Kellergasse und Buschenschank

Niederösterreich trifft sich zum Weinherbst

Text und Fotos: Rainer Heubeck

Rund 800 Veranstaltungen und mehr als 300.000 Gäste – der Weinherbst in Niederösterreich, der bis Ende November andauert, hat sich als „fünfte Jahreszeit“ etabliert. Das liegt nicht zuletzt an den niederösterreichischen Weinstraßen: Seit mehr als zehn Jahren verbinden insgesamt 830 Weinstraßen-Kilometer mehr als 150 Weinorte sowie 1700 Vinotheken und Winzereibetriebe.

Niederösterreich - Haugsdorf

Im Weinviertel, das im Norden an Tschechien und im Osten an die Slowakei grenzt, wird etwa ein Drittel aller österreichischen Weine angebaut. Rund 10.000 Winzer, in Österreich auch „Weinhauer“ genannt, sind hier tätig. Einer von ihnen ist Christoph Bauer, der gemeinsam mit seiner Frau Heidi in Jetzelsdorf bei Haugsdorf auf 18 Hektaren hauptsächlich Grünen Veltliner, Neuburger und Zweigelt kultiviert. Christoph Bauer, der vor etlichen Jahren ein Praktikum in Australien absolvierte, hat in dem traditionsreichen Familienbetrieb einiges verändert. Er experimentiert mit Portwein und hat einen der Weingärten auf ein Naturwuchssystem umgestellt. Dort verzichtet er völlig auf die sonst übliche Beschneidung der Weinstöcke. „Die Nachbarn haben die Hände über den Kopf zusammengeschlagen und gesagt, das geht nicht“, berichtet Bauer, der mit seiner neuen Anbauweise gute Erfahrungen gemacht hat.

Niederösterreich - Weinflaschen

Dörfer ohne Rauchfang

Wie viele Weinbaubetriebe im Weinviertel setzt Christoph Bauer auf moderne Technik und auf Stahltanks, nur wenige Weine, beispielsweise der Zweigelt Reserve, reifen – zumindest teilweise – noch im Holzfass. Die modernen Produktionsweisen machen die für das Weinviertel so typischen Kellergassen, in denen sich Presshäuser und Weinkeller aneinanderreihen, zunehmend überflüssig. Angelegt wurden die Kellergassen, die auch „Dörfer ohne Rauchfang“ genannt werden, im 18. Jahrhundert, nachdem Kaiserin Maria Theresia den Weinbau freigegeben hatte. „Im Ort wohnen die Menschen und in der Kellergasse, da wohnt der Wein“, erläutert Christoph Bauer. Seit dem 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts freilich wurde es zunehmend ruhiger in den Kellergassen, denn die jungen Leute zog es vom Land in die Stadt.

Niederösterreich - Weinfässer im Keller

Mittlerweile erleben die Kellergassen ein Revival – sie öffnen ihre Türen für Kunstausstellungen und Lesungen, für Weinproben und für kulinarische Events. Auch 300 eigens geschulte Kellergassenführer stehen im Weinviertel inzwischen parat, zudem hat der Schriftsteller Alfred Komarek der Weinviertel-Kultur ein literarisches Denkmal gesetzt. In seinen Kriminalromanen zieht der trinkfeste und heimatverbundene Gendarmerie-Inspektor Simon Polt von Presskeller zu Presskeller. Er trinkt und klärt mysteriöse Verbrechen auf, wobei sich Gut und Böse oftmals verwischen.

Niederösterreich - Haugsdorf Kellergasse

Ein Ort, in dem das Wiederaufleben der Kellergassen sichtbar wird, ist das beschauliche Dorf Haugsdorf (1). In der Haugsdorfer „Köllatrift“ reihen sich Dutzende weiß gekalkte, von Weinreben umrankte unterkellerte Häuser aneinander. Diese Weinkeller verwandeln sich einmal pro Jahr ein Wochenende lang in Galerien, Lesesäle und Konzertauditorien. Nicht fehlen darf während des alljährlichen Kulturwochenendes, das unter dem Motto „Kunst und Wein“ steht, das Symbol der Kellerkatze: Diese Holzkatzen sind ein Relikt aus der Weinviertel-Vergangenheit – denn früher hatten die Winzer genau das Fass, in dem sie ihren besten Wein aufbewahrten, mit einer Katzenfigur gekennzeichnet.

Gratiswein aus dem Stadtbrunnen

Niederösterreich - Retz - Kelleranlage

Nicht weit von Haugsdorf entfernt lockt die Stadt Retz (2) mit einem Keller-Erlebnis der Superlative – auf drei Stockwerken führen enge Gänge mit einer Gesamtlänge von über zwanzig Kilometern durch die größte Kelleranlage Mitteleuropas. „Die ganze Stadt Retz ist auf Sand gebaut“, erläutert Gästeführer Robert Schimeck, der regelmäßig Besucher durch das unterirdische Labyrinth führt, „aber in den letzten 25 Millionen Jahren sind die Sandschichten so fest zusammengepresst worden, dass sie nun so hart sind wie Beton.“ Viele der Keller, in denen eine Temperatur von 8 Grad Celsius und eine Luftfeuchtigkeit von 87 Prozent herrscht und die durch Dampflöcher be- und entlüftet werden, sind heute noch im Originalzustand - so wie sie vor Jahrhunderten aus dem Sand gegraben wurden. Der Hintergrund der gewaltigen Kellerexpansion war ein Privileg aus dem Jahr 1458, das es der Retzer Bürgerschaft erlaubte, mit Wein zu handeln. Ein Vorrecht, das die Stadt zu großem Wohlstand verhalf.

Heute freilich werden die Keller längst nicht mehr für die Weingärung und -lagerung genutzt, sondern sie laden zur Besichtigung ein – und sie bilden alljährlich im Dezember die Kulisse für einen stimmungsvollen unterirdischen Weihnachtsmarkt. An die Zeit des Retzer Wein-Reichtums erinnert ein sehenswerter Winzerfestzug und ein Weinlesefest, das mit einer ganz besonderen Attraktion aufwartet: Einen Nachmittag lang – meist in der zweiten Septemberhälfte - strömt aus den beiden Stadtbrunnen am Retzer Hauptplatz nicht Wasser, sondern Wein, der kostenlos verkostet werden darf. Sehr praktisch ist, dass die Retzer gleich zwei Brunnen für den Gratiswein haben - einen für den Rot- und den anderen für den Weißwein.

Niederösterreich - Retz - Hauptplatz

Im Weinviertel hat Österreich wenig gemein mit Alpengipfeln und Gletschern – statt dessen erfreut den Blick des Besuchers ein sanft geschwungenes Hügelland, in dem Hebungen und Senkungen ineinander verwoben erscheinen. „Fast vollkommen frei von Orientierungspunkten wirkt das Weinviertel wie ein Meer, das zu wogen aufgehört hat“, so beschreibt der Autor Alfred Komarek diese Landschaft. Es leuchtet ein, dass so eine Region keine Extremsportler anzieht, sondern vor allem Genussreisende – insbesondere aus dem deutschsprachigen Raum und aus Österreichs östlichen Nachbarländern. Die örtliche Fremdenverkehrswirtschaft weiß längst, wie man Genießer anspricht – sie bietet Einkehrkultur in traditionellen Gaststätten und Genießerzimmer in feinen Landhotels.

Ein Kleinod unter den 260 Gaststätten, die sich im Verein „Niederösterreichische Wirtshauskultur“ zusammengeschlossen haben, ist das Restaurant „Zur alten Schule“ in Riedenthal (3), das von Manfred Buchinger geführt wird, einem im Weinviertel geborenen Haubenkoch, der Jahrzehnte lang in internationalen Top-Hotels tätig war, aber nun zu seinen Wurzeln zurückgekehrt ist. Buchinger brät, dünstet und schmort für seine Gäste unter anderem biologisch orientierte Schweine-, Truthahn- und Rindergerichte. Mit etwas Glück steht neben Kochstar Manfred Buchinger noch eine echte Krimi-Autorin mit am Herd – denn seit die Verfassungsjuristin und Schriftstellerin Eva Rossmann ein „Praktikum“ bei Manfred Buchinger absolvierte, um für einen Gourmet-Krimi zu recherchieren, kocht sie regelmäßig in der „Alten Schule“. Zum Essen serviert man natürlich Weine aus der Region - etwa einen Grünen Veltliner DAC oder einen Riesling aus dem Weinviertel.

Niederösterreich - Riedenthal - Restaurant Zur alten Schule

Obgleich der Weißwein in Niederösterreich dominiert, existieren auch einige Rotwein-Enklaven. Eine davon ist der Ort Bad Vöslau (4) in der Thermenregion vor den Toren Wiens. Dort hat der Kommerzien- und Hofrat Johann von Fries bereits im Jahr 1772 die Rebe des Blauen Portugieser eingeführt. Seither blüht in und um Bad Vöslau eine Rotweinkultur, von deren Qualität man sich beim Heurigen oder beim Besuch in einem der zahlreichen Buschenschänken während des Weinherbsts unbedingt überzeugen sollte. Doch nicht nur der Rotwein, auch der Schaumwein prägt die Weintraditionen Bad Vöslaus: Im so genannten Goldeck produzierte der Kaufmann Robert Schlumberger Mitte des 18. Jahrhunderts Österreichs ersten champagnerartigen Sekt.

Niederösterreich - Bad Vöslau - blaue Trauben

 

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