Prachtbauten statt Bastionen

Die Wiener Ringstraße

Text und Fotos: Ulrich Traub

Österreich - Wien Ringstraße - Landtmann

"Am Ring wird man vor Schönheit trunken, am Gürtel vom Schnaps. Am Ring macht man Sightseeing, am Gürtel Liebe, denn am Ring fädeln sich die Prunkbauten auf, am Gürtel die Prostituierten. Auch das beschreibt vortrefflich diese beiden Straßen, Ring und Gürtel, die eine in Stein gehauene Ewigkeit, die andere im hysterischen Fluss."

Eva Menasse, eine gebürtige Wienerin, vergleicht die beiden Verkehrsachsen ihrer Heimatstadt aus einem besondern Anlass: 2015 wurde die Ringstraße 150 Jahre alt. Die Schriftstellerin meint, dass der Ring gut für Bildbände sei, der Gürtel dagegen für Sozialreportagen. Deshalb soll hier auch nur vom Geburtstagskind die Rede sein. Außerdem gibt es wohl kaum eine Magistrale in den Metropolen der Welt, an der so viele Sehenswürdigkeiten Spalier stehen.

Österreich - Wien Ringstraße - Hofburg

Hofburg

Als Kaiser Franz Joseph am 20. Dezember 1857 den Erlass erteilt, die alten Befestigungsanlagen zu schleifen, wird damit nicht nur der Startschuss für ein Städtebauprojekt monumentalen Zuschnitts gegeben. Auch in sozialpolitischer Hinsicht definiert die Anlage der neuen Straße eine Zeitenwende. "Die Ringstraße beschreibt die Erweiterung der Gesellschaft um das Bürgertum", schreibt die Autorin Marlene Streeruwitz. "In der Innenstadt der Kaiser, die Kirche und die Aristokratie. Auf der Ringstraße die neue Macht der Industrialisierung, der Banken und des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts", die in den legendären Ringstraßenpalais' zuhause war.

Österreich - Wien Ringstraße - Fiaker

Fiaker

Rund fünf Kilometer muss der Spaziergänger zurücklegen, wenn er den ganzen Ring abschreiten möchte. "Wir Wiener haben ganz bestimmte Abschnitte, auf denen wir flanieren", erklärt Beatrice Aumayr, die für Wien Tourismus die Gäste durch ihre Stadt führt. "Am Ring zu wohnen, das wäre das Größte." Auch wenn er eine stark befahrene Verkehrsachse ist, so bleibt bei einer Breite von 57 Metern auf den Bürgersteigen und in der Straßenmitte doch genug Platz, um unter Bäumen zu spazieren, Rad zu fahren oder sich im Fiaker kutschieren zu lassen. Hier ist Raum für alle Verkehrsteilnehmer. "Die Ringstraße ist die demokratischste Straße Wiens", findet der russische Schriftsteller und Wien-Kenner Vladimir Sorokin. "Das Imperiale bleibt an den Rändern des Boulevards", während auf dem Gehweg Zigarettenstummel und Schnapsflaschen lägen.

Österreich - Wien Ringstraße - Volksgarten

Volksgarten

Einen besonders beeindruckenden Blick für die Bedeutung und Schönheit der Ringstraße gewinnt man vom Volksgarten (1) aus. Betört vom Duft der tausenden Rosen rund um den Theseustempel kann man sich im Türme- und Kuppeln-Raten messen. Die Hofburg sowie das Kunst- und das Naturhistorische Museum auf der einen, Burgtheater, Rathaus und dahinter die Votivkirche auf der anderen Seite - allesamt Bauten, die im Zuge der Anlage der Ringstraße errichtet worden sind.

Österreich - Wien Ringstraße - Rathaus

Blick auf das Rathaus

An der Prachtstraße begegnen sich nach wie vor Politik, Kirche und Kultur in nächster Nähe. Nur die Monarchie ist längst Geschichte. Meckerten seinerzeit die Kritiker über das historistische Stilempfinden der Architekten, denen außer Neogotik, -renaissance und -barock nichts einfiel, so kann man sich heute an den detailreich gestalteten Fassaden kaum sattsehen. Zwar sind in viele der Wohnpaläste Hotels, Büros und Geschäfte eingezogen, doch ihr architektonisches Gesicht hat die Ringstraße behalten.

Österreich - Wien Ringstraße - Museumscafe

Museumscafé

Im 1873 zur Weltausstellung eröffneten "Hotel Imperial" (2) seien die Rolling Stones Stammgäste, weiß Beatrice Aumayr. "Was schon dazu geführt hat, dass George W. Bush umquartiert werden musste - in ein Hotel gegenüber der irakischen Botschaft." Ja, die Ringstraße ist reich an Geschichte und Geschichten. Das lag auch an den 27 Kaffeehäusern, die die Straße säumten. Nur drei Cafés haben überlebt, etwa das Prückel (3) gegenüber vom Stadtpark, der ältesten öffentlichen Grünanlage Wiens. Mit seiner Einrichtung aus den 50er-Jahren passt der beliebte Treffpunkt bestens zum Visavis, dem Museum für angewandte Kunst. "Aber die letzten Kaffeehäuser werden überleben, dafür werden wir Wiener sorgen", gibt sich Stadtführerin Aumayr optimistisch, auch wenn man heute gelegentlich das Gläschen Wasser zum Kaffee bezahlen müsse. "Schließlich gehören sie doch zum Weltkulturerbe - wie übrigens auch die Ringstraße."

Österreich - Wien Ringstraße - Prückel

Cafés Prückel

Ein paar Schritte vom Café Prückel entfernt findet man ein Stadtmodell aus der Zeit, als die Stadt noch befestigt war. Gewaltige Bastionen und Mauern umschlossen die Altstadt. Die Mölker Bastei, an der die Häuser auf einer Rampe liegen, erinnert an diese Zeit. Auch das Museum Albertina im ehemaligen Palais Tarouca lässt aufgrund seiner erhöhten Lage Gedanken an eine Bastei, die es tatsächlich früher dort gab, aufkommen. Wo es einst zu den Verteidigungsanlagen hochging, führen heute Rampen zum tempelähnlichen Parlament empor - wo seitdem mit Worten gestritten wird.

Österreich - Wien Ringstraße - Modell

Als vor 150 Jahren, am 1. Mai 1865, die offizielle Eröffnung der Ringstraße gefeiert wurde, war tatsächlich erst ein Abschnitt fertiggestellt. Aber dass öffentliche und private Bauten sich abwechselten, machte von vornherein den speziellen Charakter der Baumaßnahme aus und begründete die bis heute erhalten gebliebene Vitalität des berühmten Boulevards, der übrigens schon bei seiner Anlage nach Landschaftsprinzipien gestaltet wurde - mit Baumreihen und einer Spazier- und Reitallee. Dass zudem gleich vier Parks an der Ringstraße liegen, macht ihren Aufenthaltswert noch attraktiver.

Wer dem Charakter der Straße nachspüren möchte, folgt am besten den Vorschlägen des Schriftstellers Vladimir Sorokin, der empfiehlt, Smartphone und Stadtplan im Hotel zu lassen und "sich gemächlich fortzubewegen, wenn möglich Hand in Hand mit einem nahestehenden Menschen". Wer aufmerksam flaniert, wird auf Höhe des Kunsthistorischen Museums eine alte Waage entdecken, die für 20 Cent das Gewicht verrät. Ob das etwas mit den traditionellen Würstelständen, die seit ewigen Zeiten am Ring einen Imbiss offerieren, zu tun hat?

Informationen
Wien-Tourismus
Invalidenstraße 6
A-1030 Wien
0043/1/24555
www.wien.info

Lektüre
"1865, 2015. 150 Jahre Wiener Ringstraße - Dreizehn Betrachtungen"; Metroverlag 2014

 

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