Text und Fotos: Judith Weibrecht
Azulejos sind das allgegenwärtige Markenzeichen Portugals. Kunst im Alltag, die viel über Geschichte und Gegenwart des Landes verrät. Unsere Autorin Judith Weibrecht war in Lissabon unterwegs und hat in Museen und Kirchen, in Bars und Restaurants, in Bahnhöfen und Privathäusern die bunt bemalte portugiesische Kachel-Welt erkundet.
Es hallt wie wahnsinnig von den Wänden wider: Der Klang der Holzhämmer, die auf die bräunlichen Taschenkrebse niedersausen. Das liegt zum einen an dem einstigen Klostergewölbe, in dem sich die Cervejaria Trindade in Lissabon befindet, zum anderen an dem hohen, mit Azulejos, den typischen bemalten Fliesen und Kacheln, ausgekleideten Raum, an dem man sich gar nicht satt sehen kann.
Kacheln auf Schritt und Tritt
Ein Kachel-Kunstwerk nach dem anderen verziert das Restaurant: Ich sitze gegenüber von vier Allegorien, die Wind, Wasser, Feuer und Luft darstellen. Am besten gefällt mir Frau Wasser, die etwas lasziv an einer Mauer lehnt, nur ein Tuch um die Hüften geschwungen, und scheinbar unabsichtlich einen Krug mit Wasser auf uns herabgießt. An den anderen Wänden befinden sich außerdem noch die kunstvoll auf Fliesen gemalten vier Jahreszeiten.
Cervejaria Trindade
Azulejos, meist handbemalte Fliesen oder Kacheln, findet man in Portugal auf Schritt und Tritt: in Restaurants, Bahnhöfen, Kirchen und Kathedralen, in den letzten Kaschemmen, in Obstgeschäften, Privathäusern, auf Hausfassaden, natürlich in Badezimmern und sogar in der Lissabonner U-Bahn, deren Stationen teilweise wahre Kunstwerke aus modernen, abstrakten Motiven sind.
Sintra Brunnen
Für diese Haltepunkte wird schon am Flughafen geworben. Besonders schöne Stationen sind beispielsweise Gare do Oriente, wo Comics in grellen Farben die Wände verzieren, oder Laranjeras, das ganz von stilisierten Orangen beherrscht wird.
Stilwechsel durch die Jahrhunderte
Im Museo Nacional do Azulejo kann man sich auch über Geschichte und Herstellung der Fliesen informieren. Ursprünglich kam diese Kunst der Mauren im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert durch Importe von Spanien nach Portugal. Der Name Azulejo leitet sich schließlich auch vom arabischen „al zulij“ ab, was soviel bedeutet wie kleiner, polierter Stein. Hier im Museum lässt sich die Veränderung der Geschmäcker und Stile gut verfolgen. Wurden zunächst die streng geometrischen Formen der Araber bevorzugt, änderte sich das im sechzehnten Jahrhundert: Man setzte mehr auf die sogenannte Majolika-Technik, und die Motive wurden direkt auf die Flachkacheln aufgetragen.
Ab Mitte des sechzehnten Jahrhunderts schließlich entwickelte sich durch den Handel mit Flandern ein eigener portugiesischer Stil, der auf naturalistische Motive wie zum Beispiel Vögel und Blumen, aber auch auf Pfauen und Ähnliches aus den Kolonien oder sogar fantastische Motive zurückgriff. Blau, gelb und grün waren die vorherrschenden Farben, doch im siebzehnten Jahrhundert kam das fein gezeichnete Blau-weiß der Delfter Kacheln immer mehr in Mode.
Kachelbild im Museo Nacional do Azulejo
Später gab es sogar eine Art halbindustrieller Fertigung, und die Azulejos wurden per Schablone oder Siebdruckverfahren hergestellt. Eines der im Museum zu bewundernden Meisterwerke ist das über eine mehr als zwanzig Meter lange Wand gehende Kachelbild, das Lissabon vor dem Erdbeben von 1755 zeigt.
Museumscafé „Oasis“
Im Museumscafé „Oasis“ gibt es kostenlos zum Galão (einem Milchkaffee, der aus dem Limoglas geschlürft wird) klassische blau-weiße Azulejos an den Wänden, die Küchenmotive zeigen: Tintenfische, Brassen, Hühner, Schinken, Kuhköpfe und ein Zicklein.
Wo kann man Kacheln kaufen?
Schließlich lande ich, wie sollte es anders sein, in einer Azulejo-Firma, und zwar bei Cerâmica Constância, die bereits 1836 gegründet wurde, und bestelle mir ein Kachelbild. Welches? Nun gut, ich gestehe: Ich hätte gerne „Frau Wasser“ aus der Cervejaria Trindade. Fernando und Sonja von Schirnding de Almeida nehmen mich freundlich auf, und schon im Ausstellungsraum stockt mir der Atem ob so vieler Kunst und Schönheit.
Am Ende wird mir sogar noch die Ehre einer Führung durch die geheiligten Hallen zuteil, und ich darf die Produktionsräume bewundern. Hier herrscht konzentrierte Stille, fast beschleicht mich Ehrfurcht. Jeder Strich muss stimmen, und eine besondere Schwierigkeit ist, dass die Farben nach dem Brennen ganz anders aussehen als vorher. Im Moment lässt sich ein amerikanisches Ehepaar Albrecht Dürers „Adam und Eva“ anfertigen. Ein Prachtwerk!
Die praktische Seite der Kacheln
Nach so viel Kunst ist mir nun endlich nach einem Ginja zumute, und ich betrete eine der Ginjerias, die es in Lissabons Innenstadt so zahlreich gibt. Ginjerias sind meist von oben bis unten gefliest. Kein Wunder, denn in diesen Miniaturkneipen, die selten die Größe von vier Quadratmetern überschreiten, wird meist nur dieser aufgesetzte Kirsch, Ginja, gekippt. „Mit oder ohne?“ (Kirschen sind gemeint) wird man nur gefragt und kippt dann ganz schnell das klebrige Zeug hinunter, um danach, falls man „mit“ bestellt hatte, die Kerne dem Fliesenboden zu übereignen. Man kommt, kippt und geht. Die Schuhsohlen sind klebrig. Was sind Fliesen doch praktisch, denke ich.
Cervejaria Trindade
Rua Nova de Trindade, 20 C
1200-303 Lisboa
Museo Nacional
do Azulejo
Rua Madre de Deus
Lisboa
Tel. 21/814 77 47
Cerâmica Constância
Rua de Sao Domingos a Lapa, 8-C
1200 Lisboa
Tel. 21/396 39 51
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