Reiseführer Nordzypern
Salamis - Eine Einführung
Die Küstenebene vor der weit geschwungenen Bucht von Famagusta ist eine der bedeutendsten kulturhistorischen Landschaften der Insel. Hier entwickelte sich der bronzezeitliche Industrie- und Handelsplatz Enkomi zu Zyperns erster „Großstadt“, erwarb Famagusta im Mittelalter den Ruf einer glanzvollen Weltstadt, vollzog Salamis seinen Aufstieg zur überragenden Inselmetropole, um nach Kriegswirren und Naturkatastrophen seine Zukunft unter Dünen zu begraben.
Verwehte Antike
Blick von den Badeanlagen auf das Gymnasium
Salamis verkörpert als Nachfolgerin von Enkomi und Vorgängerin Famagustas gewissermaßen die mittlere Schicht der Vergangenheit Zyperns. Vom 11. vorchristlichen Jahrhundert bis in das 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung - in der geometrischen, archaischen und klassischen Epoche, in der Zeit des Hellenismus, unter Rom und dem frühen Byzanz - bestimmte die Stadt zumeist unangefochten das politische, wirtschaftliche und kulturelle Geschehen auf Zypern. Einige ihrer Monumentalbauten aus römischer und frühbyzantinischer Zeit wurden in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts freigelegt und teilweise rekonstruiert. Weit mehr aber, vermuten Archäologen, muss noch eingestürzt und zugeweht verborgen im weitläufigen Gelände liegen. So zieht die größte und reichste aller antiken Städte der Insel eine Unmenge Fragen und Spekulationen auf sich, die das schon oft Überdachte von neuem hin- und herwenden und besonders das riesige, noch unerforschte Areal umkreisen, unter dessen Sandhügeln und Baumgruppen das archaische Salamis, die Stadt der Gründergeneration, vermutet wird. Besucher erfahren diese so gar nicht zeitgemäße Unerschlossenheit oft als unverhofftes Geschenk, auch schon mal als Aufforderung, abseits der Wege, wo man keiner Menschenseele mehr begegnet, verschütteten Spuren nachzugehen, ähnlich wie dieser Wanderer vor fast einem dreiviertel Jahrhundert:
„Ich folgte einem gewundene Pfad durch riesige Felder vertrocknender Wildblumen und entdeckte den Stumpf einer Marmorsäule, dann stieß ich auf einen weiteren. Sie lagen im Schatten von Akazien- und Eukalyptusbäumen, Fenchelbüsche überwucherten sie . . . Keine Horden von Touristen stören hier den Frieden und die zerborstenen, umgestürzten Säulen bewahren ihre feierliche Stille . . . Dann kam ich zu einem Forum, dessen gefallene Säulen griechische Inschriften trugen . . . Ich bog die Zweige des Gebüschs beiseite und legte einige Stufen frei, über die schon der Apostel Paulus geschritten sein wird, denn hier war der Hauptplatz der Stadt...“
Kartenlegende
1 Palästra
(Sportplatz), 2 Peristyl (Säulenumgang), 3 Latrine, 4 Östliche Stoa (diente den Thermen als Vorhalle), 5 Natatio (Schwimmbecken im Freien), 6 Frigidarium (Kaltwasserbad), 7 Tepidarium (maßig warmer Abkühlraum zwischen Caldarium und
Frigidarium), 8 Caldarium (Warmwasserbad), 9 Sudatorium (Dampfschwitzbad), 10 (Praefurnium), 11 (Latrine), 12 Wassertank
Doch nicht alles, was Salamis hervorbrachte - „diese Stadt der schönsten Bauwerke“, wie Homer sie besang - kann noch gehoben werden. Vieles wurde ausgegraben, abgetragen, weggeschafft. Quadersteine und Säulen fanden Verwendung beim Aufbau Famagustas. Dass sich manches davon heute in Alexandrias oder Port Saids Hafenmauern wiederfindet, nachdem es ein halbes Jahrtausend und länger in Famagustas Palästen und Kirchen verbaut war, geht auf das Konto ahnungsloser britischer Kolonialbeamter.
Es muss eine über alle Maßen beeindruckende Stadt gewesen sein,
selbst dann noch, als sie nach Erdbeben und Bränden vieles von ihrer
legendären Pracht eingebüßt hatte. Die wohl früheste,
den Glanz dieser Stadt (sie hieß nun Constantia) rühmende Nachricht
aus christlicher Zeit stammt von einem gewissen Antoninus von Placentia
(Piacenza in Oberitalien), der um das Jahr 565 seine Pilgerfahrt in Zypern
unterbrach:
„Wir gingen in der Stadt Constantia, wo der heilige Epiphanios ruht,
an Land. Die Stadt ist herrlich und anziehend, Dattelpalmen schmücken
sie . . .“
Blick auf die Badeanlagen
Spätere mittelalterliche Augenzeugen und solche der frühen Neuzeit schildern Salamis/Constantia nur noch als überwuchertes, zugewehtes Trümmerfeld, dessen vermeintliche Reichtümer Schatzgräber in Scharen anlockten, wie 1542 der Eidgenosse Jost von Meggen notierte, der später den Posten eines Hauptmanns der päpstlichen Schweizergarde annahm:
„Noch immer lassen sich Macht und Reichtum früherer Zeiten erkennen, besonders wenn Monumente und Gräber freigelegt werden. Unzählige kostbare Schmuckstücke kamen ans Licht, darunter goldene und silberne Halsketten, Ringe, Edelsteine und andere Geschmeide von großem Wert. . . Es war nämlich Brauch in früheren Zeiten, den Toten Schmuck mit ins Grab zu geben. Wir sahen mit unseren eigenen Augen, dass es so gewesen sein muss, denn wir stiegen selber hinab in die unterirdischen Grüfte, um die dort grabenden Männer aufzusuchen. Von ihnen haben wir für Gold und Silber verschiedene Stücke gekauft, die sehr alt waren . . .“
Unterwegs
Für die Besichtigung der bedeutendsten Ruinenstätte Zyperns einen ganzen Urlaubstag einzuplanen, ist jedem Besucher anzuraten. Wollte man auch die zur antiken Stadt gehörende Nekropole erkunden, wäre noch ein zweiter Tag anzuhängen: so hätte man ein ideales Zeitpolster, um ohne Hast und mit vielen erholsamen Pausen das Besuchsprogramm zu absolvieren. Wer über weniger Zeit verfügt, sollte sich gleichwohl die spektakulärsten Sehenswürdigkeiten nicht entgehen lassen – sie liegen vom Eingang nur einen Steinwurf entfernt.
Reste einer säulenbestandenen Straße einige Schritte südwestlich des Theaters
Und immer ist das Meer ganz nah! Ruinenstadt und Meerespanorama vereinen
sich hier zu schönster Zweisamkeit, die Besucher animierend, durch
die Antike zu wandern und nach dieser „Hitzeschlacht“ am nahen
Strand Abkühlung zu suchen.
Weit über das Gelände verstreut liegen die Ausgrabungen. Anfangs
führen geteerte schmale Straßen hinein, die in steinige, sich
immer wieder gabelnde Feldwege übergehen. Das Terrain wird unübersichtlich.
Etwas beklommen könnten sich manche Wanderer fragen, was sie hinter
der nächsten Wegbiegung erwartet. Wieder nur Akaziensträucher,
Sandhügel, verdorrtes Gras? Immer auf Tuchfühlung mit dem Meer
- das erleichtert die Orientierung – durchziehen die Wege das Gelände.
Es ist still, über weite Strecken menschenleer. Mosaiken tauchen
auf, Treppenstufen, die ins Leere führen, akkurat aufgereihte Säulenstümpfe,
eingebrochene Fassaden, eine einsam stehende Säule, rätselhafte
Fundamente. Nichts Spektakuläres also und doch nicht weniger als
die fesselnden Spuren einer untergegangenen Stadt, die einmal 100.000
Menschen beherbergte.
Immer noch ist der Boden von Fundstücken übersät
Mit schwarz-gelben Schildern spärlich kenntlich gemacht als „Villa“,
„Forum“, „Basilika“, verlangen die im Gelände
verloren dahindämmernden antiken Großstadtquartiere geradezu
danach, sich hier städtisches Treiben auszumalen, wo doch scharfkantiges
Gras und verdorrte Fenchelstauden einen undurchdringlichen Teppich bilden.
Wer will, kann mit dem Auto auf den schmalen Wegen die Ausgrabungen anfahren,
manchmal aber aus wenig einleuchtenden Gründen auch nicht - darauf
muss man eingestellt sein. Ohnehin ist es viel reizvoller, zu Fuß
das weitläufige Gelände zu erkunden: man sieht große und
kleine, grüne und bräunliche Eidechsen über die Wege huschen,
bestaunt die phantastischen Blüten des Kapernbusches, entdeckt hier
ein Kapitell, dort eine Säulentrommel. Das Areal auf diese Weise
zu durchstreifen von einer Ausgrabungsstätte zur nächsten, noch
weiter entfernten, das heißt einen Kampf gegen sich selbst führen,
gegen den Durst, die brennende Sonne, die ermüdenden Füße.
Doch gemach! Einige simple Vorkehrungen nehmen dem Fußmarsch seine
Schrecken: ausreichend Wasser sollte (wie auch bei jeder anderen Landtour!)
mitgeführt werden, auch etwas Obst und ohne Kopfbedeckung geht schon
gar nichts, denn nirgendwo sonst ist die Strahlung so extrem wie hier
in unmittelbarer Meeresnähe. Ein großes Freiluft-Restaurant
nahe dem Eingang versorgt Wanderer mit den unentbehrlichen Wasserflaschen
und erfreut Rückkehrer mit seinem großen schattenspendendem
Dach, mit kühlen Getränken und bodenständiger Kost.
Bizarres Leben in den Ruinen von Salamis
Nur wenige Meter von hier liegt zu Füßen der antiken Stadt
das Meer ruhig im Schutz eines langgezogenen, niedrigen Riffs. Wo dessen
Zackenlinie südöstlich der Basilika Kampanopetra unter den Meeresspiegel
absinkt, öffnet sich wie ein Tor eine Durchfahrt. Hier konnten Schiffe
die gefährliche Felsenbarriere passieren, um den geschützten
Hafen zwischen Riff und Strand anzusteuern. Auch Kriegsschiffe waren darunter
zum Schutze der königlichen Residenzstadt, vor allem aber liefen
Handelssegler aus dem gesamten östlichen Mittelmeerraum den prosperierenden
Umschlagplatz an.
Begann alles mit Teukros?
Gründungsmythen ranken sich um die Entstehung der griechischen Städte Zyperns. In den Schriften von Homer und Herodot, Strabo, Pausanias und anderen werden den heimkehrenden Helden von Troja die Städtegründungen zugeschrieben. So soll König Agapenor von Tegea, der im Trojanischen Krieg die Arkadier anführte, Paphos gegründet haben und der Spartaner Praxanor das an der Nordküste gelegene Lapithos (Lapta). Soli im Nordwesten verdanke seine Entstehung Akamas, dem Sohn des Theseus, und Salamis führe sich auf Teukros zurück. Nach der Rückkehr aus Troja sei Teukros von seinem Vater Telamon, König der Insel Salamis im Saronischen Golf, verbannt worden, weil er den Tod seines Halbbruders Aias (Ajax) vor Troja nicht gerächt habe.
Die Basilika Kampanopetra
Ein historischer Kern der legendären Städtegründerbewegung
ist nicht von der Hand zu weisen, denn sie fällt in die Epoche der
frühhellenischen Einwanderung nach Zypern, der Landnahme durch mykenische
Siedler, die sich selbst Achäer nannten. Allerdings kann die archäologische
Forschung, um auf Salamis zurückzukommen, eine „teukrische“
Siedlung hier nicht bestätigen. Die ältesten salaminischen Spuren
stammen vom Anfang des 11. Jahrhunderts v. Chr., die Legende des Teukros
gehört aber an das Ende des 13. Jahrhunderts – mithin klafft
eine Lücke von gut einhundert Jahren. Die moderne Geschichtsschreibung
sieht in Teukros den Anführer einwandernder Kolonisten mit frühhellenischem
und anatolischem Hintergrund und stellt das Geschehen in einen Zusammenhang
mit der sog. „Seevölkerbewegung“. Danach ließ sich
Teukros nach dem trojanischen Abenteuer mit seinen Wandergenossen in Enkomi
nieder. Als die Stadt Anfang des 11. Jahrhunderts aufgegeben wurde, gründeten
ihre Bewohner nahebei Salamis und mit ihnen kam die Legende von Teukros
an den neuen Ort. Salamis` Herrscher sahen sich fortan als direkte Nachkommen
der Gründerfigur. Die Dynastie der „Teukriden“ erlosch
311 v. Chr. mit dem Tode von König Nikokreon.
Aufstieg
Die auf Salamis` Gründung (ungefähr 1075 v. Chr.) folgenden drei Jahrhunderte liegen im Dunkel der Geschichte. Erst im 8. Jahrhundert hebt sich der Vorhang. Die sog. „Königsgräber“ der salaminischen Nekropole aus dieser Zeit erlauben Rückschlüsse auf die Entwicklung der Stadt, die offensichtlich schon damals stark expandierte und beträchtlichen Reichtum in ihren Mauern anhäufte. Ein assyrisches Dokument des 7. Jahrhunderts erwähnt erstmals den Namen der Stadt - sofern denn die Deutung Silua = Salamis zutrifft. Für Herodot (5. Jahrh.) ist Salamis bereits eine „große Stadt“, allen anderen Siedlungen Zyperns überlegen. Münzen werden geprägt, der Anspruch auf Vormachtstellung über die ganze Insel untermauert. Mitte des 5. Jahrhunderts setzte sich Salamis an die Spitze der gegen die Perser revoltierenden Inselstädte, arrangierte sich aber rasch mit den fremden Machthabern und festigte so seine Position. Die Herrschaft des Ptolemäischen Reiches, die das persische Zwischenspiel im ausgehenden 4. Jahrhundert beendete, gab der Stadt neue wirtschaftliche und kulturelle Impulse und als Rom 58 v. Chr. Zypern annektierte, profitierte Salamis von seiner neuen Rolle als wichtiges Handelszentrum der Römer in der Levante – auch wenn die Hauptstadtfunktion auf Paphos überging.
Um das Jahr 45 n. Chr. wurde die seinerzeit 100.000 Einwohner zählende
Stadt zum Missionsfeld der Apostel Paulus, Johannes Markus und des aus
Zypern gebürtigen Barnabas. Ein Erdbeben richtete 76 n. Chr. große
Zerstörungen an und einige Jahrzehnte später (116/117) soll
eine noch kaum erforschte Rebellion der salaminischen Juden die Stadt
stark in Mitleidenschaft gezogen haben. Doch größer waren die
Verwüstungen durch das Erdbeben des Jahres 332, während das
Beben von 342 offenbar andere Landesteile schwerer traf. Von einer vernichtenden
Flutwelle, die jene Beben begleitet haben soll, wissen nur die „Sibyllinischen
Orakel“. In den Erzählungen zeitgenössischer Chronisten
ist davon keine Rede. Ostroms Kaiser Constantius II., Sohn des großen
Constantin, wurde zum Retter der Stadt, die einmal mehr ihre Lebenskraft
unter Beweis stellen konnte. Auf verkleinerter Fläche wieder aufgebaut
und zu Ehren des kaiserlichen Gönners in Constantia umbenannt (345),
spielte sie als christlich-byzantinische Metropole noch eine führende
Rolle auf der Insel und darüber hinaus.
Schlussakt
Was heute in Salamis zu besichtigen ist, stammt überwiegend aus dieser Zeit des raschen Wiederaufbaus. Noch jünger sind die Überreste der großen Basiliken, die Salamis zu einem Zentrum des frühen Christentums machten. Mit den Erdbeben war die Serie der Schicksalsschläge aber noch nicht abgeschlossen: der Hafen, wichtige Basis für den Wohlstand der Stadt, verlandete zunehmend und bedrohliche Zeichen kamen aus dem Osten, seit sich die Araber geeinigt hatten und den Bau einer Kriegsflotte nach byzantinischem Vorbild betrieben. 648/49 tauchten sie vor Salamis auf und legten die Stadt in Schutt und Asche. Ihre Bewohner flohen in das benachbarte Arsinoe, das spätere Famagusta.
Entgegen der lange vorherrschenden Auffassung, Salamis sei mit dem Exodus
seiner Einwohner praktisch aufgegeben worden, fanden Archäologen
in jüngerer Zeit Hinweise darauf, dass der Ort doch noch bewohnt
wurde und bis in das 9. Jahrhundert als dörfliche Siedlung fortbestand.
Ende des 7./Anfang des 8. Jahrhunderts wurden sogar die Thermen repariert,
Neubauten entstanden auf den Ruinen zerstörter Häuser und vermutlich
wurden auch Teile der Stadtmauer in dieser Zeit neu errichtet. Und nichts
spricht deutlicher für das Fortbestehen von Salamis als der Besuch
des Kirchenmannes Willibald. Er war ein Cousin des hl. Bonifatius (des
„Apostels der Deutschen“) und später erster Bischof im
bayerischen Eichstätt. Während seiner vierjährigen Reise
in den Vorderen Orient hatte er in Paphos Station gemacht und dort das
Osterfest des Jahres 724 gefeiert. „Und von Paphos gingen sie zur
Stadt Constantia, wo der heilige Epiphanios begraben ist. Und dort hielten
sie sich auf bis nach dem Geburtsfest des hl. Johannes des Täufers“
(24. Juni).
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