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Reiseführer Danzig (Gdansk)

Auferstanden aus Ruinen - Eine Annäherung an Danzig

Einmal abgesehen von ihrer unbestreitbaren Schönheit- was die Stadt auch dem nicht aus Danzig stammenden deutschen Touristen so eigentümlich vertraut erscheinen lässt ist ihre Vergangenheit als Hansestadt, die architektonische Verwandtschaft mit ihren westlichen Schwesterstädten. Danzig trat 1295 als eine bereits blühende Handelsstadt der Hanse bei, reich durch zugewanderte Kaufleute vor allem aus dem Lübecker Raum. Reich aber auch durch Handwerk, Fischfang und das Gold der Ostsee, den Bernstein. Danzigs Wohlstand überdauerte sowohl den Niedergang der Hanse als auch den des Deutschen Ordens.

Goldenes Tor, Danzig

Goldenes Tor

Die Danziger pflegten sich taktisch meist klug zu verhalten, 1454 unterstellten sie sich (in den Wirren der Kriege des Preußischen Bundes gegen den Deutschen Orden) der polnischen Krone. Viele Herren hatten begehrlich nach dem reichen Danzig geschielt. Erwählt wurde das Werben der Polen ob der überaus großzügigen Privilegien einer Freien Stadt, die polnischen Schutz genoss. Ein goldenes Zeitalter brach für Danzig an, das zur mächtigsten Stadt und zum bedeutendsten Kulturzentrum im östlichen Ostseeraum wurde und Berühmtheiten aus Kunst, Kultur sowie die besten Baumeister der Zeit magnetisch anzog.

Das Ende dieser paradiesischen Ära deutete sich mit der ersten Polnischen Teilung 1772 an, als Danzig sein Vorland verliert und die preußische Zollgrenze den Handel behindert. Anlässlich der zweiten Polnischen Teilung 1793 endet dann die ach so fruchtbare, Jahrhunderte lange polnische Oberhoheit, Preußen verleibte sich Danzig ein, und das wurde keineswegs mit Entzücken zur Kenntnis genommen. Johanna Schopenhauer, die Mutter des großen Philosophen, hielt den Einzug der Preußen jedenfalls für etwas ganz Schreckliches. Der vordem gänzlich unbedeutende Gedanke der Nation, ein Kind der Französischen Revolution und vor allem der Napoleonischen Befreiungskriege, schwappte in Gestalt des Nationalismus auch nach Danzig. Er versuchte in seinem Germanisierungswahn polnische Spuren der Geschichte auszulöschen, wie bis vor kurzem in einfacher Umkehrung alles Deutsche wegpolonisiert werden sollte.

Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg wurde Danzig zur Freien Stadt unter Kontrolle des Völkerbundes. Dem Versailler Vertrag gemäß bildete Danzig eine Zollunion mit Polen und wurde außenpolitisch von Polen vertreten. Die Stadt wurde ein dauernder Zankapfel, von beiden Seiten propagandistisch missbraucht. Von Danzig ging der Zweite Weltkrieg aus, mit der Beschießung der Westerplatte und der Polnischen Post begann ein Martyrium, an dessen Ende das alte Danzig in Schutt uns Asche sank.

Langgasse in Danzig

Bummeln durch die Langgasse, die Danziger Prachtstraße

Heute ist Danzig strahlend schön, pure Ästhetik. Ein Kleinod der in eigene städtebauliche Künste verliebten Denkmalsschützer? Ein gigantisches Freilichtmuseum? Eine einzige überdimensionale Werbebühne für polnische Restaurationskunst, der Kunst mit knappen Mitteln aus fast Nichts eine ganze Stadt neu zu erschaffen? Nein, auch wenn diese Meinung von Zeit zu Zeit immer mal wieder laut wurde. Man übersieht dabei, wie diese zu über 90% zerstörte Stadt nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde und welche Alternativen es gab.

Die Stadt lag in Schutt und Asche, die Bevölkerung wurde fast komplett ausgetauscht. Die radikale Alternative, ein neues Gdansk an der Ostsee zu bauen und die Trümmer als Mahnmal liegen zu lassen, fand kaum Anhänger. Auch der Mittelweg, die Trümmer einzuebnen und auf den planierten Ruinen eine völlig neue Stadt zu erbauen, traf kaum auf Gegenliebe. Nicht einmal hartgesottene Kommunisten konnten sich mit dem sowjetischen Vorbild Kaliningrad anfreunden. Was für ein Segen!

Es war keinesfalls ein von staatlichen Stellen aufoktroyierter Akt, dieser unvorstellbar mühsame Aufbau, ohne Geld, ohne Material, ohne Maschinen, dieses Zusammenklauben auch winzigster Reste aus gigantischen Trümmerbergen, dieses Suchen nach Plänen, Dokumenten, Abbildungen in Haufen durch die Schuttwüste flatternden, angesengten Papiers. Die Euphorie dieser ersten Nachkriegsjahre in Polen, diese Art von Pioniergeist der neu in die ehemals deutschen Gebiete strömenden Menschen, dieser unbändige Wille zum Neuanfang und zum Wiederaufbau machte diese Leistung erst möglich.

Das neue Danzig wurde nie als Museum der Städtebaukunst geplant. Hinter den historischen Fassaden sollte das Proletariat wohnen und so geschah es auch. Auch heute noch leben "kleine Leute" im Zentrum dieser Stadt, wenn auch im Zeitalter der Marktwirtschaft die Verdrängung der weniger kapitalkräftigen Bewohner längst eingesetzt hat. Ein alter Vorwurf stimmt allerdings: es gibt in der Altstadt zu viele Wohnungen von Menschen, die hier nicht arbeiten und zu wenig Geschäfte sowie Dienstleistungseinrichtungen für die Bewohner, arbeiten und einkaufen müssen die hier lebenden Menschen woanders.

Alles war neu im Nachkriegsdanzig, von den Bauten bis zur Bevölkerung, eine neue Gesellschaft musste sich erst bilden. Was sich dort bildete, was keineswegs angepasst, von Danzig ging viel Neues aus. Wenn es im kommunistischen Polen Unruhen gab, dann ging es fast immer zunächst um Preiserhöhungen und fast immer begann es in Danzig. Die Danziger Leninwerft wurde der politische Unruheherd der Nation, 1970 wurden die demonstrierenden Arbeiter zusammen geschossen, es gab Tote. Zehn Jahre später dann der gleiche Anlass, aber nun gab es nicht nur Proteste und Demonstrationen, die Arbeiter streikten. In Folge dieses Streikes geriet das System ernsthaft ins Wanken und musste die Gründung der Solidarnosc , der ersten freien Gewerkschaft im Ostblock, zustimmen. Auch ein Denkmal für die Toten von 1970 wurde durchgesetzt, bis heute immer blumengeschmückt und ein Symbol dessen, was von hier ausging: gut zehn Jahre später gab es keinen Ostblock mehr und der damalige Danziger Arbeiterführer Lech Walesa war der erste frei gewählte Präsident Polens. Der Prozess des Umlernens der Geschichte nach der politischen Wende fiel den heutigen Danzigern nicht weniger schwer als anderen Polen. Mittlerweile ist der Schock der Erkenntnis überwunden, dass etliche der wiedergewonnenen Gebiete wie Ostpreußen und auch Danzig tatsächlich deutsch waren. Man setzt jetzt auf die EU, hofft, dass die Bedeutung der Nationalität im Laufe der Zeit zweitrangig wird. Inzwischen geht man jedenfalls lockerer und souveräner mit der deutschen Vergangenheit auch Danzigs um. Das zeigt besonders das Verhältnis zu Günter Grass.

Man platzt fast vor Stolz auf Literatur - Nobelpreisträger Günter Grass, den Danziger Ehrenbürger. Triumphal wurde Grass nach der Verleihung des Nobelpreises in seiner Heimatstadt empfangen, eine Parade der Blechtrommler geleitete ihn durch sein Stadtviertel Wrzeszcz / Langfuhr. An Häusern, Plätzen und Straßen, die in seiner Danziger Trilogie vorkommen, werden Emailletafeln mit den passenden Zitaten angebracht. Die erste dieser Tafeln enthüllte Grass an seinem Geburtshaus selbst. Vieles in dem alten Arbeiterviertel ist nach gründlicher Lektüre von Grass' "Blechtrommel" sowie "Katz und Maus" wieder zu erkennen. So kann man auf den Spuren von Oskar Matzerath wandeln, beginnend in der Ulica Lelewela, am Geburtshaus von Grass. Eine nachgerade hanseatisch gelassene Souveränität in Zeiten politischen Gegenwinds durch die Warschauer Regierung der Brüder Kaczynski zeigte der Danziger Umgang mit der Meldung, Günter Grass sei als 17-jähriger Mitglied der Waffen-SS gewesen. Ein paar Diskussionen, eine erläuternder Brief von Günter Grass und niemand sprach mehr von einem Entzug der Ehrenbürgerwürde.

Weltoffenheit hat in Danzig Einzug gehalten in den letzten Jahren, Internationalität ist Alltag geworden, babylonisches Sprachgewirr während der touristischen Hauptsaison normal. Weltoffen und souverän im Umgang mit der schwierigen Geschichte ist auch dies: Zwei sehr verschiedene Menschen gelten als die größten Danziger des 20. Jahrhunderts. Einer ist Günter Grass, ein Deutscher und Literatur-Nobelpreisträger. Der andere ist der Pole Lech Walesa, erster nach der Wende frei gewählter Präsident Polens und Friedensnobelpreisträger.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss