinen des Hauses den Sockel der Statue fanden. Er wurde präpariert und eingelagert. Das Standbild ruht auf dem monolithischen, mit Wappen und Inschriften geschmückten Sockel Michelangelos. Der auf stolz schreitendem Pferd aufsitzende Kaiser streckt mit ruhiger Gebärde und entspanntem Gesicht seinen rechten Arm aus, als würde er gleich zu seinen Untertanen sprechen. Das Denkmal wurde zum Vorbild zahlloser Reiterstandbilder in der Renaissance und weit darüber hinaus. Es ist die einzige antike Reiterstatue, die unzerstört erhalten blieb.    

Von den Palazzi auf dem Campidoglio entstand zuerst der Konservatorenpalast (Palazzo dei Conservatori). Zu Beginn der Arbeiten (1563) war der schon 88jährige Michelangelo noch dabei. Im Jahr darauf starb er. Sein Kollege Giacomo della Porta, einer der letzten Vertreter der Hochrenaissance, setzte das Werk alleine fort, ohne an Michelangelos Vorlage zu rütteln – sieht man einmal vom Mittelfenster über dem Portal ab. Dieses Fenster weist einen offenen Dreiecksgiebel auf, während die anderen Fenster im Obergeschoss mit Rundbögen bekrönt wurden. Die Fassade des Baus wird durch eine „korinthische Pilasterordnung“ gegliedert, verständlicher ausgedrückt: flache Wandpfeiler mit Basis und korinthischem Kapitell, acht an der Zahl, tragen einen Architrav, einen Steinbalken, über dem ein Gesims (ein horizontales, bandartiges Gliederungselement) weit an den Seiten auskragt und eine Balustrade, ein Brüstungsgeländer mit aufgesetzten Statuen, schließlich den Abschluss bildet. Auffallend im Erdgeschoss die großen Öffnungen, in die kurze, schlanke ionische Säulen eingestellt wurden.

Sein bauidentisches Gegenüber, der Neue Palast (Palazzo Nuovo / Grundsteinlegung 1571, Fertigstellung 1644-1654 durch Carlo und Girolamo Rainaldi nach Michelangelos Entwurf), sollte dem Platz Symmetrie verschaffen und die im wahrsten Sinne des Wortes „überragende“ Position der Kirche Santa Maria in Aracoeli verdecken.

Konservatorenpalast und Neuer Palast beherbergen mit den Kapitolinischen Museen (Musei Capitolini) eine der großartigsten Kunstsammlungen der Welt. Unzählige Skulpturen, Reliefs, Gemälde, Mosaiken von unschätzbarem Wert, antike Arbeiten und Werke aus frühchristlicher Zeit, aus Mittelalter und Renaissance bis in die späte Neuzeit sind hier zu bewundern, darunter die Kapitolinische Wölfin, Berninis Kopf der Meduse, „der sterbende Gallier“, Fragmente der Kolossalstatue Kaiser Konstantins, Gemälde von Tizian und Caravaggio, Tintoretto und Rubens . . .

Flussgötter in Rom: Der Nil

Der Nil

Seinen östlichen Abschluss erhält der Campidoglio durch den Senatorenpalast (Palazzo Senatorio), dessen Rückfront auf das Forum Romanum blickt. Seine Geschichte reicht weit zurück. 78 v. Chr. entstand an dieser Stelle das römische Staatsarchiv (Tabularium), das später verfiel, um im Mittelalter für einige Zeit dem Corsi-Clan als aufgerüstete Festung zu dienen. Sein heutiges Aussehen erhielt der verlassene, brüchige Bau in mehreren Bauabschnitten. Noch zu Lebzeiten Michelangelos entstand die doppelläufige Treppe (1541-1554), die den Vorplatz mit dem Piano nobile, dem prächtig ausgestatteten ersten Obergeschoss, verbindet. Den vor der Treppe eingelassenen Brunnen überragt eine antike römische Statue der Göttin Minerva, Michelangelo hätte hier lieber eine größere Skulptur oder auch eine  Figurengruppe platziert. Die etwas zu klein geratene Minerva wird von zwei monumentalen Liegefiguren eingerahmt, die Flussgötter darstellen. Links der Nil, unter seinem linken Arm erkennt man eine Sphinx und rechts der Tiber, unter dessen rechtem Arm die Kapitolinische Wölfin nebst Romulus und Remus zu sehen sind.

In den Jahren 1582 bis 1605 machten sich Girolamo Rainaldi und Giacoma della Porta an den Ausbau des Palazzo. Die Reste des mittelalterlichen Festungsbaus, der selbst auf das antike Tabularium gestellt worden war, wurden ummantelt und dann die Fassade gestaltet. Türme des alten Baus kann man noch gut in den Seitenwänden erkennen. Links und rechts gliedern Risalite, das sind hervorspringende Gebäudeteile, die Fassade. Sie zeigt drei Geschosse, das untere in Rustika (aus nur grob behauenen Steinquadern), die beiden oberen durch Wandpfeiler zusammengefasst. Es folgt das Gesims und darüber das mit Statuen geschmückte Brüstungsgeländer.
Der Palazzo ist seit 1871 Sitz des Magistrats und des römischen Bürgermeisters.

Flussgötter in Rom: Der Tiber

Der Tiber

Mit seinen Ideen zur Neugestaltung des Kapitols hat Michelangelo Architekturgeschichte geschrieben. Er schuf das Idealbild eines Platzes und beeinflusste damit Generationen von Stadtplanern und Architekten. Die U-Form wurde zum Vorbild. Dazu gehörte ein offener Eingangsbereich, dann rechts und links zwei relativ niedrige flankierende Bauten, die den Blick auf den höheren Hauptbau an der Stirnseite lenken.





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