Advent in Rattenberg

Text: Beate Schümann
Fotos: Bernhard Jochum

Die Vorweihnachtszeit ist an vielen Orten wenig besinnlich, sondern eher vom Konsumzwang geprägt. Lange verkaufsoffene Samstage und heftig diskutierte verkaufsoffene Sonntage sollen den Konsum ankurbeln und die Kassen klingeln lassen. Dass es auch Orte gibt, die sich diesem Trend widersetzen, hat unsere Autorin Beate Schümann erlebt, als sie das Tiroler Örtchen Rattenberg besuchte.

Es ist schummrig in der Straßen unterhalb der Burg, aber nicht dunkel. Hinter den Fenstern der Giebelhäuser flackern Kerzen. Öllichtlaternen und Fackeln erhellen die engen Gassen. Wo an den Wegkreuzungen offene Feuerstellen lodern, stehen Menschen im Schnee zusammen, um sich zu wärmen und zu plauschen. Künstliches Licht strahlt nur in den Schaufenstern der Geschäfte, die sich in der Südtirolerstraße konzentrieren.

Österreich / Rattenberg / Südtirolerstraße

Blick auf die Südtirolerstraße

Am Servitenkloster spielen Posaunenbläser ihre Weisen, unter einem Erker trägt eine Vorleserin einigen Passanten nachdenkliche Geschichten vor. Auf der Bühne vor der gotischen Pfarrkirche St. Virgil werden Winterimpressionen projiziert. Sonst ist es still: Es ist Advent, Advent in Rattenberg.

Rattenberg, die mit nur elf Hektar große und mit 439 Einwohnern kleinste Stadt Österreichs, stemmt sich mit Stille und Behutsamkeit gegen den Konsumzwang und die Reizüberflutung der Vorweihnachtszeit – in diesem Jahr zum fünften Mal. „Wir haben uns damals ganz bewusst gegen die lauten Christkindlmärkte entschieden“, erklärt Bürgermeister Franz Wurzenrainer. Das war keine rein philanthropische Laune, sondern auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Denn seit 1996 halten der neue Tunnel und die Umgehungsstraße zwar den Durchgangsverkehr wunderbar von Rattenberg fern, aber auch Kunden. Deshalb wurde der Kultur- und Wirtschaftsförderungsverein gegründet, um die Fußgängerzone der Altstadt neu zu beleben – auch im Winter.

Die Idee, eine Plattform für Wirtschaft und Kunst zu schaffen, kam vom Innsbrucker Regisseur Anders Linder. „Der Advent ist eine stille Zeit. Man sollte sich in dieser Zeit Zeit zum Zuhören nehmen, nicht schneller leben, sondern einfacher, und dabei auf die Tradition zurückkommen,“ sagt Linder. Sinnliches Erlebnis, das der Jahreszeit entspricht, steht im Vordergrund. Aber auch Ponyreiten, Weihnachtskugelblasen und die biblische Herbergssuche als Reise durch die Stadt gehören zum Programm. Als Weltverbesserer oder Missionar sieht Linder sich allerdings nicht. Für ihn stellt Rattenberg nur einen gestalteten Raum zur Verfügung, in dem Menschen sich Zeit nehmen, sich begegnen, zuhören und auch einkaufen können. Jedes Jahr gibt er dem „Stillen Advent“, wie er seine Inszenierung nennt, ein anderes Motto. In diesem Jahr lautet es „Sich beSINNen“.

Österreich / Rattenberg / Lichterlabyrinthperformance

Lichterlabyrinth-Performance

In Sachen Besinnlichkeit ist Rattenberg der richtige Ort. Seit 1399 im Besitz von Stadtrechten, liegt die Stadt an einem Nadelöhr des Inntals, eingezwängt von Fluss und Schlossberg, die seinem Wachstum von Anfang an enge Grenzen setzten. So wundert es nicht, dass das Städtchen mit seinem gotischen und barocken Stadtbild seit Jahrhunderten fast unverändert besteht. Den Giebelhäusern sieht man den Wohlstand an, den die Stadt dem Kupfer- und Silberbergbau verdankte. Im 17. Jahrhundert trat die Glasbläserei an seine Stelle, ein Kunsthandwerk, das Rattenberg den Zusatz „Glasstadt“ verlieh.

Österreich / Rattenberg / Kupferkessel auf Feuer

Kupferkessel auf dem Feuer

Die Bevölkerung war von Anfang an schnell dabei, die Wirtschaft zunächst skeptisch, als es galt den „Rattenberger Advent“ aus der Taufe zu heben. „Da es vorher keinen Christkindlmarkt mit Ständen gegeben hatte“, so Bürgermeister Wurzenrainer, „brauchten wir kein „altes Übel“ zu korrigieren.“ Doch die Sehnsucht nach dem vermeintlich schnellen Glück gebe es natürlich auch bei den hiesigen Geschäftsleuten. „Die Stille muss immer wieder neu erkämpft werden. Das ist kein Selbstgänger“, sagt auch Linder. Finanziert wird das Projekt vom Kultur- und Wirtschaftsförderungsverein, an dem 50 der rund 60 Geschäfte, Galerien, Kunsthandwerker und Gastronomen in der Fußgängerzone beteiligt sind. Der Verein vergibt kostenlos rund 2 000 Kerzen, die die Fenster der Häuser erleuchten.

Wichtig ist für Linder, dass es keine „Verstandelung“ gibt, also diese typischen Fress- und Geschenkbuden samt der Dauerberieslung durch Diskomusik. Hungern oder Verdursten muss dennoch niemand.

Österreich / Rattenberg / Kastanienbrater

Esskastanienstand

Es gibt „Versorgungsstationen“, an denen Marketender im „Wetterfleck“ – dies ist ein alten Hirtenmantel aus Jankerstoff – den Rattenberger Adventswein mit Holunderaroma, mit Käse gefüllte Zillertaler Krapfen oder Lebkuchen verkaufen. Obwohl keine Werbung für den „Stillen Advent“ gemacht wird, strömen die Menschen nur so nach Rattenberg. „Wenn all die Reisbusse aus Italien, die Tirol zur Weihnachtszeit anfahren, in Rattenberg Halt machen würden, wäre es mit dem Zauber vorbei“, sagt Bernhard Jochum vom Tirol-Tourismus.

Österreich / Rattenberg / Kiachln

Kiachln

Gegen Abend versammeln sich die Leute vor der Bühne bei St. Virgil und dem hohen Weihnachtsbaum. Eine Dichterin reimt ihre Gedanken zum Advent, der Tiroler Musikpromi Markus Hess spielt seinen sanften Regionalpop. Kurz bevor der Engel in die Schaukel zwischen den Fassaden steigt, werden „Sternspritzer“, wie Wunderkerzen hier heißen, an alle verteilt.

Österreich / Rattenberg / Schaukel

Als die Opernsängerin ihr zauberhaftes „Ave Maria“ von Franz Schubert singt, spürt man, dass dies ein wirklich anderer Advent ist. Und zum Schluss läuten auch noch die Glocken von St. Virgil dazu.

Reiseinformationen zu Rattenberg

Tourismusverband Rattenfeld/Radfeld
Klostergasse 94
A-6240 Rattenberg
Tel. 00 43 / 53 37 / 6 33 21
Fax 0 53 37 / 6 54 17
E-Mail: rattenberg@tirol.at
Internet: http://www.rattenberg.at.

Rattenberger Advent mit Veranstaltungen an vier Adventssamstagen von jeweils 14–19 Uhr.
Internet: http://www.advent.tirol.at.

 

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