Nordspanien - Jakobsweg per Rad

Text: Andreas Drouve

Schon im Mittelalter zog es Pilger aus ganz Europa durch das Ödland Kastiliens und über die galicischen Gebirgspässe zum Apostelgrab des Jakobus nach Santiago de Compostela. Heute sind es Wanderer und Radler aus aller Welt, die den Jakobsweg in Spaniens Norden neu beleben. Ob aus spirituellem oder sportlichem Antrieb, oder beides.

Unser treuester Begleiter? Der Regenponcho. Wiesen und Weiden in Spaniens Norden wollen grünen. Und das heisst: Mancherorts regnet es, rein statistisch gesehen, an jedem zweiten Tag. Die heftigsten Güsse gehen im Frühjahr und Herbst nieder - während die meisten Radler auf dem Jakobsweg unterwegs sind. In manchen schauergepeinigten Orten am Wege werden wir während der kommenden 700 Kilometer im Fahrradsattel zwischen Pamplona und Santiago de Compostela Blicke ernten, teils aufmunternd, teils mitleidig. Aber richtiges Mitgefühl? Nein, dazu haben die Dörfler und ihre Vorfahren in Navarra, Galicien und andernorts seit der wunderlichen Entdeckung des Apostelgrabes im Jahre 813 zuviele Pilgerzüge nach Santiago gesehen.

Aufbruch in der 2000jährigen Pyrenäenstadt Pamplona. Antonio und ich lassen die Altstadtsilhouette mit den Kathedraltürmen hinter uns und brauchen, angelangt bei Kilometer 0,9, ein geschlagenes Stündchen zur ersten Reparatur: Kettenriss am Mountainbike. Ohne dererlei Pannen zum Auftakt langer Touren vermisste man geradezu etwas, außerdem bringe es Glück. Sagt Antonio. Dann, endlich, schluckt uns der Weg bis zum knapp 50 Kilometer entfernten Etappenort Estella. Auf halber Strecke liegt ein erster Höhepunkt: Puente la Reina. Ein Städtchen, in dem sich die beiden von den Pyrenäen kommenden Achsen der Hauptpilgerwege vereinen.

Im stillen Arga-Fluss schwimmt das Spiegelbild der romanischen Brücke, darüber erhebt sich ein reiches mittelalterliches Ensemble aus Gotteshäusern. An solchen Kardinalpunkten am Wege gründeten die regionalen Herrscher einst Hospitäler, Klöster und Kapellen, ließen Flussbrücken bauen und Wegekreuze errichten.

Romanische Brücke über den Arga-Fluss in Puente la Reina

Solcherlei Privilegien brachten eine unglaubliche kulturelle Blüte von Romanik, Gotik und Renaissance hervor, deren Reichtum bis heute nicht verblasst ist.
Ziel des ersten Tages bleibt das monumentale Städtchen Estella. Genauer: die Pilgerherberge. Noch genauer: die heiße Dusche.

Estella

Am Abend kommen in den Hospizen Erschöpfte zusammen, alt und jung, Wanderer und Pedalritter. Man plaudert, kocht, trinkt, schont das vom Sattel gebeutelte Gesäß, bettet sich zu klösterlicher Zeit auf einer durchgelegenen Pritsche im Schlafsaal und fühlt sich in der Nacht zu zerschlagen, um den schnarchenden Wallfahrer im Hochbett nebenan zu mäßigen. Am Morgen steigt, wie in jeder Herberge, die Unruhe ab sechs Uhr. Schließlich ist Glockenschlag Acht Kehraus.

Die Motivation steht unverhofft auf dem Nullpunkt . »Estella la bella«, Estella die Schöne, hat ein schauriges Regenkleid angelegt. Es hilft alles nichts: Plastik über die Satteltaschen, Regencapes über uns. Am Wege verschwimmen bald die Konturen des Irache-Klosters, der Rebstockreihen und erdfarbenen Dörfchen. Und das gleich 50 Kilometer am Stück, bis hinein in die Weinregion Rioja. Laut fluchen wir in den beißenden Regen, unsere Rufe trägt der unerbittliche Gegenwind davon. In Logroño verlieren wir zunächst den Blick für die malerischen Altstadtgassen rund um die Kathedrale. Zuvorderst gilt unser Interesse einem trockenen Hort und einer Riesen-Tortilla in einer Bar - ein Stück Lebenskraft für die verbleibenden 46 Regenkilometer bis zum Etappenziel Santo Domingo de la Calzada. - »Der Hahn auf meinem Teller soll krähen, wenn der Bursche noch lebte«, rief ein Landrichter aus, der gerade zu tafeln begann. Und das Federvieh begann zu krähen. Diese Legende und der wahrhaftige »Hühnerstall« in der Kathedrale von Santo Domingo erinnern an einen unschuldig erhängten jungen Pilger, der auf wundersame Weise am Leben blieb. Ebenso wundersam ist der Empfang am Ende der heutigen Etappe: Die Sonne blinzelt durch die Wolken.

Die Landschaft ändert ihr Gesicht und die Region ihren Namen. Hinter den grünen Weiten der Rioja und dem Pedraja-Pass (1150 m) erreichen wir die karge Hochebene von Kastilien-León.

Meseta, die karge Hochebene von Kastilien-León

Selbst im Sommer pfeifen eisige Winde über jenen Teil der Meseta und haben unserem Etappenziel Burgos den Ruf beschert, eine der ungemütlichsten Städte Spaniens zu sein. Ihr Wahrzeichen, die gotische Kathedrale Santa María, müssen wir, wie alle Monumente, in Wechselschicht besichtigen. Unter Langfingern sind herrenlose Mountainbikes schnell begehrt. - Ein hölzerner Fertigbau am Stadtrand: Burgos' Pilgerherberge. Frühstück gibt's, gegen freiwillige Spende, beim rührigen Jesús nebenan in einer alten Garage. Knoblauchstränge und klebrige Fliegenstreifen baumeln von der Decke. Während ich Zwiebackwürfel mit Milchkaffee schlucke, bleibt Zeit zu kalkulieren, dass um die 400 Insekten auf den Klebefolien zu Tode gekommen sind. »Und das nur in letzten drei Wochen«, sagt Jesús.

Figur des heiligen Jakobus in Castrojeriz

In den folgenden zwei Tagen durchradeln wir die nördliche Meseta bis kurz vor León. Kastilien pur mit all den Ocker-, Braun- und Beigetönen der kargen Erde. Die Sonne hebt die Moral auf holprigen Feldwegen durch zerfurchte Ebenen und Nebensträßchen im wohligen Abseits. Immer wieder lauschen wir hinein in die Stille, erfrischen uns an Dorfbrunnen, erkunden Kirchen und Klöster in Castrojeriz, Frómista und Carrión de los Condes.

Hinter Sahagún dann einer der schönsten Abschnitte: der einsame, von Platanen flankierte Schotterweg bis Mansilla de las Mulas. Geistliche Lieder vom Band wiegen uns am Abend in der Herberge in den Schlaf. Tags darauf holt uns León, im Dauerregen, wieder ins Stadtleben zurück. Mit der formvollendeten gotischen Kathedrale, der Stiftskirche San Isidoro und dem Kloster San Marcos.

Kloster San Marcos

Hinter León schiebt sich die schnurgerade Straße auf Astorga zu und in die Hügelkette der Montes de León hinein. Ein atem(be)raubender Aufstieg in das Herbergsörtchen Rabanal del Camino und am Morgen danach auf das »Dach des Jakobsweges«. Auf 1504 Höhenmeter strampeln wir an das im Nebel versunkene »Eisenkreuz« (Cruz de Hierro).

Das »Eisenkreuz« (Cruz de Hierro)

Hier darf jeder Pilger einen Stein niederlegen. Extremer als der Anstieg dann die Abfahrt auf dem halsbrecherischen Sträßchen fast 1000 Meter hinab nach Ponferrada. Am Rande Bergdörfer und klischeehafte Bilder: runzelige Alte auf Bänkchen vor Steinhäusern, Eselsfuhrwerke, streunende Hunde. Gesichtslos wirkt dagegen Ponferrada - bis auf die Templerburg mit Zinnen und Zackenmauern. Weingärten und sanfte Hügelketten zeichnen den Weg gen Westen, bis uns eine kleine Allee vom Flusstal des Valcarce in die majestätische Bergwelt Galiciens zum Etappenziel O Cebreiro (1300 m) hebt. Bevor wir uns dort zum monumentalen Schinkenbrot niederlassen, genießen Antonio und ich die Blicke auf die umliegenden Höhenkämme und - ohne, dass wir es gewünscht hätten - die faustgroßen Fersenblasen zweier deutscher Fußpilger.

Endlich Galicien und endlich wieder Regen! Das saftige Grün der Hügel lässt kaum auf trockene Zeiten hoffen. Eine letzte Übernachtung im Streckendorf Gonzar, Dutzende von Senken und Hunderte von beschwerlichen Buckeln trennen uns von Santiago. Kurz vor dem Ziel ist es vorbei mit frischem Eukalyptusduft, im Verkehrsstrom schlucken wir Abgase und thronen plötzlich, auf dem Gozo-Berg, über dem reichlich provinziell wirkenden Santiago de Compostela. An dieser Stelle sanken viele Wallfahrer einst in die Knie und zogen hinunter, das Pilgerlied »Ultreia« singend, in die Stadt, die neben Rom und Jerusalem wichtigstes Pilgerziel im Abendland war. Nach der Hinrichtung Jakobus' (Santiago) im Jahre 44 gelangte sein Leichnam in einem Boot nach Galicien und wurde dort bestattet - so ist es überliefert. Die Kunde vom Fund des Apostelgrabes verbreitete sich zu Beginn des neunten Jahrhunderts wie ein Lauffeuer in Europa; die Mönche von Cluny organisierten erste Pilgerfahrten.

Pilger mit dem Rad auf dem Kathedralvorplatz in Santiago de Compostela

Heute laufen in Santiago alle Fäden auf dem Kathedralvorplatz zusammen. Wir steigen vom Rad und lassen uns im Schein der Nachmittagssonne nieder. Ein versöhnlicher Abschluss. Es herrscht babylonisches Sprachgewirr, Devotionalienhändler schwirren umher, überall Fußpilger, einige Fahrräder. Dann der Eintritt ins prachtvolle Gotteshaus. Romanische Rundbögen, Kapellen mit reichgeschmückten Altären, Spendendosen und Blumengebinde. Blitzlichter zucken, Wallfahrer treten ein mit geschulterten Rucksäcken. Es riecht nach Schweiß und Weihrauch.

Apostel-Figur  in der Kathedrale von Santiago de Compostela

Abstieg in die Krypta zum Apostelgrab und hinauf zum thronenden Jakobus am Hochaltar. Den Rücken der Heiligenfigur darf man berühren und küssen. Unter den gestrengen Blicken des Wachpersonals.

 

Mehr Informationen in unserem Nordspanien Reiseführer

 

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