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Ein Haus wie kein anderes

Utrecht: Museen, Kirchen und eine Ikone der modernen Architektur

Text und Fotos: Ferdinand Dupuis-Panther

Utrecht mag im Schatten Amsterdams stehen, ist aber eine eigene Reise wert. Dies jedenfalls meint unser Autor, den nicht nur das studentische Ambiente der Universitätsstadt reizte. Er bewegte sich auch auf den Spuren des Designers und Architekten Gerrit Thomas Rietveld, dessen Rietveld-Schröder-Haus eine Ikone der Moderne und Teil des UNESCO-Weltkulturerbes ist.

Ein Himmelsstrürmer: Der Domturm

Wer nach Utrecht kommt, sieht schon von weitem den 112 Meter hohen Domturm. Zu ihm gehört eigentlich eine Kirche, deren Mittelschiff allerdings während eines Unwetters 1674 zerstört und niemals mehr aufgebaut wurde, so dass neben dem Turm nur noch der gotische Chor der einstigen St.-Martins-Kirche vorhanden ist. Unter Kaiser Heinrich III., dessen Vater Konrad III. 1039 in Utrecht verstarb, begann man im elften Jahrhundert außerdem mit dem Bau zahlreicher Kirchen, die kreuzförmig um den Dom herum angelegt wurden: die St.-Peterskirche im Osten, die St.-Johanneskirche im Norden, die St. Paulsabtei im Süden und die St.-Marienkirche im Westen des Doms

Museen im Schutz vom Bastionen

Die Innenstadt Utrechts weist noch Spuren eines bastionären Systems auf, das heute einen parkähnlichen Grüngürtel bildet und von der Stadsbuiten-Gracht umflossen ist. Auf dieser Stadtumwallung von einst befindet sich die Stadsschouwburg und die älteste niederländische Kuppelsternwarte. Nicht nur diese einstige Stadtbefestigung, sondern auch zahlreiche Forts wie das Fort de Bilt dienten dem Schutz der ehrwürdigen Universitätsstadt.

Gotischer Chor der einstigen St.-Martins-Kirche

Im südlichen Teil der Innenstadt liegt das so genannte Museumsquartier. Und an Museen mangelt es der Stadt wahrlich nicht, ob nun das Aboriginal Art Museum, das sich der Kunst der australischen Ureinwohner widmet, oder das Museum Catharijneconvent, das sich der christlichen Kunst verschrieben hat. Das Niederländische Eisenbahnmuseum ist in Utrecht ebenso beheimatet wie das Nationale Glockenspiel- und Drehorgelmuseum, in dem man einen Polyphon-Plattenwechsler von 1897 ebenso sehen kann wie einen Vogelkäfig mit „Singvogel“ oder ein Glockenspiel aus dem siebzehnten Jahrhundert. Die Geschichte der Molukken wird im Moluks Historisch Museum lebendig, die Geschichte der Niederländischen Münze im gleichnamigen Münzmuseum. Das Nederlands Waterleidingmuseum, das in einem vierzig Meter hohen Wasserturm residiert, nimmt sich der Geschichte der Trinkwasserversorgung an, während das seit 1838 bestehende Centraal Museum dem Besucher alte und moderne Kunst, Design und Formgebung, Mode und Stadtgeschichte präsentiert. Es besitzt die weltweit größte Sammlung von Rietveld-Designs. Wer also mehr über den Designer und Architekten Gerrit Thomas Rietveld erfahren will, der sollte das in einem ehemaligen Kloster eingerichtete Museum unbedingt besuchen.

Leben an einer beschauliche Gracht

In einer Stadt, in der Studenten leben, dürfen natürlich Kneipen, Restaurants und Cafés nicht fehlen. Nicht nur längs der Oude Gracht sind sie zahlreich. In den Gewölben des Den Draeck lässt man sich mit Rippchen und Steaks verwöhnen oder genießt bei Musik im t’ Oude Potshuis einen Fasan in Calvados oder Kalbfleischeintopf mit Wacholderbeeren und Rosmarin. Am Domplein hat man die Qual der Wahl zwischen pochierter Regenforelle, Entenbrustfilet mit Himbeerpfeffersauce oder vegetarischer Lasagne, je nachdem, wo man einkehrt ist. Wer gesehen werden will, der schaut im Stadscafé Broers oder im Winkel van Sinkel vorbei. Und abgetanzt wird im Woolloomooloo und im Get Down Café.

Charakteristisch für die Stadt sind auch die zahlreichen Stiftswohnungen mit ihren Höfen wie die der Freifrau Maria von Pallaes, die 1651 für verarmte Utrechter Ehepaare Wohnungen erbauen ließ. Und wie die Inschrift über den Häuschen verrät, tat sie dies, um in den Himmel zu kommen. Für alle, die sich mit der Architektur der Moderne beschäftigten, bietet die Stadt einen besonderen Leckerbissen: das Rietveld-Schröder-Haus.

Vorhang auf für ein Welterbe der Moderne: das Rietveld Huis

Grundfarben und rechter Winkel

Wer durch die Prins Hendriklaan radelt (LF 4a Midden-Nederland Den Haag) – oder zu Fuß unterwegs ist – sieht nicht nur die typischen Reihenhäuser aus dunklem Backstein, sondern gleichsam als Fremdkörper das mit Sinn für den rechten Winkel und dominantes Weiß gebaute Rietveld-Schröder-Haus, ein Entwurf des bekannten Mitglieds der Gruppe „De Stijl, Gerrit Thomas Rietveld. Nur die Balkone dieses Wohnhauses sind aus Beton, ansonsten wurde Backstein zum Bauen verwendet und nachträglich geweißt. Als eine Ikone der modernen Architektur wurde das Rietveld-Schröder-Haus von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt.

Kaum zu glauben aber weitgehend aus Backsteinen erbaut

Nur im Rahmen einer Führung ist es möglich, einen Blick in das Innere des funktionalen Baus zu werfen. Der Rundgang beginnt in der Erasmuslaan 5, wo sich ein Informationszentrum mit Buchladen befindet. Das Infozentrum ist in einem von Rietveld im Stil des Bauhauses entworfenen Gebäudekomplex untergebracht. Zustande gekommen ist dieser Bau, weil Frau Truus Schröder-Schräder, die Bauherrin des Rietveld-Schröder-Hauses, die entsprechenden Grundstücke kaufte und ihrem zeitweiligen Geliebten zur Bebauung überließ.

Zick-Zack-Stuhl neben der Autobahn

Neben dem Infozentrum, zu dessen Inneneinrichtung der berühmte Zig-Zag-Stuhl Rietvelds gehört, befindet sich in dem Gebäude auch eine Musterwohnung. Diese ist mit einer aus dem Jahr 1931 stammenden Büroausstattung ausgestattet. Beim Bau des Komplexes hatte sich Rietveld von seinen sozialistischen Idealen verabschiedet, dachte nicht mehr an preiswerte Arbeiterwohnungen, sondern hatte die städtische Mittelklasse als Kunden im Blick: Für den Preis für diese Luxuswohnung hätte man Wohnraum für fünf Arbeiterfamilien schaffen können! Funktionalität ist in dieser Musterwohnung ebenso das Motto wie im Rietveld-Schröder-Haus.

Musterwohnungen aus den 1930er Jahren - auch ein Entwurf von Rietveld

Zwischen den beiden von Rietveld entworfenen Bauten liegt seit den 1950er Jahren eine Autobahn. Diese empfand Rietveld als so störend, dass er seiner Auftraggeberin, Frau Schröder-Schräder, sogar vorgeschlagen hatte, das Haus abzureißen, das einstmals am Rand der Stadt mit Blick in die umgebende Polderlandschaft konzipiert war. Doch die Bauherrin wusste den Zorn des Architekten zu mildern. Nun blickt man heute nicht ins Poldergrün, sondern auf dahinjagende Autos. Keine schöne Aussicht!

Bewegliche Wände und eine verstellbare Fensterbank

Ein Blick von der Autobahn, die dicht am Haus vorbeiführt und die Vista verstellt

Gedacht war das Rietveld-Schröder-Haus für Frau Schröder und ihre drei Kinder. Eine Bedingung für die Gestaltung war, dass jeder Raum eine Schlafstätte, eine Kochgelegenheit und einen Wasseranschluss haben sollte. Dank beweglicher Wände können im Obergeschoss aus einem großen Wohnraum kleinere Zimmer geschaffen werden. Während das Weiß der Fassade durch farbige Elemente wie Rahmen, Pfeiler und Stützen – vornehmlich in Schwarz, Rot und Gelb – durchbrochen wird, sind im Inneren Grautöne, „schmutziges“ Gelb, aber auch Blau und Rot als Farbstufen zu finden. Das betrifft die Dielen des Bodens ebenso wie die verschiebbaren Wände, die Einbauten ebenso wie das Geländer der Treppe, die verstellbare Fensterbank, die auch als Platz für die Hausarbeiten der Kinder diente, und die Fensterrahmen.

Im Untergeschoss findet man im Gegensatz zum Obergeschoss des Hauses feste statt der beweglichen Wände und einen traditionellen Raumentwurf. Hier überwiegt das Solide gegenüber dem Flexiblen und Lichten. Weiß, Schwarz und Grau bestimmen als „Nichtfarben“ die Raumgestaltung: die Flurdecke ein kleines weißes Feld auf blaugrauer „Füllung“, ein grünliches Gelb für die Tür und die Fensterrahmen. Die Treppe nach oben ist gleichzeitig Sitzbank. Hier findet sich auch eine Ablage mit vier Schubladen, die Nachrichten für die vier Familienmitglieder aufnehmen konnten. Auf der Ablage standen die Telefone.

Gläserner Briefkasten und dekorative Wandelemente

Der Briefkasten des Hauses ist gläsern: Frau Schröder wollte nämlich schon auf dem Treppenabsatz sehen können, ob Post angekommen ist. Verdunkelt wurde im Untergeschoss mit Fensterläden, die als dekorative, abnehmbare Wandelemente konzipiert waren. Eine Schlangenheizung, die ein Drittel der Baukosten verschlungen hat, ist ein eher ornamentales Detail des ansonsten nüchtern wirkenden Hauses. Die ursprünglich konzipierte Garage wurde zu einem Architektenbüro umgestaltet und enthält heute einige von Rietvelds Entwürfen und die so genannte „Trapezlampe“.

Im Obergeschoss befand sich der Wohn- und Schlafbereich der Familie Schröder. In jedem Raum entdeckt man ein Waschbecken und ein Bett. Mobile Wände in Schwarz erlauben es, die Gesamtfläche des Obergeschosses auf kleine Einheiten zu reduzieren. Gardinen sieht man keine. Licht flutet durch umlaufende Fensterflächen, die nachts durch Rollos von innen verhängt wurden. Nach dem Tod der Hausherrin, die 1985 verstarb, wurde im Rahmen der Restaurierung ein nachträglich erbautes Zimmer auf dem Flachdach beseitigt, in das sich Frau Schröder zurückzog, wenn ihr die gaffenden Besucher zu schaffen machten. Im Badezimmer neben Frau Schröders Schlafzimmer sieht man eine Sitzbadewanne aus grauweißem Terrazzo. Neben dem bunten Rietveld-Stuhl entdeckt man im Obergeschoss auch eine „Multimedia-Box“ in Gelb und Weiß. Darüber hinaus konnte man sich vom Obergeschoss aus dank eines „Hörrohrs“ mit Besuchern verständigen. die vor dem Haus standen.

 

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