Reggae-Fans und Royalisten

Unterwegs in Amsterdam

Text und Fotos: Winfried Dulisch

Das Image der Stadt wird einerseits geprägt vom Koninklijk Paleis und der Gemäldesammlung im Rijksmuseum. Andere Touristen fragen erst einmal nach dem Weg zum Rotlichtviertel oder zum nächsten Coffeeshop. Winfried Dulisch erkundete zwischen den Grachten weitere Sehens- und Hörenswürdigkeiten.

Niederlande - Amsterdam - Wegweiser

Die 780.000 Einwohner von Amsterdam besitzen mehr als 600.000 Fahrräder. Durch die Grachten schwimmen 2.500 Hausboote. In den Museen der niederländischen Hauptstadt hängen 22 Rembrandt-Gemälde und 206 Van Goghs.

Niederlande - Amsterdam - Hard Rock Cafe - Gitarre von Jimi HendrixDie Statistiker zählten hier außerdem 1215 Kneipen und Bars. Zum Beispiel das Hard Rock Cafe (1). Jede Filiale dieser globalen Restaurant-Kette schmückt sich mit Reliquien der Pop-Musikgeschichte. Vom Beatles-Gitarristen George Harrison bis zur Punk-Band Sex Pistols reicht die Liste von ehemaligen Benutzern jener Gitarren, die in den Amsterdamer Glasvitrinen präsentiert werden. Das musikhistorisch wertvollsamte Exponat ist eine unscheinbar wirkende Akustik-Klampfe. Jimi Hendrix benutzte sie im Tonstudio, als er 1968 den Dylan-Song „All Along The Watchtower“ aufnahm. Der ehemalige Hendrix-Drummer Mitch Mitchell hat die Gitarre dem Hard Rock Cafe in Amsterdam zur Verfügung gestellt.

Kostbare Musikinstrumente sind auch jene 42 historischen Kirchenorgeln, die in der größten Stadt der Niederlande zu hören sind. Außerdem listet die offizielle Amsterdam-Statistik noch vier Drehorgeln auf – und hat sich dabei aber gewaltig verzählt. Allein schon im öffentlich zugänglichen Bereich der Firma G. Perlee Draaiorgels sind mindestens ein Dutzend Drehorgeln unterschiedlicher Bauart ständig zu bewundern.

Leon van Leeuwen betreibt diese Reparatur-Werkstatt in fünfter Generation. „Viele Besucher – vor allem aus Deutschland – erwarten von meinerer Drehorgel-Sammlung nicht viel mehr als ein paar nostalgische Kuriositäten.“ Aber die Niederländer schätzten die Drehorgel schon immer als hohes Kulturgut. Leon van Leeuwen zeigt den Besuchern seine Dankschreiben von prominenten Künstlern und sogar aus dem Königshaus.

Niederlande - Amsterdam - große Drehorgel

Sein Draaiorgel Museum (2) an der Westerstraat 119 ist ein „working museum“. Hier wird gearbeitet. Die Drehorgel-Tradition ist sehr lebendig – nicht nur in Amsterdam. Der Draaiorgel-Restaurator holt aus seinem Musik-Archiv eine 16 Meter lange Lochkarten-Rolle mit der Aufschrift „Beatles-Medley“. Das Abarbeiten dieses Vorläufers unserer heutigen Digital-Speichermedien dauert ungefähr vier Minuten.

Total abgedreht

„Es geht auch schneller. Oder langsamer. Der Spieler bestimmt mit seiner Drehkurbel das Tempo – hier, probier du es einmal selbst.“ Spätestens beim Refrain von „She loves you, yeah, yeah, yeah“ tut dem ungeübten Draaiorgel-User der Arm dermaßen weh, dass er niemals wieder „Musikautomat“ zu einer Drehorgel sagt.

Niederlande - Amsterdam - Fahrräder an einem Brückengeländer

Nur die wenigsten Draaiorgel-Dreher schleppen heute noch ein schweres Paket voller Lochkarten-Streifen mit sich herum. Wo früher ein Mechanismus die Lochkarten abtastete, arbeitet heute ein Computer. Bei ihren Vorführungen auf Nostalgie-Jahrmärkten benutzen die meisten Schausteller einen USB-Stick. Darauf sind liebgewordene Drehorgel-Hits gespeichert: Walzer, Polkas, Operetten- und Musical-Melodien, ein Hauch von Hollywood und Broadway.

Software aus Amsterdam

Immer wieder verlangen die Jahrmarkt-Besucher „Wenn der Frühling kommt, dann bring ich dir Tulpen aus Amsterdam“. Außerdem eignen sich die Hits von Abba, Cat Stevens oder Simon & Garfunkel bestens für Drehorgel-Arrangements. – „Möchtest du mal einen Reggae-Song hören?“

Niederlanda - Amsterdam - Drehorgel

Wie bitte? Reggae? – Leon van Leeuwen legt eine seiner Lochkarten-Rollen ein, er dreht die Kurbel, es erklingt: „Stir it up, little darling“ von Bob Marley. „Die Lochkarte habe ich selbst gestanzt. Diese Kunst beherrschen heute weltweit nur noch wenige Drehorgel-Spieler.“ Aber das war noch nicht der Höhepunkt seiner Führung.

In einer hinteren Ecke von seinem Draaiorgel-Werkplats zeigt Leon van Leeuwen dem Besucher ein kubanisches Monstrum, das sich sogar gegen den Straßenlärm in Havanna durchsetzen kann. „In Kuba spielen diese riesigen Drehorgeln eine Mischung aus Rumba, Cha-Cha-Cha, Marango, Salsa und Reggae. Drum herum springen und tanzen Trommler und Percussionisten. Solch ein Drehorgel-Ensemble übertönt jede Militärkapelle.“

Niederlande - Amsterdam - Mann mit Drehorgel

100.000 Euro kann eine technisch hochwertige Draaiorgel kosten. „Für diesen Preis ersetzt sie aber ein komplettes Sinfonie-Orchester“, lautet sein Verkaufsargument. Für 6.000 Euro bietet Leon van Leeuwen auch schon eine kleinere Drehorgel an, „die ist ungefähr so laut wie ein Holzbläser-Trio. Als Gratis-Zugabe bekommt der Käufer dazu noch 50 Meter Musik.“

Freejazz-Drehorgel

Der in Amsterdam geborene Freejazz-Bandleader und Saxophonist Willem Breuker schätzte die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten der Drehorgel richtig ein. 1967 schrieb er ein Musikstück – oder muss es heißen: die Software? – für „drie Draaiorgels“. Mit diesem Opus für drei Drehorgeln hatte Willem Breuker die Teamfähigkeit des Instruments nachgewiesen.

Niederlande - Amsterdam - Pianolamuseum

Schräg gegenüber von G. Perlee Draaiorgels steht an der Westerstraat 106 das Pianola-Museum (3). Darin befindet sich eine Sammlung von so genannten „Klavieren mit Selbstspielapparatur“. Diese Ausstellung ist nur sonntags geöffnet. Dafür ist hier die Besucherschlange kürzer als vor dem Rijksmuseum.

Das Rijksmuseum (4) beherbergt die größte Sammlung von Meisterwerken des „gouden eeuw“, dem Goldenen Zeitalter der Niederlande im 17. Jahrhundert. Nach seinem Umbau wurde es im April 2013 von Königin Beatrix wiedereröffnet, es war einer ihrer letzten bedeutenden öffentlichen Auftritte als Staatsoberhaupt. Vor allem wegen Rembrandts „Nachtwache“ kommen wieder jedes Jahr eine Million Besucher in das Rijksmuseum. Die Amsterdamer lieben vor allem jenen „fröhlichen Spielmann“, den Gerrit van Honthorst 1623 gemalt hatte.

Niederlande - Amsterdam - Im Rijksmuseum

Im Rijksmuseum

Dieses Pflichtprogramm für Kultur-Touris haben jene Amsterdam-Genießer, die regelmäßig im Ambassade Hotel logieren, bereits absolviert. Ihnen empfiehlt der Ambassade-Manager Eelco Douma das Tassen Museum Hendrikje (5). Tassen sindmuse keine Trinkgefässe, sondern das niederländische Wort für: Taschen.

Getragene Rolle

Mehr als 4.000 „Tassen“ befinden sich in der Hendrikje-Sammlung. Zu den Oldies gehört eine Ziegenleder-Creation aus dem 16. Jahrhundert. Ein aktueller Hit ist jene Handtasche, die eine tragende – eigentlich: getragene – TV-Rolle spielte beim „Sex In The City“.

Niederlande - Amsterdam - Bibliothek des Ambassade Hotel

Bibliothek des Ambassade Hotels

Dabei braucht Eelco Douma seine Gäste doch nur in die Hotel-Bibliothek (6) zu führen. „Wir sind die Amsterdamer Adresse für viele Schriftsteller aus aller Welt. Sie bringen uns immer ein signiertes Exemplar ihres neuesten Buches mit.“ Das Fünf-Sterne-Haus liegt mitten in der pulsierenden City. Aber entlang der Grachten ist es herrlich ruhig, weil Autos nur langsam durchfahren können.

Kurzer Weg zum Paradies

So nebenbei garantiert der Ambassade-Manager: „Die Rolling Stones werden bei uns niemals absteigen. Aber sie könnten zu Fuß von hier aus in wenigen Minuten zum Paradiso gehen.“ Die ehemalige Kirche ist seit 1968 ein alternatives Kulturzentrum (7). Heute gilt sie als heiligen Halle der europäischen Pop-Gemeinde. Hier wurde Haschisch zum Weihrauch der 68er-Bewegung, die in den Niederlanden „Provo“ hieß.

Niederlande - Amsterdam - StraßenmusikerDie Provos verlangten die Abschaffung der Monarchie. Außerdem warb diese außerparlamentarische Opposition für freie Liebe und für die Legalisierung von weichen Drogen. Und vor allem sollten überall genügend Gratis-Fahrräder für die Bürger zur Verfügung stehen.

1995 hatten Mick Jagger und seine Band im Keller des Paradiso für eine Tournee geprobt, während nebenan auf dem Leidseplein die wirkliche Musik spielte. Dieser Platz mitten in Amsterdam ist weltweit eine der Top-Adressen für die Openair-Künstler – vor allem für Straßenmusiker, die sich in den Kneipen rund um den Leidseplein auf ihre Darbietungen vorbereiten. Eine weitere Hippie-Kultstätte ist der Multimedia-Club „Melkweg“ (8). In dieser Milchstraße hatte schon die legendäre Hippiemusiker-Kommune Grateful Dead ihre arbeitsfreien Tage während einer Europa-Tour sinnvoll genutzt. Die Band aus San Francisco veranstaltete weitgehend unbehelligt vom Zuschauer-Interesse im Melkweg eine Jam-Session und ließ zwischen Bühne und Publikum den Joint hin und her kreisen.

Die Kenner der Musik-Szene in Amsterdam werden hellhörig, wenn das Paradiso oder der Melkweg ein Konzert mit einer unbekannten Band ankündigt. Dann wird nämlich entweder ein völlig unbekannter Künstler auf der Bühne stehen – oder ein Promi, der sich hier für seine nächste Tour warm spielen oder ein paar neue Songs ausprobieren will.

Keine Überraschungen

Derartige Überraschungs-Auftritte sind nebenan im Concert Gebouw (9) nicht zu erwarten. In diesem Konzertsaal mit der herrlich plüschigen Jugendstil-Innenarchitektur wurden viele legendäre Schallplatten produziert. Das Concert Gebouw ist eine der weltweit führenden Aufführungsstätten für die opulenten Orchesterwerke von Dmitri Schostakowitsch oder Gustav Mahler.

Niederlande - Amsterdam - Concert Gebouw

Das Haus-Orchester war von ihrem royalen Fan Beatrix zum „Koninklijk Concertgebouworkest“ geadelt worden. Die Königlichen sind als musikalische Botschafter viel unterwegs. Deshalb machen Klassik-Freunde den Zeitpunkt ihres Amsterdam-Besuchs davon abhängig, ob das Orchester mal wieder ein Heimspiel absolviert. Denn schließlich reist kein Mensch nach Amsterdam, um hier zu kiffen oder nach Einbruch der Dunkelheit im „Rosse Buurt“ (Rotlichtviertel) einen Schaufenster-Bummel zu machen.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

Reiseführer Amsterdam

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Kurzportrait Niederlande

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Besuch in Flevoland

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Ein Wochenende auf Texel

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Texel

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