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Portugal

Westend - Im Dienst des Turmes

Text und Fotos: Beate Schümann

Der Leuchtturm am Cabo de São Vicente markiert die Begegnung von Land und Meer

Das braungebrannte, gegerbte Gesicht des Leuchtturmwärtes lugt hinter der halbgeöffneten Tür hervor, gleich zum wieder Schließen auf dem Sprung. Seine gekniffenen Augen sprechen eine klare Sprache. "Nein, dies hier ist eine geschlossene Gesellschaft!" Die Antwort war unwirsch. Wahrscheinlich ist er der Touristen, die das ganze Jahr über scharenweise das Kap ansteuern und alle in den Turm wollen, mehr als überdrüssig. Kurz bevor er die Tür wieder zudrückt, biete ich meinen Rest Charme und alle mir zur Verfügung stehenden portugiesischen Überredungskünste auf. Mit letzterem haben wir Glück. Noch die stümperhaftesten Sprachkenntnisse lassen letztlich das Herz eines Portugiesen erweichen.

Als normal sterblicher Tourist kann man sich von dem Naturschauspiel am Kliff faszinieren lassen und die etwas unspektakuläre, fortähnliche Klosteranlage besichtigen. Aber in den Leuchtturm am Cabo de São Vicente kommt er nicht. Ausgenommen die Kunden der Sightseeingbusse. Denn unter der Hand haben einige Reiseleiter mit den faroleiros, wie die Leucht-turmwärter hier heißen, Sonderabkommen ausgehandelt - gegen ein ordentliches Trinkgeld natürlich. Das macht den Besuch am südwestlichsten Punkt Europas, wo sich das Land geradezu halsbrecherisch über die Klippen in den schäumenden Ozean hinabstürzt, für die Rundfahrtkunden erst recht zum Hit. Schon von weitem leuchtet die rote Stahlkuppel des Leuchtturms, der riskant an der Kliffabbruchkante die hohe Kapnase bewacht. Nah dran, entpuppt sich die markante Berühmtheit jedoch weniger als architektonische Glanznummer, finden wir. Pietätlos haben 1846 die königlichen Baumeister der Hauptkapelle der ruinierten Klosterkirche statt eines Kirchturmes die rote Stahlampel aufgepfropft.

Wir haben also enormes Glück. Der diensthabende faroleiro, António Rosado, drückt beide Augen zu. Wir zwei dürfen uns der Führung einer Reisegruppe anschließen. Stumm winkt Senhor António den rund zwanzig wartenden Besuchern zu, ihm über die enge, düstere Steintreppe (70 Stufen) durch den Turmbauch nach oben zu folgen.

Auf halber Höhe des 22 Meter hohen Turms kommen wir zum grün lackierten Herzstück, der Lichtanlage, die Senhor António aber links liegen läßt. Eine Aufschrift verrät uns, daß sie 1908 von der Firma Bénard & Turenne aus Paris installiert wurde. Oben, im Kopf des Turmes, steht, worauf es ihm ankommt, ein gewaltiger Kristallapparat. Wir drängen uns mit den anderen auf einer schmalen Gangway um den Kristall. Zwischen ihm und den mit Segeltuch verhängten Außenfenstern liegen nur knapp anderthalb Meter.Senhor António gibt  eine Kurzeinführung - in Portugiesisch, versteht sich. Wer nichts versteht, ist von Anlage und Aussicht beeindruckt. "Der "Farol de D. Fernando" markiert nicht nur die südwestlichste Spitze des Kontinents", verkündet er siegessicher, "die Optik ist mit ihrem Durchmesser von 2,66 Metern auch die größte Europas."

Nachdem er genügend Zeit für ehrfürchtiges Staunen gelassen hat - der Reiseleiter übersetzte -, kommt der Fachmann mit wichtiger Miene zu den technischen Details. Um die zentrale Fresnel-Linse von 1908 sind zahlreiche Kristallprismen angeordnet, die die Lichtbündelung erhöhen. Hinter den Kristallringen können wir die drei Laternen sehen, von denen er gerade spricht, Modelle von 1889, mit je 1000 Watt ausgestattet. Eine sei immer in Betrieb, die beiden anderen dienten als Reserve. Ein Dreikäsehoch tippt ihn an, wie denn das mit dem Licht funktioniere. "Auf Knopfdruck!", erwidert der faroleiro verschmitzt. Dann dreht die Maschine das Quecksilbergefäß, auf dem die gestaffelte Linse befestigt ist. Der Apparat rotiert im 15-Sekundentakt und schickt seinen Lichtstrahl bis zu 33 Seemeilen über das Meer.

Während er erklärt, achtet Senhor António mit Argusaugen darauf, daß die neugierigen Touristen dem wertvollen Stück nicht zu nahe rücken. Als er entdeckt, wie ein dickbäuchiger Schwerenöter in Shorts und Sportsocken in den Sandalen ungeniert das Glas befingert, brüllt er "Don’t touch!". Der Erschrockene zuckt unter einer portugiesischen Schimpftirade zusammen. Senhor António zieht routiniert das orangefarbene Poliertuch aus seiner Hosentasche, wischt den Fingerabdrücken auf den polierten Messingbeschlägen energisch hinterher, faltet es wieder und stopft es zurück in die Hose. "Don’t touch!" ist das einzige, was Senhor António auf Englisch herausbringt.

Schnell hat der Herr des Kristalls seine Ruhe wieder. Er streut ein Zitat des großen Nationaldichters Luís de Camões in die Runde, der mit seiner poetischen Beschreibung der portugiesischen Geographie auch bei uns Karriere gemacht hat: "Wo das Land endet und das Meer beginnt ...". Ich blinzele zwischen den Vorhängen aus dem Rundfenster und mein Blick fällt jäh 60 Meter in die Tiefe. Mir wird mulmig. Bis zum oberen Klippenrand peitscht der Wind die See empor, so scharf ist er. Sonst sieht man nichts als Meer. Wir nähern uns der Einsicht, daß die Wegweiser der Seeleute früher ein Gottesgeschenk waren.

"Das mit dem "Weltende" müssen Sie sich so vorstellen ...", der sonst eher nüchterne Wärter gerät ins Schwärmen. "Im Mittelalter glaubten die Menschen, daß die Schiffe hier über die Kante der Erdscheibe auf deren andere Seite kippten. Erst unsere Entdecker haben das Weltende zur Strecke gebracht". Wie alle Portugiesen kennt sich Senhor António in Entdeckungsgeschichte aus. Der Portugiese Gil Eanes und seine Mannschaft waren 1434 die ersten, die sich dem gefürchteten Cabo de Bojador, das auf der Höhe der Kanarischen Inseln liegt, zu nähern gewagt hatten. In kochendem Wasser, so hätte man sich damals erzählt, würden die Schiffe dort versinken, Mann und Maus von dickem Nebel oder garstigen Schlangen gefressen. Schlimmstenfalls rutschten sie auf die andere Seite der Erde. Das war der Untergang.

Sprachlose Ergriffenheit. Nur ein blondgelocktes Mädchen findet bei diesem Stichwort sofort in die reale Welt zurück. Sie will wissen, ob der hohe Turm nicht vom Klippenrand abstürzen könne. Eine gute Frage, denn die bizarren Sandsteinfelsen leiden tatsächlich stark unter Erosion. Aber unser faroleiro ist geistig abwesend, da er mit seinem Poliertuch neuen Fettspuren nachjagt. "Bei Sturm zittert der ganze Turm. Das ist die Hölle," entfährt es ihm dann knapp. Aber er und seine Kollegen seien schließlich keine blutigen Anfänger. Damit ist das Thema für ihn durch.

Gefühlsduselei liegt ihm nicht. Lieber liefert er den Gästen noch etwas Leuchtturmgeschichte. An gleicher Stelle soll es schon 1520 ein Leuchtsignal in einem extra dafür vorgesehenen Turm des Klosters gegeben haben. "Es wurde mit Öl genährt und erreichte gut 20 Seemeilen" antwortet er auf eine Frage aus dem Hintergrund. Der englische Pirat Sir Francis Drake brandschatzte das Kloster 1587, der Turm zerbrach und das Licht erlosch bis 1606. Den jetzigen ließ 1846 Königin Maria II. erbauen; noch heute sind die fünf abwechselnd wachhabenden faroleiros Staatsdiener, Angestellte des Seefahrtsministeriums.

Senhor António, seit über zwanzig Jahren im Dienst des Leuchtturmes, ist stolz, faroleiro zu sein und im legendärsten Leuchtturm Portugals arbeiten zu dürfen. Schlechtwetter, Wellenbrecher und Meeresgetöse können ihm nichts anhaben, aber der makellose Zustand des Kristallapparates sei ihm eine Herzenssache, gesteht er etwas verlegen. Seine Frau könne da kaum mithalten.Der Chef des Leuchtturmes, Senhor Joaquim do Rosário Batista, verabschiedet die über die Extrashow glückliche Reisegruppe. "Natürlich zünden wir heute kein Licht mehr an wie früher." Der Lausbub von vorhin war mit der Knopfdruck-Antwort nicht zufrieden gewesen. "Die Anlage arbeitet seit 1948 elektrisch und schaltet im Notfall auf Petroleumgas um", sagt Senhor Joaquim zum Schluß und trauert ein bißchen der Vergangenheit nach. Die Aufgabe der faroleiros bestünde heute mehr in der Instandhaltung und der Turmbewachung. "Selbst wenn alle passierenden Schiffe heute mit High-Tech an Bord ausgestattet sind", hofft optimistisch der Hausherr am Cabo de São Vicente, "haben die Leuchttürme zur Orientierung an der Küste noch lange nicht ausgedient."

Kurz nach Sonnenuntergang wird das Licht in Betrieb genommen, kurz vor Sonnenaufgang wieder abgeschaltet, natürlich automatisch. Abends, wenn alle Reisebusse abgefahren sind, kann man die Stimmung am "Ende der Welt" ungestört genießen.

Website der Autorin: http://www.beate-schuemann.de

 

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